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[79] Samosata, im September 302.
Das Geräusch ist vorüber, es ist wieder still in mir, und so wie die Seele, sich selbst überlassen, nach und nach in ihre vorige Stimmung zurückkehrt, kehren auch ihre gewohnten Empfindungen zurück. Der Aufenthalt in Nikomedien mit all' seinem Glanz, seinem prunkenden Geräusch liegt wie der Traum einer kurzen Sommernacht hinter mir. Die Eindrücke, die er hervorbrachte, verklingen allmählig, die Bezauberung entflieht, der Geist sieht wieder hell und richtig. Nein, das ist nicht die Liebe, die mich glücklich machen kann. Ach diejenige, welche diese Empfindung für mich in dem treuen wahren Herzen trug, schläft unter dem Hügel von Trachene! Sie hätte mir kein Fest gegeben, sie hätte die kurze Zeit unsers Beisammenseyns nicht durch ein Schauspiel noch mehr verkürzt, in dem nur ihre Talente und ihre Schönheit staunenden Beifall einernten sollten. Larissa wäre an meine Brust gesunken, sie hätte nach meinen Gefahren,[79] meinen Leiden gefragt, sie hätte mich geliebt, und Calpurnia wollte mich blenden und fesseln.
Wie war es möglich, diese Deutung in das Fest zu legen, sich als meine Freundin zu erklären, deren sorgliche Liebe nur den höhern Ansprüchen des Vaterlandes weicht, und in einer Stunde darauf Alles das rein zu vergessen, oder wenigstens den Anschein haben zu wollen, als hätte man es mit allen Eindrücken, die es hervorbringen mußte, vergessen? O wenn es Liebe gewesen wäre, was sie hinriß, sich selbst zu vergessen, und ihr Herz unverhüllt zu zeigen – wie hätte sie's vermocht, meinem wirklich bewegten Gemüthe so kalt und ruhig gegenüber zu stehen, und wenige Minuten nach dem bedeutungsvollen Fest nichts als eine leichte fröhliche Gesellschafterin zu seyn? Es war Eitelkeit, nichts als Eitelkeit, sie wollte einen gewaltsamen Eindruck auf mich machen, aber die Regungen nicht theilen, die er in mir hervorbrachte. Wie klein, wie kalt erscheint mir ihr Bild! Laß mich davon abbrechen! Ich schäme mich, auch nur für einen Augenblick dem Zauber unterlegen zu seyn.
Du scheinst, mein väterlicher Freund! nicht ganz zufrieden mit meinen Ansichten des Christenthums, und noch weniger mit meiner Neigung, ein Bekenner desselben zu werden. Es ist schwer, in Briefen Alles zu erschöpfen, was sich für oder wider eine Sache von so vieler Wichtigkeit sagen läßt; ich will also nur einige deiner Einwürfe zu beantworten suchen. Du wirfst diesem System vor, daß es auf bloße Tradition gebaut, durch Wunder unterstützt, und in undurchdringliche Geheimnisse gehüllt sey, die des menschlichen Verstandes zu spotten scheinen. Was die Tradition betrifft, so erging es dem[80] Urheber dieses Systems nicht anders, als dem weisen Sokrates, Pythagoras und den meisten Stiftern berühmter Secten und Glaubensformen. Von ihrer Hand besitzen wir wenig oder nichts. Alles, was aus der Ferne der Zeiten zu uns herübertönt, sind einzelne Laute, aus ihrem oder ihrer ersten Schüler Mund, aufgezeichnet von Entfernteren, selten von Zeitgenossen, oder Augenzeugen. Die Christen besitzen doch wenigstens in den sogenannten Evangelien viele Sprüche, Lehren, Thaten und Meinungen ihres Meisters, seine Biographie von seiner Geburt bis an seinen Tod. Wenn wir dem Zeugnisse der Geschichte überhaupt Glauben beimessen, so müssen wir es auch diesen einfachen Erzählungen anspruchloser Menschen, denen es an Geschicklichkeit sowohl zum bessern Vortrag, als zur listigern Einkleidung gebrach. Hätten sie zu täuschen vermocht, oder es gewollt, wahrlich, die Gegner würden weniger einzuwenden haben, und das geflissentlich künstliche Gebäude weniger Blößen geben. Daß sie es nicht thaten, daß der grübelnde Verstand Manches an diesen nicht ganz gleichlautenden Zeugnissen aufzufinden weiß, was er haarscharf sichten, und zergliedern will – das bürgt mir für ihre Wahrheit. Die Jünger sahen ihren göttlichen Lehrer handeln, leiden, sterben, und wie sich diese Erscheinung in den Augen vier verschiedener einfacher Menschen spiegelte, wie die Erzählungen jener Begebenheiten, wovon sie nicht selbst Zeugen waren, mit den gewöhnlichen kleinen Veränderungen Jedem erzählt, und von ihm aufgefaßt wurden: so zeichnete sie Jeder, unbekümmert um das Urtheil der Nachwelt und die scharfe Kritik späterer Gelehrten, zur Erbauung der Gemeinde auf, der er vorstand.[81]
Ueber die Wunder kann ich dir nichts sagen. Manche lassen sich natürlich erklären, bei andern, so wie bei dem Geheimnisse der Geburt und Natur des Stifters, steht unser Verstand still. Wir können es nicht begreifen – aber müssen wir es denn begreifen? Wie viele tausend Erscheinungen gehen in der physischen und moralischen Welt vor, wir fühlen ihre Wirkung, aber wir begreifen ihre Entstehung nicht. Mit fruchtloser Mühe zerarbeitet sich der menschliche Witz, diese Beobachtung unter Regeln und in Hypothesen zu bringen – und wie spottet die Größe und Erhabenheit der Natur dieser armen Abtheilungen, Unterabtheilungen und spitzfindigen Erklärungen durch die geheimnißvolle Art, wie sie ihre Gesetze befolgt, daß alle Augenblicke Lücken und Blößen in den künstlich errichteten Systemen entstehen? Werden wir weniger an das Daseyn des Windes, des Donners, der Erderschütterungen glauben, weil wir nicht wissen, woher sie kommen? Werden wir weniger Maaßregeln dagegen ergreifen, weil uns ihre Natur unbekannt ist? Gewiß nicht. Auf unser Verhalten wird der Zweifel, in dem sie uns lassen, keinen Einfluß haben. Eben so verfährt der redliche Christ. Das, was für unser Leben anwendbar ist, was uns besser, edler macht, was den Frieden in uns erzeugt, das ist's, was wir annehmen und befolgen müssen. Das sind die segensreichen Wirkungen dieser Lehre – das Uebrige ergreift der kindliche Glaube, ohne sich um seine Ergründung zu bekümmern.
Ich habe dir bereits in manchen meiner Briefe über die christliche Moral geschrieben. Ich bin überzeugt, daß sie die reinste ist, die bisher auf der Erde gelehrt wurde, daß sie so ganz für das jetzige Zeitalter, für den Stand[82] unsrer Cultur, die gegenwärtige Lage des Menschengeschlechts paßt, daß schon hieraus ihr göttlicher Ursprung sich beweisen ließe, wenn ihn auch keine früheren Zeugnisse bestätigten. Die Gottheit, die das Schicksal der Menschheit lenkt, die weiß, zu welcher Zeit, und auf welche Art ihre Schwäche unterstützt, ihrem Verderben gesteuert werden soll, hat in dieser Epoche diese Religion entstehen lassen. Sie sandte einen Göttersohn, sie zu lehren. Was finden wir hierin Sonderbares, wir, die wir unter Mythen von Heroen und Göttersöhnen aufgewachsen sind, die die Menschen zur Zeit der Noth retteten, die Erde von Ungeheuern befreiten, den Zorn der Götter versöhnten? Ist der Begriff eines einzigen Gottes anstößiger, als der von unzähligen Söhnen unzähliger Götter? Und welche Religion hätte nicht solche Verkörperungen überirdischer Wesen, die zum Besten der leidenden Sterblichen den Sitz der Seligen verließen? O der Gedanke liegt so tief in dem Herzen des Unglücklichen. Und welcher Sterbliche ist glücklich? Die Gesetze der Natur, die physischen Revolutionen gehen achtlos über den Ruin seiner Habe, seines Lebens hin – sie vermag kein Flehen zu beugen, ihrem Gange setzt keine Klugheit Schranken. Die Laster, die Verderbtheit seiner Mitmenschen züchtigt ihn mit noch schärferen Ruthen, er muß büßen, was Andere verschuldet haben; er wird hingeopfert, weil ein Uebermüthiger schwelgen will – weil ein Rasender das Unmögliche fordert, bluten Myriaden auf dem Schlachtfelde. O wohin soll der verfolgte geängstete Mensch sich wenden, als zu der unsichtbaren Macht, die stärker ist, als die Natur und die bösen Menschen? Er flieht dahin, er ringt im Gebete mit ihr – und sie sendet ihm einen Retter.[83]
Ströme von Menschenblut haben die Gefilde Hesperiens, die Felder von Pharsalus, von Gallien, Syrien, von allen Provinzen des römischen Reichs getränkt. Tausend einzelne Schlachtopfer sind dem Neid und Verdacht der Triumvirn, der Wuth der Prätorianer, der wollüstigen Grausamkeit eines Tiberius oder Caligula gefallen – und wenn Zehntausende ihr Leben einbüßten, so verjammerten es Dreißigtausende im Elend oder Schmach, weil sie ihre Stützen, ihr Glück in Jenen verloren hatten. Der Koloß des unermeßlichen Reiches naht seinem Umsturz. Auf allen Enden kracht das morsche Gebäude, alle Säulen schwanken, alle Grundvesten sind erschüttert, und mit ungeheurer Kraft dringen ungeschwächte Horden von Barbaren in Nord und Ost auf die untergrabenen Mauern los; bald werden sie sie eingestürzt haben, und die schönen Provinzen mit Mord und Raub erfüllen. Was bleibt dem Menschengeschlecht dann übrig? Werden jene Truggestalten einer üppigen Phantasie, jene armseligen Erfindungen des kindischen Weltalters gegen die Schrecken aushalten? Wird der rohe Aberglaube, der, unbegreiflich genug, neben dem leichtsinnigsten Unglauben besteht, dem Menschen Trost und Muth gewähren? Kann er, wenn sein Glück zertrümmert ist, mit Zuversicht Hülfe von den Bildsäulen hoffen, die er mit schwelgerischen Mahlzeiten, oder lächerlichen Ceremonien ehrt? Werden ihn die Zauberformeln beruhigen, die thessalischen Weiber für ihn sprechen? Und wenn kein Mahl, kein Opfer mehr der Götter Zorn stillt, wird er gelassen und freudig in die öden Wohnungen der Nacht, des Nichts hinabsteigen? Die tägliche Erfahrung zeigt uns, daß die Volksreligion nicht mehr gegen die eindringenden Uebel Stand halten[84] kann. Die Menschheit muß wiedergeboren werden durch eine Religion, die dem Verderbniß der Sitten durch strenge Moral, dem Egoismus durch Einschärfung der Nächstenliebe, der Verzweiflung durch festen Glauben an eine bessere Welt wehre. Diese Religion ist das Christenthum – und sie leistet Alles, was der Menschenfreund für das Zeitalter wünschen kann.
Doch, mein Brief ist eine Abhandlung geworden. Zürne der Weitläuftigkeit nicht, mit der ich dir gern von jedem Beweggrunde meiner Handlungen und meiner Ueberzeugung Rechenschaft geben möchte, und lebe wohl, bis ich Zeit finde, dir noch mehr zu sagen.
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