58. Constantin an Eneus Florianus.

[20] Nikomedien, im December 302.


Die Zeit wird immer fruchtbarer an Begebenheiten und Saamen für die Zukunft. Der Krieg mit den Persern ist durch einen glorreichen Frieden geendigt, wir haben unsern triumphähnlichen Einzug in Nikomedien gehalten, und Diocletian begegnet dem Galerius mit einer Achtung, die vermuthlich die ehemalige schimpfliche Strafe gut machen soll. Galerius müßte nicht seyn, wie er ist, wenn er dies Gefühl des Unrechts nicht mit gewaltiger Hand ergreifen und zu seinem Besten nützen sollte. Ich weiß zuverlässig, daß er die Ueberlegenheit, die ihm dies Gefühl und die sinkenden Kräfte des alternden Augustus geben, mißbraucht, um diesen zu manchem Schritte zu zwingen, oder zu überreden – wer entscheidet das? – der eine langerprobte Klugheit Lügen zu strafen droht. Man spricht sogar hier und da, aber nur höchst geheim davon, daß Diocletian freiwillig die Regierung niederlegen, den mailändischen Augustus zu demselben Schritte bereden, und sich dann in die Einsamkeit nach Salona, wo er sich in Geheim und lange schon einen lieblichen Aufenthalt zubereiten läßt, begeben wird. Dann würden Galerius und mein Vater Augustus werden, und wer würde den Rang der Cäsarn ein nehmen? Mir hier keinen Nebenbuhler, keine Creatur des düstern Galerius vorkommen zu lassen, soll meine Sorge seyn. Ich habe fürstliches Blut und fürstlichen Sinn von meinem Vater[20] geerbt, und deine Unterweisungen haben mich gelehrt, das, wozu mich Natur und Geschick beriefen, mit festem Gemüth zu erkennen, und zu ergreifen.

Marcius Alpinus ist von Galerius entfernt, und Präfect in Nicäa geworden, er, dieser gewandte Höfling, der Günstling des Cäsars, ein kriechender Schmeichler, ein erklärter Feind der Christen, und darum seinem Gebieter bis jetzt scheinbar unentbehrlich. Aber wer wäre dem Galerius unentbehrlich! Genug, er ist entfernt, und spielt in Nicäa die Rolle des Philosophen, der, des Hofes und der Welt satt, nur sich allein leben will. Ich habe ihn von jeher verachtet. Seit er aber bei jeder Gelegenheit, und erst neulich bei Agathokles Beförderung zum Tribun, diesem mit heimlicher Bosheit entgegen war – ob aus eignem Widerwillen, oder weil der Sclave auch die Neigungen seines Herrn kriechend theilt, und mich in meinem Freunde haßt, weiß ich nicht – seitdem habe ich ihn die Gesinnung, die mir sein Betragen einflößte, deutlich merken lassen, und seinen Einfluß verachtet. Jetzt in seiner Verbannung hat er, uneingedenk alles Vorgefallenen, mir seine guten Dienste anbieten lassen. Die verächtliche Seele! Er weiß viel, sein Einfluß war bedeutend – was ich zu thun habe, werde ich sehen. Es ist nichts so gering, so verwerflich, das nicht, an seinen rechten Platz gestellt, zweckmäßig gebraucht werden könnte, und meine Zukunft, folglich auch meine Maaßregeln liegen noch in tiefem Dunkel. Daß ich nichts Unwürdiges thun werde, weißt du. Aber was Nothwehr und drängende Verhältnisse fordern, kann nicht mit dem Maaßstabe ruhiger Fassung gemessen werden, und die Moral des Menschen und des Staats nicht dieselbe seyn.[21] Gegen den, der sich Alles erlaubt, muß die Vernunft selbst alle Mittel ohne Unterschied ergreifen heißen, sonst sind unsre Waffen nicht gleich, und die gute Sache unterliegt ängstlichen Rücksichten. Doch, bei Gott! Eneus, bei dem, der für's Wohl der Menschheit sein Leben gab, nur die Nothwehr wird mich solche Mittel ergreifen machen! Auf den Höhen der Politik kehren wir wieder in den Stand der Natur zurück, wo nur das Recht des Listigern oder Stärkern gilt. Galerius haßt mich, er haßt die Christen, er will sie verfolgen. Es wird ein harter, ein gewaltiger Kampf entstehen; aber ich hoffe, der Himmel und Cato werden dann auf einer Seite stehen1.

An meinen theuren Vater habe ich vor zwei Tagen geschrieben, und mich umständlicher über meine Lage erklärt. Er ist wohl so gut, dir zu erzählen, was zweimal zu schreiben mir weder meine Neigung, noch meine Zeit erlaubt. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Die Stelle, auf welche sich diese Anspielung bezieht, ist aus dem Lucan:


Magno se judice quisque tuetur.

Victrix causa Diis placuit, sed victa Catoni.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 34, Stuttgart 1828, S. 20-22.
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