46. Agathokles an Phocion.

[38] Nikomedien, im August 302.


Du wirst erstaunen, mitten im Laufe des Kriegs, wo du mich beim Heere vermuthest, einen Brief von mir aus Nikomedien zu erhalten. Ich bin seit gestern hier, und erwarte alle Augenblicke abgesandt zu werden. Eine seltsame, eine glänzende Reihe von Begebenheiten hat sich in den letzten Tagen zusammengedrängt, und mich aus dem Dunkel meiner Lage hervorgerissen. Dir zu erzählen, wie rasch, wie erschütternd, wie erhebend Alles auf einander folgte, soll die Beschäftigung meiner Muße seyn, während ich in einem Gemache des kaiserlichen Palastes auf meine Abfertigung warte.

Eingedenk der erlittenen doppelten Schmach sann Galerius im finstern Gemüth darauf, durch einen entscheidenden Schlag dem übermüthigen Perser die verspottete[38] Macht der römischen Heere, und dem ungerechten Augustus den Werth desjenigen, den er straflos beleidigen zu können geglaubt hatte, mit nie empfundenem Nachdruck zu zeigen. Er entwarf einen kühnen, aber großen Plan. Menschenleben und Forderungen der Natur kamen nicht in Anschlag: sein Weg ging über sie hin. Durch Sandwüsten und unwirthbare Gegenden führte er das Heer in überstrengten Märschen und erstaunenswürdiger Eile bis in die Gebirge Armeniens, und stand auf einmal weit über und hinter den nichts ahnenden Persern jenseits des Euphrats. Die Erfahrungen dieses Marsches werden mir ewig im Gedächtnisse bleiben. Sie waren hart, aber groß und erhebend. Constantin, kaum von seiner Wunde so weit hergestellt, daß er die Bewegung des Reitens vertragen konnte, Tiridates zu Pracht und Wollust erzogen, selbst Galerius, den Alter und Würde von den größern Beschwerden des Kriegesdienstes freisprach, trugen, duldeten und entbehrten, wie die gemeinsten Krieger. Ihr Beispiel ermunterte das Heer, und willig und muthig folgte der Soldat dem Führer, der nichts vor ihm voraus hatte, als die größere Sorge für die ihm untergebene Schaar. Es war ein römisches Heer, es war eines Imperators, würdig der vergangenen bessern Zeiten, und freudig erhob sich der Geist im Anblick dieser kräftigen Gemüther, dieser Anstrengungen zu einem großen Zweck, dieses Verschwindens kleiner Absichten vor dem gemeinen Wohl. Mit Achtung und Freude sah ich Tiridates handeln, mit Ehrfurcht und Liebe meinen Constantin, mit Bewunderung den betagten Cäsar.

Ein empfängliches Gemüth wird durch solche Beispiele unwiderstehlich hingerissen, und oft erwachen Kräfte in[39] ihm, die er vorher selbst nicht kannte. So groß ist die Macht des Guten und der Tugend! Kundschafter hatten das persische Heer von unsrer Annäherung unterrichtet, es wandte sich uns eilig entgegen, aber es vermuthete uns nicht so nahe. Unbesorgt um eine Gefahr, die sie entfernt glaubten, schlugen sie in der Nacht ihre Gezelte auf, und ruhten von den Beschwerden zweier Tagemärsche aus. Dies hatte Galerius erwartet. Ein Angriff in, der Nacht ist für die Perser eine halbe Niederlage1. Ihre Pferde stehen abgesattelt, angebunden, sie selbst, mit dem Troß und Geschleppe der Bequemlichkeit und Wollust im Lager überhäuft, können sich nicht frei bewegen. Constantin erhielt den schwersten Posten. Ihm den größten Theil des Ruhms zu lassen, war der schöne Vorwand, unter welchem der Cäsar ihm wenige Stunden vor der Schlacht seine Instruction übergab; vielleicht mochte eine gehässigere Absicht zum Grunde liegen. Beim Einbruche der Nacht nahte sich Constantin schweigend und ernst, wie sie, von einer kleinen treuen Schaar, die er sich selbst erlas, begleitet, dem Lager der Perser. Wir erstiegen den leichten Wall, der es umgab. Niemand hörte uns. Die äußern Wachen fielen lautlos unter unsern Streichen; mit Besonnenheit und Vorsicht drangen wir vorwärts, als jetzt auf zwei Seiten, der Verabredung gemäß, Tiridates und Galerius mit wildem Getöse von Außen das Lager stürmten. Auf einmal war Verwirrung und Lärmen allgemein, und die Perser, die sich nur gegen einen äußern Feind vertheidigen zu müssen glaubten, sahen ihn[40] auf einmal in ihrer Mitte. Die Niederlage war vollkommen. Das ganze Lager, alle seine Schätze, eine Menge Gefangener, und unter diesen die Frauen des Narses wurden unsre Beute. Narses selbst entkam verwundet und nur mühsam den Händen des kühnen Tiridates, der ihn wüthend verfolgte. Erst der anbrechende Tag zeigte unsern ganzen Sieg, die ganze Niederlage der Perser. Aber auch von den Unsrigen waren viele gefallen. Der Tribun der Cohorte, unter der meine Centurie stand, sank an meiner Seite; ich übernahm seine Stelle in der entscheidenden Nacht. Am Morgen gefiel es meinen Gefährten, mich auf dem Wahlplatze zum Tribun zu erwählen. Ihr Zeugniß war ehrenvoll. Constantin erhielt vom Cäsar, den Siegeslust und gestillte Rache milder machten, die Bestätigung dieser Wahl, und den Vorzug für mich, als Siegesbote nach Nikomedien gesandt zu werden.

So bin ich mitten in der vorigen Nacht, wenige Tage nach dem Gefecht, in ununterbrochenem Jagen hier angekommen. Der Kaiser ließ mir befehlen, öffentlich einzuziehen, und schickte eine Abtheilung der Jovianer2, Offiziere und Soldaten in schimmerndem Schmucke, um mich abzuholen, und zu begleiten. Ich bin kein Freund von öffentlichen Schaustellungen; diesmal indeß benahm die allgemeine Wichtigkeit der Botschaft diesem Auftrag einen Theil seiner Unannehmlichkeit. Ganz Nikomedien hatte sich vor die Thore und in die Straßen ergossen, um[41] den Siegesboten zu sehen; mancher Jugendgespiele, mancher alte Bekannte, den Freude und Neugier herbeigelockt hatte, bewillkommte mich freundlich unter dem frohlockenden Haufen, der dem Augustus und dem siegreichen Cäsar laut zujauchzte. Mein Herz war erweitert und angenehmen Eindrücken geöffnet. Von der Terrasse3 ihres Hauses begrüßten mich Calpurnia und ihr Bruder. Eine seine Röthe überzog ihr Gesicht, als ich ihren freundlichen Gruß mit Achtung und Freude beantwortete. Mir war wohl, ich gab mich dem schönen Zauber hin, der mich umfing, bis im Palast des Kaisers die orientalische Despotenpracht mein Herz beklemmend einengte. Ich kam von einem römischen Heere, gesandt von einem Imperator, der, würdig der bessern Vergangenheit, nichts als der erste Krieger seines Heeres war – ich war Zeuge, Genosse jener Anstrengungen und Entbehrungen gewesen – und wie eine Last drückte das goldne Getäfel, die schimmernden Wände, die Pracht, die sich um einen Einzigen hier aufthürmte, auf meinen Geist. Die Gegenwart des Proconsuls im Gemache des Kaisers verschaffte mir eine Art von Erquickung. Der Augustus hörte mich gnädig an, und ich muß mir gestehen, daß der durchdringende Verstand, das scharfe Urtheil, die vollkommenen Kenntnisse, die er in diesem Gespräche äußerte, mir unwillkührlich Achtung abzwangen, und mich zum Theil meinen Widerwillen gegen seinen Hochmuth vergessen machten.

Sehr verbindlich erkannte er meine Beförderung zum[42] Tribun an, und fügte noch ein kostbares Geschenk hinzu. Warum mußte er das thun? Warum müssen die Großen jeden Dienst, der dem Vaterland geschah, abzahlen, und mit einem Geschenk, das, wie groß es auch für den Beschenkten seyn mag, dem Geber nichts mehr gilt, als ein Sandkorn, das ihm unbewußt von dem aufgethürmten Haufen seiner Güter herabrollt!

Lucius Piso behandelte mich mit Liebe und Achtung, er lud mich zu sich, ich nahm es gern an, denn außer meinem Vater habe ich ja sonst Niemand mehr in Nikomedien, der an meinem Schicksal Theil nimmt, dem ich Etwas bin – als sein Haus. Mein Vater empfing mich mit großer aber prunkvoller Freude, und bedauerte nur, daß die kurze Zeit meines Aufenthalts ihm nicht gestattete, die glänzendste Begebenheit seines Hauses durch ein Fest zu feiern; doch nahm er sich vor, das Versäumte nächstens nachzuholen. Ich widersprach nicht, und bemühte mich in Allem, was er that und sagte, nichts als die väterliche Liebe zu sehen, die seinen Aeußerungen zum Grunde lag, die nur die Farbe seines Charakters trug. Er war so vergnügt; wie hätte ich ihm widersprechen können? Er liebt mich, und ist das nicht das Beste, das Schönste, was der Mensch dem Menschen geben kann?

Der Proconsul kam mir schon im Atrium mit Calpurnien und seinem Sohne entgegen. In die herzliche Freundschaft ihres Betragens mischte sich eine zarte Achtung, die, statt uns einander fremd zu machen, den Aeusserungen gegenseitiger Zuneigung einen höhern Reiz gab. Die Scheidewand, die Mann und Jüngling trennt, schien heute zwischen dem Vater und mir gesunken, Calpurniens Bruder behandelte mich mit achtungsvoller Freundschaft,[43] und sie – höchst sittsam, beinahe matronenmäßig gekleidet, und in heiterer Gesprächigkeit gleich weit von Ansprüchen entfernt, schien mir ganz liebenswürdig. Ich war vergnügt, und kein Mißton störte die stille Harmonie meiner Seele. Nach Tische entschlüpfte uns Calpurnia unbemerkt. In einer halben Stunde ließ sie uns rufen. Eine junge Sclavin in Nymphentracht führte uns durch mehrere Gemächer und Gallerien bis in einen Saal des Hintergebäudes. Wir traten hinein, eine liebliche Dämmerung und süße Düfte umfingen uns. Am Ende des Saales war eine Art Bühne, blos durch blühende Orangenbäume und Blumengewinde gebildet, und auf eine wunderbare Weise durch Lampen erleuchtet, die selbst verborgen nur durch ihre zauberische Wirkung bemerkbar wurden. Eine angenehme Musik ertönte, und Calpurnia in einem Anzuge, der die ganze Schönheit ihrer Gestalt zeigte, ohne dem strengsten Sittenrichter Anlaß zum Tadel zu geben, schwebte, von Nymphen begleitet, als Venus Urania herein. In einem sinnreichen Tanz drückte sie die Gesinnungen aus, die ihr als dieser Göttin zukamen. Die Nymphen brachten ihr Lilien und Orangenblüthen, sie wand weiße Kränze als Sinnbilder der Unschuld daraus. Mitten in diesen Beschäftigungen ertönte von fern und immer näher und näher dieselbe kriegerische Musik, die mich heute bei meinem Einzuge in die Stadt begleitet hatte, und in dem gleichen Augenblicke gaukelte eine Schaar Liebesgötter aus den Gebüschen hervor. Kränze von Rosen, die sie trugen, Köcher und Pfeile, Schalkheit und Muthwille charakterisirten sie als die Kinder der gewöhnlichen Cythere. Unwillig empfing sie Urania. Sie bedeuteten ihr, was diese Musik anzeige, wer komme,[44] und daß sie dem Zuge entgegen eilen wollten. Urania schien ihr Vorhaben zu mißbilligen, sie zu warnen. Die Knaben eilten achtlos fort, aber nicht lange, so kamen sie – die Kränze zerrissen, Pfeil und Bogen zerbrochen zurück, schienen Uranien zu klagen, wie übel sie empfangen worden waren, und entflohen endlich auf ihr strenges Geheiß. Jetzt sandte sie ihre Nymphen mit den weißen Blumenketten ab, sie entschwebten in einer lieblichen Gruppe, und Venus Urania drückte in einem pantomimischen Tanze ihre Erwartung und Ungeduld, wie diese Sendung aufgenommen werden würde, aus. Auch diese Mädchen kamen traurig zurück, sie hatten ihre Kränze noch unversehrt, aber sie drückten in ernsten mitleidigen Stellungen aus, daß auch ihre Geschenke keinen Eingang in ein traurendes Herz gefunden hatten. Gerührt und mitleidsvoll setzte nun die Göttin sich auf einen Rasensitz und schien nachzusinnen. Plötzlich sprang sie wie begeistert auf, winkte den Nymphen, enteilte mit ihnen, und indeß die Musik des Marsches fortwährte, kam sie, jedes Zeichen der Venus Urania abgeworfen, geharnischt und behelmt, als Göttin Roma4 zurück. Die Victoria in der Rechten, einen Lorbeerkranz in der Linken haltend, und von ihren Nymphen begleitet, eilte sie gerade auf mich zu, und erhub die Hand, um mir den Kranz aufzusetzen. Ich war betroffen, gerührt, erschüttert, und indeß eine wehmüthige Erinnerung, durch die Pantomime der zurückkehrenden Nymphen erregt, mein Innerstes durchzuckte, schlang so viel schmeichelnde Güte, so viel[45] herzliche Achtung sich tröstend und milde um mein Herz. Aber ihren Kranz konnte nur die Eitelkeit annehmen. Ich wich zurück, ich wollte ihre Hand ergreifen – da umringten mich die Begleiterinnen, und indem ein Chorgesang anfing, der mir sagte, daß nicht die Liebe, nicht die Freundschaft, nur das Vaterland mich lohnen können, und ich starr und wie bezaubert dastand, wand sie mit beiden schönen Armen mir das Lorbeerreis um's Haupt. Nun eilten Vater und Bruder auf mich zu – der Chorgesang erhub sich lauter im Einklange mit der kriegerischen Musik, ich fühlte Thränen in meinen Augen, ein theures verklärtes Bild schwebte freundlich vor mir, und im Gedränge so viel gemischter Empfindungen gab ich mich willenlos dem schönen Eindruck hin, den das Ganze auf mich machte, und der mein Herz nicht verfehlen konnte. Calpurnia ergriff meine Hand, und führte mich an die Thüre, sie öffnete sich, wir standen im Garten, der im Abendschimmer duftend und glänzend vor uns lag. Jetzt erst beim Tageslichte sah ich, wie schön sie im Helm und Harnisch – ein zauberisches Mittelwesen zwischen Venus und Pallas war. Sie behielt ihren Anzug, sie mochte wohl, wissen, warum – übrigens blieb sie sich gleich, heiter, freundlich, anspruchslos, und schien den Sinn ihres bedeutungsvollen Schauspiels ganz vergessen zu haben. Ich konnte das nicht, und so war es mir lange nicht möglich, den Ton zu finden, in welchem ich mit diesem seltnen, gefährlichen und doch achtungswürdigen Wesen sprechen sollte. Eben fing ihre Unbefangenheit an, mir die meine wiederzugeben, als der Befehl des Augustus mich abrief – vielleicht sehr zur Zeit.

Noch diese Nacht reise ich ab, und werde Nikomedien[46] so bald nicht wieder sehen. Ich denke, das muß ich – denn es ist nicht gut, in gewissen Umgebungen viel zu seyn, wenn man beständig weder darin seyn kann, noch will. Was in mir vorgeht, und welchen Eindruck die heutigen Scenen in mir hinterließen, sollst du aus dem Lager hören.

Fußnoten

1 Ebenfalls geschichtlich, so wie die Folgen dieser Schlacht, Narses Verwundung, und der durch den Apharban geschlossene Frieden.


2 Jovianer und Herkulianer waren die Benennungen zweier illyrischen Legionen von geprüfter Treue, welchen Diocletian, um den Uebermuth der Prätorianer zu mäßigen, den Dienst der Leibwachen übertrug.


3 Die Häuser im Orient hatten, und haben noch größtentheils platte Dächer, die in den kühlen Stunden zum Luftschöpfen und Spazierengehen dienen.


4 Rom hatte seine eigene Göttin, der unter diesem Namen Tempel erbaut wurden. Sie wurde verschieden abgebildet, unter andern aber auch mit einer Victoria in der Hand.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 33, Stuttgart 1828, S. 38-47.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Fräulein Else

Fräulein Else

Die neunzehnjährige Else erfährt in den Ferien auf dem Rückweg vom Tennisplatz vom Konkurs ihres Vaters und wird von ihrer Mutter gebeten, eine große Summe Geld von einem Geschäftsfreund des Vaters zu leihen. Dieser verlangt als Gegenleistung Ungeheuerliches. Else treibt in einem inneren Monolog einer Verzweiflungstat entgegen.

54 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon