17. Agathokles an Phocion.

[78] Edessa, im Junius 301.


Wenn du dir einen Begriff von der verzweiflungsvollen Lage des Verbannten machen kannst, der nach langem Irren endlich die Küsten des Vaterlandes erblickt, und im Begriff, das Ende seiner Leiden zu finden, sich auf einmal von einem furchtbaren Sturm zurückgeworfen, und an das unwirthbare Gestade eines Felsen getrieben sieht, wo er die heiß ersehnte Gegend, das Ziel seiner Wünsche beständig im Auge, vor Hunger und Elend umkommen muß, so kannst du dir ein Bild von meinem Zustande machen. Phocion! Welches unerbittliche Spiel treibt das Schicksal mit meinen Wünschen? Was hat es mit mir vor, daß es mich durch solche Prüfungen führt? Ich habe sie gefunden – ich habe Larissen gesehen! Ich lebe mit ihr unter einem Dache – und habe sie auf ewig verloren! Fassest du den Jammer, der in diesen Worten liegt? Ich bin zu bewegt, um ordentlich zu schreiben. Laß mir Zeit, mich zu fassen.

Ich habe gekämpft, ich habe auf Minuten den Sturm besänftigt, der in meinem Innern wüthet, um dir erzählen zu können. Diese Uebung meiner Seelenkräfte steht mir jetzt noch oft bevor, ich kann nicht genug eilen, um mich daran zu gewöhnen. Höre also: Vor acht Tagen kam ich nach dem Befehl des Diocletian zu Edessa bei dem Demetrius1 an. Das Hauptquartier unsers Flügels[78] ist bei dieser Stadt auf der Villa eines reichen Bürgers. Zu diesem Feldherrn hatte mich der Wunsch meines Vaters, die Genehmigung des Augustus bestimmt.

Alter Kriegsruhm, strenge Zucht und unbescholtene Redlichkeit haben ihn Beiden empfohlen, damit ich von ihm in Allem unterwiesen, würdig unter eines würdigen Mannes Anleitung meine erste Schlacht kämpfen sollte. Demetrius empfing mich, wie ich es erwartet hatte, rauh, trocken, aber mit Anstand. Die Zerstreuungen und Geschäfte meines neuen Berufs halfen mir in den ersten Pagen vergessen, was mir öfters schmerzlich einfiel, daß ich allein, von jedem theuern Wesen losgerissen unter fremden Menschen, in einer ganz ungewohnten Lage lebte. Die Gemahlin des Feldherrn, die ihren Gemahl aus Gefälligkeit und Achtung für seinen Willen begleiten sollte, wurde erwartet. Nach drei Tagen langte sie an. Ihre Gegenwart im Hause wurde durch nichts anders bemerkbar, als eine ehrerbietige Stille auf dem Flügel, den sie bewohnte, und den öftern Anblick weiblicher Sclaven die hin und her gingen. Sonst blieb sie im Gynecäum verschlossen. An der Tafel, wo sie mit ihrem bejahrten Gatten speiste, waren nur wenige Vertraute zugelassen, und selbst in den Gärten, die weitläufig um die Villa herumliegen, schien sie eigne Plätze zu wählen, die Düsternheit, Einsamkeit und ihre Gegenwart die Uebrigen vermeiden machte.

Vorgestern führten mich meine Träume in eine der wildesten Partien des Gartens, wo hohe Tannen, mit Epheu umwebt, eine finstre Laube bildeten. Die Stille, die Düsternheit des Orts lud mich ein. Ich trat in die[79] Laube, in der ich Niemand sah, und war im Begriff, mich auf die Rasenbank zu werfen, als ein Korb mit vielen Knäueln von Goldfaden, und einigen Spindeln von Purpurwolle, der auf dem Tische stand, mir in die Augen fiel. Dieser Anblick, die Einsamkeit der Scene ließ mich vermuthen, daß die Gebieterin des Hauses diesen Platz gewählt habe, und schon wollte ich mich entfernen, als ein zweiter Blick auf den Korb mich festhielt. Eine dunkle wehmüthige Erinnerung, süße halbverwischte Bilder, die immer lebhafter wurden, wachten in meiner Seele auf. Ich konnte die Augen nicht von dem Korbe wenden, es war mir, ich hätte ihn schon irgendwo gesehen, er war mir nicht fremd, und an sein Bild kettete sich eine Reihe von seltsamen Gedanken und Empfindungen, bis auf einmal die Gewißheit – es war derselbe Korb, den ich vor mehr als zwölf Jahren selbst geflochten, und Larissen am Geburtstage voll Blumen gebracht hatte – hell und erschütternd vor mir stand. In der heftigsten Bewegung ergriff ich den Korb, besah ihn einmal, und war im Begriff, ihn an meine Lippen zu drücken, als ein kleines Geräusch mich aufmerksam machte. Ich sah mich um. Eine schlanke weibliche Gestalt, in lange fließende Gewänder gekleidet, das Haupt mit einem Schleier bedeckt, trat in den Eingang der Laube, und schien vor Erstaunen gefesselt stehen zu bleiben. Auf einmal drang eine Stimme, die mein Innerstes aufregte, in mein Ohr: »Ist's möglich, sehe ich den Sohn des Hegesippus wieder? Bist du's, Agathokles?« Die Gestalt näherte sich, und schlug den Schleier zurück. O Götter, allmächtige Götter! Es war Larissa! Wir flogen einander in die Arme, wir vermochten nicht zu sprechen, wir[80] fühlten nur das Glück, uns nach acht hoffnungslosen Jahren wieder zu sehen. Auf einmal richtete sich Larissa in meinen Armen auf, ich sah ihr Gesicht mit einer tödtlichen Blässe überzogen, sie trat einen Schritt zurück, und sagte mit gebrochener Stimme: »Ich bin die Frau des Demetrius!« Ich erstarrte – mehr über ihren Anblick, als den verhängnißvollen Inhalt ihrer Worte. »Meine Larissa!« hob ich von Neuem an, und wollte mich ihr nähern. Nein! nein! rief sie, und machte mit der Hand eine Bewegung, als wollte sie mich entfernen. In dem Augenblicke wurde sie noch bleicher, ihre Kniee zitterten, sie wankte, ich umfaßte sie, und sie glitt aus meinen Armen auf die Rasenbank. »Ach Agathokles!« rief sie schmerzhaft, »warum haben wir uns jetzt gefunden?« Ich sah, daß sie einer Ohnmacht nahe war, ich strebte ihr zu helfen, ich wollte ihre Frauen rufen; »Laß,« rief sie, mit kaum hörbarer Stimme! »Laß uns allein.« Hier brach ihr Blick und Stimme, und sie sank ganz bewußtlos an meine Brust. O ihr Götter, welch ein Augenblick! Nach so vielen Leiden, so langer Entbehrung schien sie im Augenblicke des Wiedersehens an meiner Brust zu vergehen! Was ich gethan, um sie wieder zu erwecken, weiß ich selbst nicht mehr, kaum daß ich es damals wußte. Endlich schlug sie die Augen auf, sie sah mich an. – O Phocion! Was ist die Liebe, wenn sie nicht aus diesen Blicken sprach! Und doch –

Ich schloß sie fest an meine Brust, ich sagte ihr Alles, was mir mein Herz eingab. Sie hörte mich stumm aber ohne Widerstreben an, ihr Auge hing unverwandt an den meinigen. Endlich brach sie in Thränen aus. »Du hast mich nicht vergessen, meine Larissa! du liebst[81] mich noch,« rief ich entzückt. Ihr Blick wurde auf einmal finster, sie hob ihren Kopf von meiner Schulter auf, sie zog sich zurück, drückte mich mit dem Arm weg, und sagte mit dumpfer Stimme: »Nein, ich darf nicht – ich bin verheirathet.« Das Gewicht dieser Worte fiel auf mein Herz! Ich sah unser Unglück, den Abgrund, an dem wir standen. Aber Tiridates Hoffnungen strahlten durch die dunkle Nacht meiner Seele, ich näherte mich ihr wieder: Sollte denn keine Hoffnung zur Vereinigung seyn, keine Möglichkeit? sagte ich mit neuem Muthe. »Keine, keine,« rief sie gewaltsam, und ihre Thränen verdoppelten sich. Ich drang heftig in sie, sich zu erklären. Sie schluchzte, daß ihre Brust bebte. Nach einer Weile erhob sie sich. »Agathokles,« sagte sie mit himmlischer Güte, »verlaß mich, dringe jetzt nicht in mich, ich bin unfähig, mit dir zu sprechen. Wenn du mich liebst, Freund meiner Jugend! so gönne mir Ruhe. Geh', ich werde mich zu fassen suchen. Sende mir in einer Weile meine Sclavinnen, daß sie mich zurückbegleiten. Ich fühle es, ich bin nicht im Stande, das Haus zu erreichen.« Ich wollte sprechen, ich wollte sie unterstützen. Mit gerungenen Händen und einem Blicke, der mehr sagte, als ihr bang geschlossener Mund, drang sie auf meine Entfernung. Ich verließ sie, und fand mich nach einiger Zeit in meinem Zimmer wieder. Erst lange darnach vermochte ich den Begebenheiten, die mir wie ein Traum vorkamen, nachzudenken. Wenig tröstlich war, was Vernunft und Ueberlegung mir sagten; dennoch schien es mir weder möglich noch nöthig, jede Hoffnung aufzugeben. Wie viele Ehen sind mit Einwilligung beider Theile getrennt worden! Es ist nicht der Fall Sulpiciens,[82] die jung und schön den jungen Gatten, dem sie freiwillig die Hand gab, der sein Glück in ihr findet, verlassen will, um dem später Geliebten zu folgen. Es ist die Jugendfreundin des Wiedergefundenen, der heilige Rechte an sie hatte, ehe Demetrius sie kennen lernte: es ist die junge Gemahlin des kalten Greisen, der unempfindlich für ihre Vorzüge und Tugenden, vielleicht nur seine Haushälterin in ihr schätzt. Mehr scheint ihm Larissa ja nicht zu seyn, und wie bald ist so ein Platz in einem Hause ersetzt, wo die Frau keinen Platz im Herzen des Mannes behauptet! So dachte ich, so denke ich noch, und glühte vor Verlangen, mit ihr zu sprechen, ihr diese Gründe an's Herz zu legen, über unser Schicksal mich mit ihr zu berathen. Phocion! Welch unbegreifliches Betragen! Welche erstarrende Kälte! Seit vorgestern habe ich sie, die mit mir in Einem Hause lebt, die mich einst so sehr liebte, die mich noch zu lieben schien, die wissen muß, welchen Qualen sie mein Herz preisgibt, mit keinem Auge mehr gesehen! Ich weiß, daß sie sogar die Gärten, sonst ihren Lieblingsaufenthalt, seitdem nicht mehr betreten hat, um mir nicht zu begegnen! Wie ist dies Benehmen zu erklären, wie zu vertheidigen? Verdiene ich nicht einmal, daß man mit mir spricht, daß man sich die Mühe nimmt, die dunkeln Räthsel unsers Verhältnisses zu lösen, und nur wenigstens zu sagen: Lieber Freund! meine Liebe ist erstorben; das, was mich im ersten Augenblick erschütterte, war Ueberraschung, übrigens haben wir nichts mit einander zu besprechen, du nichts zu hoffen. Wie ist sie dazu ge kommen, einem Greise, den sie nicht lieben kann, die Hand zu reichen? Was ist aus ihrer Familie geworden? Man gibt doch dem gleichgültigsten Bekannten[83] aus der Vaterstadt, den man in der Fremde trifft, freundlichen Bescheid um alte Verhältnisse und Freunde. Ich will ja nichts mehr, ich will ja nichts mehr von Larissen, der Frau des Demetrius; nur die Tochter des Timantius, die Nachbarin soll mir erzählen, was aus der Gespielin meiner Kindheit, aus ihren Eltern, ihren Brüdern geworden ist. Das kann doch ihre Pflicht gegen Demetrius nicht verletzen. Sie thut es nicht: also will sie nicht – also bin ich ihr nichts, gar nichts mehr! – O Phocion! Das ist denn nun die ersehnte Entwicklung lange verwirrter Schicksale! Leb' wohl!

Fußnoten

1 Edessa, eine Stadt in Mesopotamien.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 31, Stuttgart 1828, S. 78-84.
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