3. Calpurnia an Sulpicien.

[14] Rom, im Jänner 301.


Bald hätte mich dein Brief böse gemacht, wenn ich dir überhaupt jemals zürnen könnte, und wenn mich nicht die feinen Schmeicheleien am Ende wieder besänftiget hätten. Von dir sage ich also nichts mehr. Du scheinst es nicht zu wollen – und kannst auch jetzt nicht hören. Dir darzuthun, daß die Leidenschaft, die dich beherrscht, deine gesunde Vernunft gefangen halt, und dich Alles durch das gefärbte Glas ihrer Eingebungen ansehen läßt, würde eben so vergeblich seyn, als wenn ich mich jetzt an's Ufer des Meeres hinstellte, um den Fischen den Homer vorzulesen. Alles, was ich hinzufügen will, ist der fromme und gewiß herzliche Wunsch, daß die Bezauberung, in der ich dich zu meiner Betrübniß sehe, eher aufhören möge, als es für deine Ruhe zu spät ist.

Nun also von mir und unserm Gastfreunde. Wie kannst du glauben, daß ich dir etwas verschweigen wollte? Gewiß, der Gedanke kam nicht in meine Seele. Ich schrieb dir nicht von ihm, weil – weil ich nicht an ihn dachte, weil deine Angelegenheit mich zu sehr beschäftigte, um andern Gedanken Raum zu lassen. Du nennst ihn einen Sonderling, darin hast du vollkommen Recht – aber auch einen liebens würdigen? O da fehlt noch viel! Erstlich ist seine Gestalt, obwohl edel und bedeutend, doch[14] nichts weniger als schön. Zweitens ist seine Art, sich zu kleiden, viel zu einfach, ja beinahe nachlässig, und er wird nie zwischen allen den schöngelockten, geschmückten, von Salben duftenden Jünglingen, die uns umschwärmen, einen vortheilhaften Eindruck machen. Drittens ist mir seine Tugend und Philosophie zu rauh, zu düster. Er kömmt auch mit Niemand besser aus, als mit deinem Vater. Ich wünschte, du wärst einmal gegenwärtig, wenn diese zwei glühenden Republikaner, diese geschwornen Feinde der Tyrannei, mit einander eifrig reden. Der Contrast der Wirklichkeit mit ihren Ideen erhitzt ihre Einbildungskraft noch mehr, sie ergießen sich in bittern Tadel der jetzigen Zeit und Sitte, und erheben die Vergangenheits mit den ungemessensten Lobsprüchen. Dann bekömmt die Haltung unsers Gastfreundes etwas so hohes, edeltrotztges, sein dunkles Aug' sprüht Funken, sein sonst bleiches Gesicht überzieht eine so feine Röthe, und um seinen Mund, der überhaupt nicht unangenehm ist, bildet sich ein so lieblicher Zug, daß man in solchen Augenblicken versucht wäre, den begeisterten Redner für hübsch, und das, was er sagt, für nicht ganz so abenteuerlich und überspannt zu halten, als sonst. Aber das sind nur Augenblicke, und so, wie er schweigt, und man Zeit hat, über seine Behauptungen nachzudenken, sieht man ihre Unstatthaftigkeit ein. Ich weiß übrigens wenig – beinahe nichts von ihm; denn mit mir spricht er nicht viel. Ich stehe viel zu tief unter den hohen Idealen der Lucretien, Portien u.s.w., die seinem Geiste vorschweben. Schon der erste Eindruck, den ich auf ihn machte, muß höchst ungünstig für mich gewesen seyn. Mein Vater führte ihn zu mir, als ich eben – ich muß gestehen – ziemlich nachlässig[15] gekleidet, und ein milesisches Mährchen1 in der Hand, auf meinem Ruhebette lag. Welch ein Abstand von jenen Matronen! Welche Versündigung an seinen Grundsätzen! Wie könnte ein so leichtfertiges Ding vor so strengen Augen Gnade finden! Du wirst dein Glück bei ihm machen – und ich – werde dich sicher nicht beneiden.

Eins habe ich an ihm bemerkt, und es sollte mir leid thun, wenn ich richtig gesehen hätte; denn bei allen seinen Sonderbarkeiten halte ich ihn für einen achtungswürdigen Mann. Er scheint einen geheimen Kummer zu haben. Diese trübe Ansicht des Lebens, diese strenge Abneigung von allen Freuden der Welt und der Jugend ist bei einem geistvollen, im Schooße des Glückes gebornen jungen Manne sonst nicht zu erklären. Auch bestätigen manche seiner Aeußerungen diese Vermuthung. Wenn sie gegründet wäre – wie gesagt – es würde mir sehr leid thun. Erkundige dich doch darüber bei Tiridates, und schreibe mir noch, ehe du Bajä verlässest. Leb' wohl.

Fußnoten

1 Milesische Mährchen hießen die kleineren Erzählungen und Romane jener Zeiten, deren Gegenstand die Liebe, und nicht immer die platonische war.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 31, Stuttgart 1828, S. 14-16.
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