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[87] Nikomedien, im Mai 305.
Es ist vorüber – er ist todt! In der Nacht dem Auge des Volkes verborgen, weil man kleinherzig die Rache der Jovianer fürchtete, floß das edelste Blut, das je vielleicht auf der Erde ein menschliches Herz bewegt hatte. Ich habe mich seines Betragens nicht zu rühmen. Manche meines Geschlechts würde nie verziehen haben, was er an mir that; dennoch sage ich mit Stolz, ich habe[87] ihn geliebt, wie ich noch nie einen andern Mann geliebt habe, wie ich nie einen lieben werde.
Zwei Tage vorher sah ich ihn zum letzten Mal. Er kam, Abschied von seiner Frau zu nehmen. Und wenn ich Titons1 Jahre erreichte, so würde keine Zeit die Erinnerung dieses Anblicks aus meiner Brust vertilgen, wie er bleich, gefesselt, aber in diesen Fesseln stolz und frei zwischen den Centurionen in's Atrium trat. So mögen einst die gefangenen Könige vor den Wagen der Triumphatoren gegangen seyn. Das Herz wendete sich mir in der Brust, ein ungeheurer Schmerz zerriß mein Innerstes. Ich eilte zu Theophanien – ich wollte Zeugin des Wiedersehens seyn. Er folgte mir auf dem Fuße, in meiner Seele wiederhallte der Klang seiner Ketten. Er trat ein, er stürzte mit dem Ton des wildesten Schmerzens in die Arme seines Weibes. Ich wurde gar nicht bemerkt, und entfloh, denn es war mir nicht möglich, hier auszuhalten.
Eine tödtlich lange Stunde verschlich – die schwerste in meinem Leben, bis man endlich kam, mir zu melden, daß sich Agathokles entferne. Ich hatte es verlangt, denn ich wollte ihn noch ein Mal sprechen. Ich eilte in's Atrium. Da stand er an einer Säule gelehnt, ich rief ihn, er hörte mich nicht, nur einzelne Töne des Schmerzens drangen aus seiner Brust hervor. Meine Liebe erwachte in ihrer alten Macht; ich eilte auf ihn zu, und schlang die Arme um ihn. Was hatte ich zu fürchten![88] Er stand am offenen Grabe, und nahm mein Geheimniß mit sich. Er sah sich nach mir um, und eine Mischung von Erstaunen und sanfter Rührung malte sich in den zerstörten wilden Zügen. Er wollte seinen Arm um mich schlagen, seine Ketten verhinderten es, ich schlang sie um mich, und so von klirrenden Fesseln umgeben, und selbst durch die Seltenheit dieser Lage noch mehr gespannt, warf ich mich von Neuem an seine Brust. Lange vermochte er nicht zu sprechen – endlich fand er Worte, und dankte mir für die Liebe und Sorgfalt, die ich seiner Frau, für die Freundschaft, die ich ihm bis an seinen Tod bewiesen. Nicht Freundschaft, hub ich mit ernster fester Stimme an, nicht Freundschaft! Agathokles! Der Tod hebt alle Verstellung auf, und ich kenne deinen Edelmuth. Laß mich dir ein Geständniß thun, das ich unter keinen andern Umständen gewagt haben würde, lerne mich ganz kennen, und dann beurtheile den Werth dessen, was ich für dich that. Ich habe dich geliebt, Agathokles! von dem ersten Augenblicke unserer Bekanntschaft an mit leidenschaftlicher Wärme geliebt! – Ich schwieg, und sah ihm ernst in's Gesicht.
Er schlug die Augen nieder, und ließ die Arme sinken, die Ketten klirrten wieder, und ihr Schall klirrte in meiner Brust nach. Ein schmerzhaftes Lächeln zuckte um seinen Mund. So habe ich denn auch deinen Kummer mir vorzuwerfen! fing er nach einer Pause an. Vergib, Calpurnia! Er reichte mir die Hand. Vergib, wenn ich manche Stunde deines schönen heitern Lebens getrübt habe, wenn ich dich mißverstand, wenn vielleicht mein Betragen selbst dich berechtigte, mich falsch zu deuten! Vergib![89]
Diese Antwort war mir unerwartet. Ich schwieg verlegen. Es ward klar und kühl in meiner Seele, der Rausch des Enthusiasmus war verschwunden – aber ich mußte ihn achten. Ich reichte ihm die Hand, und sagte mit Herzlichkeit: »Glaube nicht, Agathokles, daß diese Erklärung so gemeint war. Ich mache dir keine Vorwürfe – ich habe nichts zu vergeben.« Er drückte meine Hand an sein Herz: »Du bist immer gütig, immer freundlich! Habe Dank für jede schöne Stunde, die ich in deinem Umgange genoß, für jeden Beweis der Freundschaft, den du mir und meinem Weibe gegeben hast! Entziehe sie der Unglücklichen nicht, nimm sie als deine Freundin, als mein einziges theuerstes Vermächtniß auf!« Mit Thränen der innigsten Rührung, aber gewiß ohne Leidenschaft, gelobte ich ihm, Theophanien als meine Schwester zu betrachten. Ich war jetzt wirklich seine Freundin geworden. O was hätte der Mann aus mir machen können, wenn keine frühere Verbindung eine unübersteigliche Kluft zwischen uns eröffnet hätte! Und er ist todt! –
Tiridates und Apelles, ein christlicher Priester, waren den letzten Tag viel bei ihm. Er war gefaßt, und sogar heiter, wenn die Rede nicht auf seine Frau fiel. Den Abend wendete er an, um Briefe zu schreiben, legte sich dann schlafen, und schlief noch sehr ruhig, als Tiridates gegen den Morgen in sein Gefängniß trat. Die Lictoren kamen bald darauf. Eine leichte Bewegung ward in Agathokles Zügen sichtbar, dann stand er ruhig auf, umarmte seine Freunde, gab Tiridates ein letztes Lebewohl an seine Hinterlassenen auf, und folgte den Lictoren. Seine vertrauten Sclaven empfingen ihn an der[90] Thür des Gefängnisses, die Treuen wollten ihren geliebten Herrn noch ein Mal sehen. Er redete gütig mit ihnen, gab den Meisten die Freiheit, und verwies sie auf sein Testament, das er im Kerker geschrieben hatte, und jetzt Tiridates übergab. Dann bestieg er das Todesgerüste, betete mit stiller Rührung – und so verließ der Schatten des edelsten Mannes die Erde, die seiner nicht werth war! O mein Bruder! Nie, nie wird dieser ungeheure Verlust seinen Verlassenen, seinen Freunden ersetzt werden!
Theophania war, seit dem Abschied ihres Mannes, wenig bei sich gewesen, wir wünschten sehr, daß dieser Zustand noch eine Weile dauern, und die traurige Catastrophe ihr unbewußt vorübergehen möchte. Aber es ist seltsam, obwohl es nichts als Zufall seyn kann; in der Nacht seines Todes, gegen den Morgen fuhr sie auf ein Mal aus dem Schlummer empor, nannte seinen Namen, sah uns Alle starr an, und sagte: Jetzt ist er todt. Wir suchten ihr diese Vorstellung zu benehmen, sie blieb ruhig auf ihrer Behauptung, fragte, welche Zeit es wäre, und schwieg zuletzt mit einem sonderbaren Lächeln. Als Apelles eintrat, sagte sie ihm die Stunde, in der ihrer Meinung nach ihr Mann geendet hatte. Er war erstaunt, denn sie traf ziemlich mit der Wahrheit zusammen. Apelles mußte ihr alle Umstände, jeden Blick, jedes Wort, jede Bewegung ihres Gemahls wiederholen. In dieser traurigen Beschäftigung, die mir so ganz zweckwidrig vorkam, schien sie Trost zu suchen, und fand ihn wirklich. Seitdem ist sie sich immer gegenwärtig, sie faßt sich mit unglaublicher Kraft, sie ist still, beinahe wortlos, aber sie ist bei Weitem nicht so gebeugt, und zernichtet, als ich[91] es bei ihrem Charakter fürchtete. Woher kommt diesem sonst so zagenden Wesen dieser Muth, woher die Kraft, ohne den zu leben, der ihr einst so ganz unentbehrlich zu ihrem Daseyn schien? Sollte ich glauben, daß dies die Wirkung der Schwärmerei, der Religion sey? Wie kann sie das? Wie kann der Glaube an die Götter, oder an einen Gott solche Umwandlungen, solche Wunder hervorbringen? Wenn es aber wirklich so ist, so muß die Religion der Christen von ganz anderm Einfluß auf die Gemüther seyn, als die unsrige.
Tiridates und ich haben ihr angeboten, sie mit nach Ecbatana zu führen; denn ich liebe – und verehre sie wirklich, und ihre Gesellschaft wäre mir äußerst erwünscht. Sie zieht aber vor, nach Syrien zu einer Freundin zu gehen, die sie lange kennt und liebt, und mit der viele alte Bande, auch der Religion, sie verknüpfen. Hiergegen konnte ich nichts einwenden, – und so sehe ich mit Wehmuth dem Augenblicke der Trennung entgegen. Es wird mich schmerzen, von Allem zu scheiden, was einst dem theuren Freund noch angehörte, und nichts – gar nichts mehr für ihn an seinen Verlassenen thun zu können. Ach ich fand bei dem unendlichen Verlust einen kleinen Ersatz darin, das, was ich ihm nicht seyn konnte, den Seinigen zu werden! O Lucius! Er war mir so viel, so viel! – Noch kann ich mich nicht an den Gedanken gewöhnen, daß er todt ist, noch kann ich es nicht fassen, daß ich ihn nie – nie wieder sehen soll!
Leb' wohl, lieber Bruder! Sobald Theophania im Stande ist, ihre Reise anzutreten, brechen auch wir auf. Mein Vater geht nach Rom zurück, und ich habe es geschworen, die Umgebungen dieser Stadt, in der das edelste[92] Blut vergossen ward, deren Annäherung mir nichts als Unheil gebracht hat, nie wieder zu betreten.
1 Titon, Aurorens Gemahl der von den Göttern zwar das Geschenk der Unsterblichkeit, aber nicht der ewigen Jugend erhielt, und daher endlich aus Mitleid in eine Heuschrecke verwandelt wurde.
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