64. Marcius Alpinus an Lucius Scribonianus.

[43] Nicäa, im Jänner 303.


Die todten Massen fangen an sich zu regen, und es kömmt wieder Leben und Bewegung in mein einförmiges Daseyn. Begierde und Widerstand, Vorurtheil und Uebermacht erregen Kampf und Gährung auf dem grossen Schauplatz der Welt, und in dem Mikrokosmus, der mich hier umgibt. Die Kräfte, die bisher ungebraucht schliefen, erwachen, da sich ihnen würdige Gegenstände der Thätigkeit darbieten, und ich werde bald wieder ganz das seyn können, wozu mich Natur und Umstände bildeten.[43] Der lange glimmende Funke ist in Flammen ausgebrochen, der Krieg des Polytheismus gegen den Christianismus erklärt. Galerius hat die kluge Gleichmüthigkeit des alternden Augustus zum Wanken gebracht, und ihn bewogen, lange geprüften Grundsätzen zu entsagen. An allen Orten ist den Christen befohlen worden, ihre Tempel zu schließen, ihre Opfer einzustellen, keine Predigten zu halten, und jeder Versuch, Proselyten zu machen, wird mit dem Tode bestraft1. So neigt sich also wenigstens für den Augenblick das Zünglein der Wage auf die Seite der alten Ordnung; auf wie lange – wird die Zeit lehren. Indessen sind meine Freunde thätig gewesen, man hat Galerius meiner denken gemacht, und ich er warte nun nächstens einen angemessenen Wirkungskreis zu erhalten. Ich werde ihn mit Vorsicht benützen, und über der Gegenwart nicht die Zukunft außer Acht lassen. Constantin ist ein zu glänzendes Gestirn, um sogleich nach seinem Aufgange zu verschwinden, und der Plan, das Christenthum zu unterdrücken, oder gar zu vertilgen, wird wohl ein fruchtloser Versuch bleiben. Indessen, so lange man sein Glück mit Verfolgen machen kann, verfolge man, doch immer mit gehöriger Klugheit und Feinheit, um den Uebergang zum Gegentheil nicht unmöglich zu machen. Nie wird ohnedies ein verständiger Mann das rechte Maaß überschreiten – nur Rasende oder Schwärmer stürzen sich über Hals und Kopf in eine Partei.

So viel vom Oeffentlichen, worin du nun bald wieder den Namen deines Marcius wirst nennen hören. Etwas[44] weniger günstig, aber nicht weniger lebhaft, bewegt es sich in meiner kleinen Welt. Die fromme Theophania ist eigensinnig, und ihre beschränkte Denkart setzt meinen Wünschen Hindernisse entgegen, die mich nur heftiger reizen. Sie muß mein werden, auf welche Art es sey. Nicht, daß ich so sehr verliebt in sie wäre – aber die Erscheinung ist neu, und mich unterhält das Sonderbare. Die Art der gewöhnlichen Weiber kenne ich auswendig, da ist nichts mehr, was mir unerwartet wäre, nichts mehr, das meine Phantasie spannen könnte. Bei Theophanien öffnet sich mir eine neue Welt, und ich fühle seit langer Zeit zum ersten Mal wieder mit wahrem Behagen alle Triebfedern meines Wesens in eine angenehme Spannung versetzt. Ich habe allerlei Plane entworfen, und du wirst nächstens den glücklichen Erfolg meiner Bemühungen hören; denn ich muß eilen, an's Ziel zu gelangen, ehe meine künftige Bestimmung mich aus ihrer Nähe wegruft. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Alles dies, so wie die Stürmung der Kirchen an Einem Tage im ganzen Reiche ist geschichtlich.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 34, Stuttgart 1828, S. 43-45.
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