81. Marcius Alpinus an Lucius Scribonianus.

[45] Cäsarea, im Mai 303.


Haben die Eumeniden mir diesen Agathokles zur Strafe meiner Vergehungen gesandt? Lebt der Mensch nur, um mir überall, wo ich ihn am wenigsten vermuthe, in den Weg zu treten? Sein Fanatismus, die Eitelkeit des Einen, die Schwäche des Andern, Alles muß sich vereinigen, um Plane zu zerstören, die weit klüger angelegt waren, als diese schwachen Seelen es je auch nur träumen konnten.

Sein Vater hat ihm verziehen, und Alles, was ich seit Monaten mit Verstand und Vorsicht bereitete, wird nun an dem langsamen Feuer häuslicher, kindlicher Zärtlichkeit schmelzen. Wer hätte auch an die ungeheuere Thorheit glauben sollen, daß ein Mensch, der fünf gesunde Sinne hat, um die Einwilligung seines Vaters zum Besitz eines Weibes, das ihm jederzeit gewiß war, zu erhalten, ein Vermögen von mehr als hundert Talenten ausschlagen würde!

Als ich sicher war, daß Theophania nicht blos in Nikomedien,[45] daß sie unter einem Dache mit ihm lebte, und mir den Schluß der Tragicomödie an den Fingern abzählen konnte, war es natürlicher Weise nothwendig, Alles vorzukehren, was diese Verbindung entweder gleich trennen, oder wenigstens auf so lange Zeit verschieben konnte, daß mir Muße und Gelegenheit übrigte, allerlei andere Hindernisse herbeizuführen.

Hegesippus ist schwach, eitel – und darum sehr lenkbar. Er hatte im ersten Anfall des Zorns seinem Sohne den Fluch gegeben, als er von ihm hörte, daß er ein Christ sey; ich durfte also nur auf diesem Grund fortbauen, und that es mit Klugheit und gutem Erfolg. Bei der Nachricht von der Gefahr seines Sohnes bekam zwar der schwache Alte eine Art Rückfall, aber ich machte ihm begreiflich, wie sehr er sein Ansehen vor der Welt und bei Hofe auf's Spiel setzen würde, wenn er jetzt nachgäbe, und den Sohn anerkannte, der sich geradezu als Rebell gegen den kaiserlichen Befehl gezeigt hatte, und ich brachte es dahin, daß er wenigstens öffentlich sich gar nicht um ihn zu bekümmern schien. Aber freilich, wie das bei Menschen dieser Art geht, ich konnte nicht hindern, daß nicht täglich ein Sclave heimlich in das Wittwenhaus abgefertigt wurde, der sich unter fremdem Namen nach allen Umständen des Sohnes erkundigen mußte. Ich ließ die Thorheit hingehen, weil ich sie für unschädlich hielt; aber man soll keinen, auch nicht den unbedeutendsten Umstand außer Acht lassen, besonders wenn man mit unzusammenhängenden Gemüthern zu thun hat.

Ein Paar Wochen waren still vergangen, da er schien plötzlich Constantin, und wandte sich im Namen seines Freundes an Hegesippus, und bat ihn um seine Einwilligung,[46] und seinen Segen zur Heirath. Der Alte war bestürzt, geschmeichelt, gerührt. Er hatte auf dies Zeichen von Liebe und Unterwerfung gar nicht mehr gerechnet, und Agathokles hätte den Botschafter nicht besser wählen können. Der Sohn des Abendländischen Cäsars, der als Client im Namen seines Sohnes, seines innigsten Freundes vor ihm stand! Zum Glück besann sich der schwachsinnige Greis noch so viel, daß er nicht auf der Stelle Ja sagte, sondern die Antwort den folgenden Tag zu geben versprach. Er ließ mich rufen, ich war selbst überrascht. – Wer hätte diese neue Thorheit von Agathokles vermuthen sollen? Da er mir aber so gutmüthig die Waffen gegen ihn in die Hand gab, wäre es Wahnsinn gewesen, sie nicht zu brauchen. Ich stimmte dem Alten, was überhaupt nicht schwer ist, und ließ ihn in der Ferne eine Aussicht sehen, vor der ihm graute, sein Vermögen zum Nutzen und zur Emporbringung einen Secte angewendet, die er haßte und verachtete, die ihm schon so viel Herzeleid gemacht hatte. Der Entschluß war bald gefaßt, Hegesippus gab seine Einwilligung, aber nur bedingungsweise – nur dann nämlich, wenn Agathokles allen Ansprüchen auf sein Vermögen entsagte. Ich konnte mir nicht denken, daß er diese Bedingungen eingehen würde, und eben so wenig, daß die andächtige Theophania, deren Einwirkung ich in jenem Schritte deutlich erkannte, sich entschließen würde, ihm wider oder ohne des Vaters Einwilligung ihre Hand zu geben. Es war also vorerst ein Hinderniß zwischen ihnen und dem Ziele ihrer Wünsche aufgethürmt, und ich fing an gute Hoffnung zu nähren.

Da zerstörte der rasende Schritt des fanatischen Menschen[47] den ganzen Plan. Er unterzeichnete die Entscheidung. Der Alte wurde gerührt, weichherzig. Er nahm den zurückgekehrten Sohn mit größter Zärtlichkeit auf, und überschüttete die fromme Schwiegertochter mit prächtigen Geschenken. So sucht seine Erbärmlichkeit den Sinn der Bedingung, die er selbst gegeben hat, thöricht zu umgehen. Wie verächtlich sind diese Geschöpfe!

Recht beim Lichte besehen, ist Agathokles vielleicht feiner als ich dachte; wenigstens hätte er sich, wenn er mich zu überlisten gesonnen war, nicht anders betragen können. Er hofft vielleicht, nachdem er nun einmal jetzt die Einwilligung des Vaters erschlichen hat, durch Unterwerfung und kindlichen Gehorsam eines Tages dem weichherzigen Alten auch noch die Erbschaft abzuschwatzen. Doch dafür soll Sorge getragen werden. Leucippus, ein Neffe des Alten, der, wenn er ohne Kinder stürbe, sein natürlicher Erbe wäre, ist durch mich bereits von dem Fall unterrichtet, und hundert Talente Goldes, die ihm zufallen, verlohnen schon der Mühe, daß man dem Oheim mit Fleiß und Klugheit den Hof mache.

Doch nicht diese einzige Sache ist's, die meine Galle gegen ihn rege gemacht hat. Er hat mich vor einigen Tagen auf eine Art beleidigt und gereizt, die ich ihm zu vergelten mir fest und sicher vorgenommen habe. Die Zeit wird die Gelegenheit herbeiführen, bis dahin bleibt Alles still und ruhig. Du weißt, daß ich mich seit jenem seltsamen Zusammentreffen Calpurnien von Neuem genähert habe. Sie ist schön, sie ist reich, ihr Vater hat bedeutenden Einfluß. Aber mein Gesicht schien ihr nicht zu behagen, ihr Herz war noch zu voll von dem Bilde des christlichen Schwärmers. Genug, sie begegnete mir zuerst kalt,[48] dann übermüthig, dann verächtlich. Ich hatte mich darüber hinausgesetzt, wenn ich hätte hoffen können, auf diese Art zum Ziele zu gelangen. Aber Calpurnia ist eigensinnig, sie reizte mich immer mehr und mehr, da übernahm mich endlich der Zorn, und in einer schwachen Stunde ließ ich mich hinreißen, nicht allein ihr zu drohen, daß ihr guter Ruf seit jener Zusammenkunft in meiner Gewalt sey, sondern auch noch denselben Abend, von Mein und Zorn erhitzt, unter einer frohen Gesellschaft die Geschichte zu erzählen.

Zwei Tage darauf meldet man mir Agathokles. Ich glaubte, der Sclave habe den Namen nicht recht verstanden. Er war es wirklich. In seinen dunkelglühenden Blicken, in seiner ganzen Haltung lag der kalte Uebermuth, den diese Menschen Tugendstolz nennen. Mit empörendem Ton stellte er mich über mein Betragen gegen Calpurnien zur Rede, das er, die Götter mögen wissen wie? erfahren hatte. Mein Blut kochte, ich bezwang mich mit Mühe so weit, daß ich ihn gelassen fragte, was ihn das anginge, und woher ihm das Recht zu dieser Frage käme? Nun brachen die Schleußen seiner Beredtsamkeit los, er sprach von Niederträchtigkeit, von hämischer Rache, von der Pflicht jedes ehrlichen Mannes, sich der beleidigten Ehre seines Nebenmenschen anzunehmen u.s.w., wie die Gemeinplätze der schönen Seelen alle heißen. Meine Geduld riß endlich, und ich erklärte ihm geradezu, daß ich seine Beleidigungen und sein Geschwätz nicht länger dulden wollte. Da trat er zurück, sah mich mit einem Blicke an, den ich mir noch jetzt nicht vergegenwärtigen kann, ohne jeden Tropfen Bluts in Aufruhr zu fühlen, und sagte mit empörender Kälte: »Marcius![49] Wie kannst du es wagen, diese Sprache zu führen? Weißt du nicht, daß es in meiner Macht steht, dich zu verderben?« und nun fing er an von Dingen zu sprechen, die ihm die Furien eingegeben haben mußten. Er war von Vorfällen unterrichtet, die ich in tiefes Dunkel vergraben glaubte, er wußte Dinge, die aus einem andern Mund als dem meinen zu hören mir die Haare empor sträubte. Hatte Constantin sie erfahren? Hatte mein böser Dämon mich verrathen? Die Götter mögen es wissen. Genug, ich muß ihn fürchten, und schonen. Knirschend vor Wuth, leistete ich ihm das versprechen, die Erzählung als eine Posse zu widerrufen, und mich Calpurnien nie wieder zu nähern. Er ging, und ich verließ Nikomedien noch denselben Tag.

Aber er soll nicht umsonst das Alles wissen, und mir gedroht haben. Ich werde mich rächen. Wie und wann? wird der Zufall, die Klugheit bestimmen; aber sein Haupt ist den Unterirdischen geweiht. Leb' wohl!

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 35, Stuttgart 1828, S. 45-50.
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