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[85] Mantua, im September 302.
Florianus! Florianus! Deine Valeria lebt noch! Sie ruft dir zu – es ist ihr möglich geworden, dir ein Zeichen ihres Lebens zu geben. O die Verzweiflung war ihr mehr als einmal nahe, während ein endloses Jahr vorschlich, ohne daß ihre Liebe und List ein Mittel gefunden hatte, die engen Schranken zu zerbrechen, die sie fest umschließen, und so unendlich fern von dir halten. Wund haben sie mein Herz längst gedrückt. Wenn ich in verzweiflungsvollen Tagen keine Hoffnung sah, eine Spur meines Daseyns bis zu dir zu bringen – wünschte ich sie noch fester, noch enger, daß sie mich ganz erdrückt hätten! Wirst du mir zürnen, Florianus? Ich hatte mehr als einen Versuch gemacht, dem Leben, das als eine unerträgliche Last auf mir lag, zu entfliehen. Es war nicht recht – der Gedanke schreckte mich zurück. Du hast mich in einer Lehre unterwiesen, die den Selbstmord verdammt. Du hast es mir in Britannien, als man uns zuerst trennte, als ich dir diese letzte Rettung so manches edlen Menschen der Vorwelt auch zu unserer vorschlug, streng verwiesen. Mit einander sterben! Süsses[85] Loos! Es schmerzt nicht, würde ich wie Arria1 gesagt haben, und gewiß eben so freudig. Aber du wolltest nicht – und ich brachte dir das größere Opfer – ich bin von dir getrennt, und lebe noch.
Durch wie viel Städte man mich geschleppt hat, seit in jener fürchterlichen Nacht mein Vater an mein Bette trat, mir befahl aufzustehen, mich anzukleiden, als die Mutter weinend hereintrat, ich Alles zur Abreise fertig sah, der Vater mir den Mantel überwarf, als keine Frage, keine verzweifelnde Bitte Antwort erhielt, keine offenbare Widersetzlichkeit der höhern Gewalt zu entfliehen vermochte, das weiß ich nicht. Als ich aus einer tiefen Ohnmacht erwachte, war ich auf dem Schiff – sah ich die Küsten der theuren Insel weit hinter mir. Dann wurde ich krank, sehr schmerzlich, sehr gefährlich, so, daß ich hoffte, sterben zu können. Von dir sprach mir kein Mensch, so liebevoll sie mich sonst behandelten, und für alle Fragen, die ich mit verzagender Seele an sie that, waren sie taub. Das erste Mal, als ich mit schwankenden Tritten in's Freie geleitet wurde, sah ich mich in ganz unbekannten Gegenden; man sagte mir, wir wären am Rheinstrom, und die große Stadt, die ich nicht weit davon ihre Zinnen in seinen Wellen spiegeln sah, wäre Coloniä Agrippinä2. Ach, guter Gott! Wie fern, wie abgeschnitten durch den weiten Ocean!
Griffel und Papier, Feder und Tafel3 waren mir[86] entzogen; einige Versuche, auf ein Stückchen Leinen oder Stoff mit Farbe – mit meinem Blute zuschreiben, wurden mit unseliger Schlauheit entdeckt, und strenge zernichtet. O warum hätte ich nicht sterben sollen? Warum mußte ich dies elende Leben ertragen! Jetzt sind wir in einer Stadt von Italien, Mantua nennen sie die Leute. Ich kann mich nicht in diese Menschen, in ihre Lebensart, in ihr Clima finden. Die unerträgliche Hitze thut mir weh; mein Körper, den die schwere Krankheit erschöpft hat, leidet durch die glühende Sonne und die bösen Ausdünstungen der Sümpfe, die die Gegend umher verpesten. Ich bin der frischen Luft, der kühlen Schatten meiner Insel, ich bin der Gegenwart des geliebten Gegenstandes gewohnt; hier – muß ich verschmachten. Du würdest mich kaum erkennen.
Ach, Florianus! ist es dir nicht möglich, mich zu befreien? O rette, rette ein unglückliches Wesen, das ohne dich nicht leben, nicht tugendhaft, und dort nicht selig seyn kann! Du hast mich deinen Glauben, den Glauben der Liebe gelehrt, und jetzt stoßest du mich kalt und streng in die vorige Nacht. O wäre es nicht besser gewesen, mich dort zu lassen? Jupiter hätte nicht gezürnt, wenn ein freundlicher Strahl mir den Weg aus diesem Leben gebahnt hätte. Minos würde mein Unglück geehrt, und ein mildes Urtheil gesprochen haben. Im Elysium hätten wir uns wiedergesehen: dort, wo Dido's Schatten zürnend dem Aeneas4 auswich, wäre ich in deine Arme geeilt! Wie trüb und düster auch diese Reiche sind, ich wäre mit dir vereinigt gewesen – und sie hätten uns gelächelt! Ich hätte sterben dürfen! O glückliche Freiheit![87]
Florianus, was habe ich gesagt? O, wirst du mir verzeihen können? Nein, ich kann es nicht bereuen, eine Christin geworden zu seyn! Es ist dein Glaube, es ist der Glaube der Liebe, und Liebe ist sein Symbol, die höchste, die reinste, die Mutterliebe. Das Kind auf den liebenden Armen, schwebt sie vom Himmel zu uns herab. Zu ihr wende ich mich auch am öftersten, am liebsten. Ueber Alles erhaben, groß und furchtbar, steht die Gottheit vor meinem schüchternen Blick. Aber sie war Weib, war Mutter, sie lebte, sie litt, sie liebte wie ich, sie versteht meinen Kummer. O, sie hat mich getröstet, wenn ich recht heiß und zitternd vor ihr geweint hatte, wenn ich sie um Linderung, um Fürbitte bei ihrem Sohne gestehet hatte; und gewiß ist es ihr Werk, daß ich jetzt ein Mittel gefunden habe, dir zu schreiben, und den Brief durch den treuen Menschen, den du wohl kennst, und der morgen von hier nach Eboracum abgeht, abzusenden.
Man erzählt hier, Constantin, dein Zögling, sey in großem Ansehen am Hofe des morgenländischen Augustus, und vermöge sehr viel. Könnte er uns denn nicht helfen? O wende dich an ihn, schreib ihm – die unglückliche Tochter des Augustus hat ja einige Ansprüche auf menschliche Hülfe. Oder bin ich nur darum aus der glücklichen Unwissenheit meines Privatstandes gerissen worden, um zu erfahren, daß auf dieser Höhe Freundschaft, Theilnahme und Mitleid aufhört?
O Florianus! Schreibe mir bald, aber nicht so streng, so kalt, wie du in den letzten Tagen in Eboracum mit mir sprachst. Ich ehre die Grundsätze, die dich so handeln heißen; aber ich erliege unter der ersten Last, die sie auf mein allzuweiches Herz legen. Ich kann nicht so heldenmüthig seyn. Ach ich liebe dich mit allen Kräften, mit allen Empfindungen meiner Seele! O schreibe mir[88] gütig, laß mich nur Einmal einen Strahl jener Liebe erblicken, die in jenen goldnen Tagen mein Leben zum Himmel erhellte! Nur Ein Wort, wie du mir in unsrer Insel Tausende sagtest! Wenn du schnell antwortest, und deine Antwort dem Boten gibst, der sie auf einem sichern Weg hierher bringen kann: so trifft sie mich noch hier, denn wir bleiben bis zu Ende des nächsten Monats in dieser Stadt. Das habe ich halb durch List, halb durch Zufall erfahren. Asinius Ponticus hat an Augustus geschrieben, der mein Vater seyn soll, und wird die Antwort hier erwarten. Diese Frist ist vielleicht die einzige, die uns in langen Monaten – vielleicht in Jahren offen steht. O laß sie nicht fruchtlos verstreichen, und laß mich die Versicherung hören, daß du mich noch liebst, daß du noch hoffest, und an Rettung glaubst. Leb' wohl!
1 Als Arria und ihr Gemahl Pätus mit einander zu sterben beschlossen hatten, senkte sie zuerst den Dolch in ihr Herz, und gab ihn dann ihrem Manne mit den berühmten Worten: Er schmerzt nicht.
2 Coloniae Agrippinae, das heutige Cöln.
3 Die Römer schrieben bald mir Griffeln auf Tafeln, welche mit Wachs überzogen waren, bald mit Federn von Rohr auf Pergament und eine Art Papier, das aus einer ägyptischen Staude bereitet wurde.
4 Als Aeneas bei seiner Höllenfahrt im Elysium dem Schatten der Dido begegnete, die sich um seiner Untreue willen ermordet hatte, wandte sie sich zürnend von ihm ab.
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