Der fünfte Auftritt

[257] Betty, die von weitem zugehöret hat.


BETTY. Die einfältige Lucie! Was für ein verzagtes Geschöpfe! Nicht einmal ohne Zittern die Welt von der Last eines alten Mannes befreien zu können. Meine Seele ist vor Zorn und Schrecken über das törichte Geschwätz[257] ganz außer sich. Wäre der alte Narr weniger verliebt in sie, er hätte durch ihren Unsinn unsere ganze Bosheit entdecket. Doch nun wird es dem Herzen des alten Mannes noch ein paar Stöße und Lucien noch ein paar Seufzer kosten, hernach wird alles gut sein. Und Betty wird sich an dem Sir Willhelm gerächet und von seinem Sohne durch die Vollziehung dieser Vermählung die versprochenen zweihundert Guineen verdienet haben. Wie unvollkommen ist die menschliche Freude! Muß ich schon wieder Tränen und Seufzer hervorsuchen?


Sir Robert kömmt.


BETTY. Ach, Sir, haben Sie Ihren armen Freund schon besuchet? Wissen Sie den neuen Schmerz schon, der dieser unglücklichen Familie drohet? Warum muß doch Lucie zu beständigen Tränen verbannet sein?

ROBERT. Was gibt es? Ist Sir Karl zurückegekommen? Oder sollte Lucie das Haus des Sir Willhelms haben verlassen können?

BETTY. Eilen Sie, wenn Sie Ihrem sterbenden Freunde noch die letzte Pflicht Ihrer Liebe erzeigen wollen. Vielleicht hat bereits der Tod der Welt eine Tugend geraubet, die sie nicht länger zu besitzen verdienete. Sie werden ihn in dem Kabinette in den Armen der Lucie finden. Den besten Herrn, der jemals gelebet hat, so bald zu verlieren!

ROBERT. Ist es möglich? Habe ich nicht nur vor wenigen Augenblicken ihn hier gesund verlassen? Gott! solltest du seine Tugend so bald glücklich gemachet haben. Wieviel Tränen wird mir selbst seine Glückseligkeit kosten! Geht ab.

BETTY. Und mein Herz wird sich freuen, sie fließen zu sehen. Dieser arglistige Robert hat meiner Heuchelei manche Sorgen und Angst abgezwungen. Ha, Lucie! mit einem Gesichte, auf dem alle Furien abgeschildert sind! Bereite dich, Betty, Ströme von Flüchen und Verwünschungen zu hören.


Quelle:
Die Anfänge des bürgerlichen Trauerspiels in den fünfziger Jahren. Leipzig 1934, S. 257-258.
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