65. Agathokles an Phocion.

[45] Nikomedien, im Jänner 303.


Eine heftige Unruhe bewegt mein Innerstes, Furcht und Hoffnung wechseln jede Secunde, und bringen mich bald der Verzweiflung, bald der Seligkeit nahe. Es ist möglich – fasse das Entzücken, das in diesem Gedanken liegt! – es ist möglich, daß Larissa noch lebt; aber es ist auch möglich, daß sie meiner vergessen hat, daß ein Andrer – nein, das ist nicht möglich! – Es ist Lästerung, dies auch nur zu denken. Wenn sie noch lebt, so liebt sie mich, wie nächtlich auch ihr Geschick, wie gebietend die Umstände seyn mögen, die sie hindern, mich ihr[45] Daseyn wissen zu lassen. Aber ob sie noch lebt, ob die Luftgestalt, die vor mir schwebt, mehr als das ist – das liegt noch verhüllt im Schooße der Zukunft. Und was wird sie mir bringen?

Vor ungefähr acht Tagen komme ich zu Sulpicien. Calpurnia ist bei ihr, es ist die Rede von einer Zeichnung, die diese entworfen hat. Ich wünschte sie zu sehen. Man weigert sich eine Weile, endlich reicht Sulpicia mir ein Blatt, das neben ihr liegt. Stelle dir meine Ueberraschung, meine Verwirrung vor, als ich in der Zeichnung jene Scene meines Einzugs als Siegesbote erkenne. Ich war betroffen, gerührt, beschämt von Calpurniens unverdienter Güte. Auch sie erröthete und war verlegen, aber mit einer unbeschreiblichen Leichtigkeit fand sie sich bald wieder, und fing so unbefangen an, von der Zeichnung als Kunstwerk, als schwierige Aufgabe, zu sprechen, die sie sich selbst, um ihre Kräfte zu versuchen, gegeben habe, daß meine eigene Betroffenheit, aber auch mein freudiges Gefühl entwich, und nichts übrig blieb, als die Bewunderung ihrer Kunst und ihrer – Kälte. Endlich rief Sulpicia eine Sclavin, und befahl ihr, das Blatt einzupacken und abzusenden. Wohin? fragte ich mit sehr natürlicher Neugierde, und erfuhr nun, daß im vorigen Herbst eine Fremde, die sich Theophania nannte, die eine Christin, Wittwe eines byzantinischen Kaufmanns war, und mit ihrem Vater nach Nikomedien reisen wollte, von den beiden Römerinnen im Vorbeireisen eingeladen worden war, die Nacht auf der Villa zuzubringen. Die Schwermuth der Fremden gewann ihr Sulpiciens Zuneigung. Im vertraulichen Abendgespräch kam die Rede auf jenes Bild. Die Fremde besah es, schien erschüttert,[46] und verrieth dadurch, daß sie mich kenne. Am andern Morgen, wo Sulpicia sie sehr blaß und verstört fand, erklärte sie, daß ein plötzlicher Zufall sie zwinge, ihren Reiseplan zu verändern, und nach Nicäa zu gehen. Kein Bitten der beiden Frauen vermochte sie, nur eine Stunde länger zu verweilen. Sie reisete alsogleich mit ihrem Vater ab, und lebt nun in Nicäa, im Hause eines angesehenen Mannes, der sich Lysias nennt. Von hieraus hat sie ein Paarmal an Sulpicien geschrieben, und sich die Zeichnung ausgebeten. Die Erzählung machte mich aufmerksam, und erregte seltsame Vermuthungen in meiner Seele. Calpurnia schilderte mir die Gestalt der Fremden. Ach jeder Zug rief ein theures Bild zurück! Alles traf ein, bis auf eine Narbe auf der Wange, die ich nie an Larissen bemerkt hatte. Mein Herz schlug heftig, – man zeigte mir ihren Brief. Da zerfloß die schöne Hoffnung wieder. Die Züge glichen nicht ihrer Schrift; dennoch glaubte mein einmal erregtes Gemüth zu entdecken, daß die Buchstaben nicht frei gebildet, sondern wie mit Absicht verstellt seyen. Ich äußerte meine Vermuthungen nicht, aber ich eilte zum Präfect der Leibwache, und bat ihn um Urlaub auf acht Tage. Ich wollte nach Nicäa, in's Haus des Lysias; ich wollte mich selbst überzeugen, wer diese Theophania sey. Der Präfect schlug meine Bitte geradezu ab, und gleich als ob er fürchtete, ich möchte ohne seine Erlaubniß dennoch fortreisen, trug er mir die Wache im kaiserlichen Palaste auf. Ich knirschte vor Zorn, aber ich mußte gehorchen. Mein vertrautester Sclave wurde nach Nicäa an einen alten Bekannten unsers Hauses gesandt, um sich nach der Fremden zu erkundigen. Nach sechs langen Tagen kam er, gestern zurück, seine Nachrichten löseten keinen meiner[47] Zweifel, sie dienten nur, sie noch mehr zu verwirren. Theophania galt auch hier für die Wittwe eines byzantinischen Kaufmanns; aber der Greis, der sie begleitet hatte, war nicht ihr Vater, es war ein christlicher Priester, ein Bruder des Senators Lysias, derselbe, der vor mehr als einem Jahre als Glaubenslehrer zu den Gothen gereiset war. Zu den Gothen! Und von daher war er jetzt mit dieser Fremden gekommen! Hat er sie dort gefunden? War sie aus Byzanz? Warum nannte sie ihn auf der Reise ihren Vater? Wie kam er dazu, sie zu begleiten? Wie kam sie in das Haus des Lysias? Der feile Marcius kömmt täglich hin, er spielt öffentlich ihren Verehrer, er will sie heirathen, und sie – sie begegnet ihm freundlich. Ist das auch wahr? Kann man Gerüchten trauen? Marcius Alpinus muß Larissen persönlich kennen, und sie ihn. Gegen diesen Mann könnte sie ihr Daseyn nicht verschweigen, wenn sie mit Theophanien Eine Person wäre. Oder verbirgt sie sich blos vor mir, und ist Marcius ihr Vertrauter, der Einzige, der um ihr Schicksal wissen darf? O Phocion! Wie glühende Dolche kreuzen sich diese Gedanken in meiner Seele. So viel ist gewiß, entweder Theophania ist nicht Larissa, oder wenn sie es ist, so trennt ein böses Schicksal, oder noch bösere Menschen sie auf ewig von mir – so ist sie nicht viel besser, als für mich verloren, für mich, dem sie sich so ängstlich verbirgt. O kann sie denn das Entzücken nicht denken, in das mich ihre Erscheinung versetzen würde? Glaubt sie nicht mehr an meine Treue, weil die ihrige erloschen ist? O beim Himmel! Wenn das wäre – – dann mußte ich den für meinen Todfeind halten, der mir die Gewißheit gäbe, daß sie den Händen[48] der Gothen entgangen ist, um das Weib jenes Marcius zu werden!

Und wenn sie nicht Larissa ist? Wenn diese wirklich unter dem Hügel von Trachene begraben liegt? O die Wahrscheinlichkeit dieses Gedankens drängt sich mir, wenn meine Phantasie in kühnen Bildern schwelgt, am öftersten, am lähmendsten auf! Wer weiß, wer diese Theophania ist! Sie ist aus Nikomedien gebürtig, sie hat mich vor zehn Jahren öfter gesehen, ich sie auch vielleicht, ohne ihren Namen zu wissen. Wie leicht ist eine gleichgültige Gestalt in zehn Jahren vergessen! Heliodor hat sie zufällig in Byzanz kennen gelernt, die junge verlassene Wittwe begibt sich unter den Schutz des ehrwürdigen Priesters, dessen Alter und Denkart ihr eine anständige Begleitung zusichert. So kommen sie nach Synthium, so nach Nicäa, wo er sie zu seinen Verwandten bringt. Dort lebt sie verborgen, bis der verächtliche Wollüstling Marcius die große Zahl seiner Schlachtopfer mit ihr vermehren will. Wie alltäglich, wie allzunatürlich ist diese Geschichte! Ihre Erschütterung beim Anblick meines Bildes, ihre folgende Blässe, Verstörtheit, der geänderte Reiseplan sind wohl eben so unbedeutende Umstände, die nur in Sulpiciens Phantasie, welche gern die gewöhnlichsten Dinge in einem seltsamen pathetischen Lichte sehen will, ihren Ursprung haben. So fallen meine Hoffnungen in ein leeres Nichts zusammen.

Hundert Mal in einem Tage durchläuft mein bewegtes Gemüth den ganzen Kreis von Vermuthungen, Zweifeln, Absprechungen, die dieser Brief enthält. Hundert Mal entsagt die prüfende Vernunft den leeren Schattenbildern,[49] und eben so oft faßt sie das Herz mit wehmüthiger Freude wieder auf. O wer kann einer solchen Aussicht entsagen, ehe er bestimmt weiß, daß sie blos Täuschung ist! Auch steht mein Entschluß fest, so bald ich kann, nach Nicäa zu eilen, und mir Ueberzeugung zu verschaffen, falle sie nun aus, wie sie wolle. Ich denke bald Erlaubniß zu erhalten – bis dahin brennt der Boden unter meinen Füßen.

Der Staatskunst und dem alten Haß ist sein feindliches Werk gelungen. Die Christenverfolgung ist ausgebrochen. Aber unsre Feinde werden doch nicht triumphiren. Es werden tausend Opfer fallen, und das Gebäude der Kirche, benetzt mit dem Blute unzähliger Bekenner, wird sich schöner und fester aus seinem Schutt erheben. Auf einer neuen Seite wird mein Gemüth in diesem Zeitpunkt innerlicher Unruhe von jenen Fällen erschüttert. Ich sehe meine Brüder leiden, ich sehe die Ungerechtigkeiten, die man sich gegen sie erlaubt, und Schonung gegen einen dem Grabe nahen Vater verbietet mir, öffentlich aufzutreten, und mich als ihren Glaubensgenossen zu bekennen, jetzt, wo sie der Vertheidiger und Helfer nicht genug haben könnten.

Verborgen und heimlich versammeln sich die Gemeinden in Katakomben und Gräbern, die ihnen schon in früheren Verfolgungen zu Zufluchtsörtern dienten. Dort halten sie ihren Gottesdienst, berathen sich über ihre Gefahren, und mir ist der Zutritt vermehrt, weil man mich für einen Heiden, einen Anhänger des Hofes hält. Wie sehr diese Verstellung das Gewicht meines Kummers vermehrt, begreifst du leicht, Phocion! Auch werde ich[50] sie bestimmt nur so lange fortsetzen, bis eine heilige Pflicht gegen meine Brüder und meine Ueberzeugung jene schonenden Rücksichten aufhebt. Vielleicht hörst du bald mehr von mir – mein Schicksal muß sich nun schnell entscheiden. Leb' wohl!

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 34, Stuttgart 1828, S. 45-51.
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