XXIX.

[106] O schöne Jungfrau du, im Lichtgewande,

Im Sternenkranz, so werth der höchsten Sonne,

Daß all' ihr Licht auf dich herabgeflossen,

Von dir zu reden drängt mich Liebeswonne;

Doch bringt es deine Hülfe nur zu Stande

Und deß, der sich in Lieb' auf dich ergossen!

Ihr ruf' ich, deren Huld all' die genossen,

So gläubig zu ihr riefen.

O Jungfrau, wenn dem tiefen

Jammer in Huld sich je dein Herz erschlossen,

So neige dich herab zu meinem Flehen,

Daß mir dein Beystand werde,

Obwohl ich Erde, Fürstinn du der Höhen.


O weise Jungfrau, aus dem schönen Kranze

Der heiligen und klugen Jungfrau'n eine,

Mit hell'rer Lamp' und als die Erst' erfunden!

Du fester Schild der zagenden Gemeine

Gegen des Schicksals und des Todes Lanze,

Durch den wir Rettung erst, dann Sieg gefunden!

Du Kühlung gegen Gluth, in die entbunden

Die blöden Menschen tauchen!

O Jungfrau, jene Augen,

So trauernd einst die grausam bittern Wunden

An deines Sohnes süßen Gliedern sahen,

Lenk' her nach meinem Wehe!

Rathlos ich stehe, Rath hier zu empfahen.
[106]

O reine Jungfrau, durch und durch voll Wahrheit,

Die du uns Licht, dem Himmel Schmuck gegeben,

Du Kind und Mutter deiner Frucht! der Erde

Ward dein und Vaters Sohn durch dich gegeben,

(Erlauchtes Gnadenfenster voller Klarheit!)

Daß in der letzten Zeit der Heiland werde.

Und unter allen Wohnungen der Erde

Warst du allein geweihet,

O Jungfrau benedeyet,

Daß Eva's Schmerz sich wieder froh geberde.

Verleih', daß seine Gnade bey mir wohne,

Du, endelos beglücket,

Und schon geschmücket mit des Himmels Krone.


O heil'ge Jungfrau, aller Gnaden Quelle,

Die du durch Demuth zu des Himmels Wonne,

Wo du mein Flehen hörst, dich aufgeschwungen!

Der Liebe Springquell und der Wahrheit Sonne,

Daß sie mit ihren Strahlen rings erhelle

Die finstre Welt, sie sind aus dir entsprungen.

Drey süße Nahmen sind in dir verschlungen:

Kind, Mutter und Verlobte.

O Jungfrau, Hochgelobte!

Des Königs Braut, der uns der Schmach entrungen,

Der Freyheit gab der Welt und Himmelsfrieden,

In dessen heil'gen Wunden

Mein Herz gesunden will und ruhn hienieden.


O einz'ge Jungfrau, einig ohn' Exempel,

Die du des Himmels Raum erfüllt mit Liebe,

Für die nicht erste sich noch zweyte findet!

Dein keusches Thun, die heilig frommen Triebe[107]

Dem wahren Gotte haben sie zum Tempel

Den reinen jüngfräulichen Leib gegründet.

Du hast am Leben Freude mir entzündet!

Auf dein Gebeth, du Eine!

O Jungfrau, Süße, Reine!

Den größten Sünder größte Gnad' entbindet.

Zu dir erheb' ich tiefgebeugt die Hände –

O wolle mich begleiten,

Den Irren leiten zu ersehntem Ende!


O lichte Jungfrau, unvergänglich Feuer,

Du treuer Hort den treuen Schiffern allen,

Du Stern auf Meeres wild bewegter Höhe,

Sieh, wie von Stürmen furchtbar überfallen

Allein umher ich trieb' und sonder Steuer,

Und wie so nah' dem Untergang' ich stehe!

Von dir nur hofft, daß es ihm wohl ergehe,

Das sündige Gemüthe.

O Jungfrau du, verhüthe

Des Widersachers Spott ob meinem Wehe!

Gedenke, wie aus deinem Schooß geboren,

Daß er uns Retter werde,

Den Leib der Erde Gott sich auserkoren.


O Jungfrau, wie so viel hab' ich der Thränen,

Gebeth' und Schmeichelworte schon verloren,

Und Angst mir nur erworben und Beschwerden!

Seit an des Arno Strand ich ward geboren,

Umhergetrieben rings von blindem Sehnen,

War Andres nicht als Weh mein Loos auf Erden.

Sterbliche Reize haben und Geberden

Und Worte mich berücket.

O Jungfrau, hochbeglücket![108]

Dem Todesnahen komm ein Schirm zu werden!

Wohl flüchtiger sind meine Tag' als Pfeile,

Von Schmach und Sünd' umfangen

Dahingegangen, und zum Tod' ich eile.


O Jungfrau, Sie ist Staub und füllt mit Schmerzen

Mein Herz, dem lebend Thränen sie entrungen!

Sie wußte nichts von meinen tausend Plagen,

Und wußte sie es auch, was draus entsprungen,

Doch wär's geschehn. Hegt' Andres sie im Herzen,

Mir hätt' es Tod, ihr aber Schmach getragen.

Du Himmelsköniginn, und, darf ich's sagen,

Du Göttinn hocherhaben!

O Jungfrau reicher Gaben!

Du siehst es ganz. Was ich nicht durfte wagen,

Ist nichts für deine Kraft, o Tugendreiche!

Den Schmerzen gnädig wehre,

Das draus dir Ehre, Rettung mir entsteige!


O Jungfrau du, in der mir Trost erwachte,

Du kannst und willst mich meiner Noth entraffen!

Verlaß mich nicht in meinem letzten Sehnen!

Nicht mich, nur den, der mich aus Gnad' erschaffen,

Nicht meine Kraft, sein Abbild nur beachte!

Das möge mir, dem Armen, dich versöhnen.

Zum Stein schuf mich Medusa und mein Wähnen,

Daß eitle Fluth ihn tränke.

O Jungfrau du, bedenke

Mein müdes Herz mit frommen, heil'gen Thränen,

Daß mindest sich zu Gott die letzte kehre,

Dem Erdenschlamm entnommen,

Nicht Wahnentklommen, wie die erste Zähre.
[109]

O milde Jungfrau, Feindinn stolzer Triebe,

Gedenke des gemeinsamen Beginnes!

Schau huldreich mein zerknirschtes Herz, das schwache!

Da ich so wunderbar getreuen Sinnes

Ein Häuflein nicht'gen Erdenstaubes liebe,

Was soll ich gegen dich, so hehre Sache?

Wenn ich aus meinem Irrsal je erwache

Durch deiner Hände Walten,

O Jungfrau, dann gestalten

Sich heiliger für dich Verstand und Sprache,

So Herz als Zunge, Seufzer so als Thränen.

Führ' mich zu besserm Pfade,

Nimm an in Gnade mein verwandelt Sehnen.


Es rückt der Tag heran; bald muß er kommen;

Die Zeit enteilt und flieget.

O Jungfrau, unbesieget

Bald hält der Tod, bald Reu' mein Herz umklommen.

Befiehl mich ihm, der wahrer Mensch hienieden

Und wahrer Gott zu loben,

Daß er mich droben führe ein zum Frieden.


Quelle:
Petrarca, Francesco: Italienische Gedichte. Band 1, Wien 1827, S. 106-110.
Lizenz:
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