82. Theophania an Junia Marcella.

[50] Synthium, im Jun. 303


Du sollst dich nicht mehr zu beklagen haben, meine geliebte Freundin, daß ich dir, seit ich glücklich bin, so selten schreibe. Wir sind jetzt seit einigen Tagen auf unserem stillen Landhause, und meine Zeit ist freier. So lange ich in Nikomedien im Hause meines Schwiegervaters lebte, war ein großer Theil meiner Stunden der Besorgung seines sehr weitläufigen Hauswesens, und der Unterhaltung dieses gütigen Greises geweiht, der aber leider wie die meisten Menschen, die in der Zeit ihrer Jugend und vollen Kraft nur immer außer sich und in[50] steter Zerstreuung gelebt haben, nun, da Alter und Schwächlichkeit ihm dies einzige Element, in dem sein Wesen sich fühlte, unzugänglich macht, sehr schwer zu unterhalten, und fast nie zu befriedigen ist.

Hier bin ich sehr vergnügt. Hier im Schatten blühender Haine, im Gedüft von tausend Blumen, im Genusse der fröhlichsten Einsamkeit leben wir uns selbst und unserer Liebe. An Agathokles Hand durchstreife ich die Scenen meiner Jugendfreuden, die Vergangenheit schmilzt in wunderbarem Zauber mit der Gegenwart zusammen, alles Trübe, Nächtliche, was zwischen unserer frohen Kindheit und dem seligen Jetzt lag, ist verschwunden, wir sind wieder, was wir damals waren, fröhliche, glückliche Kinder, und in seinem engelreinen Geiste ist nichts, was diesen schönen Traum störte, nichts, als die Erhabenheit seiner Ansichten, und die Fülle seiner Empfindungen, mit der er das Wohl seiner Glaubensgenossen, der ganzen Welt heiß umfaßt, und die zuweilen, wie ein leuchtender Blitz des Himmels, über die Blumengefilde unserer Liebe erhaltend, erhebend fährt.

In einsamen Stunden, wenn der Hain um mich rauscht, wenn ein reges Frühlingsleben durch alle Wesen webt und schauert, und ich im Gefühl meines Glückes selig zerfließe, dann fühle ich den Hauch der allgegenwärtigen Gottheit, und mein inniges Entzücken löset sich in stillen Dank auf gegen den, der das Dunkel meines Schicksals so väterlich erhellte, und durch finstere Pfade mich zu diesem Lichte geführet hat. Ist es möglich, daß Menschen so selig seyn und bleiben können, als ich es bin? Ist diese Stille alles Verlangens, dieses Bewußtseyn ganz erfüllter Wünsche nicht zusehr Vorgeschmack unsers[51] Zustandes in bessern Welten, um auf dieser einheimisch zu seyn? Ach so frage ich mich oft, und mein erschüttertes Herz zittert vor der Wahrscheinlichkeit einer nahen Veränderung. Aber ich weise diese Gedanken nicht zurück, ich segne diese heilsamen Warner vor Uebermuth, die gewiß mein Schutzgeist mir sendet. Sie lehren mich meines Glückes in Demuth freuen, und seinen ungetrübten Genuß durch kindliche Ergebung heiligen.

Unsere Lebensweise ist bequem, aber von dem Ueberflusse entfernt, unserer Sclaven sind wenig, unsere Speisen sind einfach; aber wir fühlen bestimmt, daß die Reichthümer unseres Vaters unser Glück nicht erhöhen, daß sie es vielleicht durch die tausend kleinen und großen Verbindlichkeiten und Sorgen, die der Reichthum auferlegt, nur stören würden. Jetzt würzt kurze Entsagung den erkauften Genuß, jetzt freut das Selbsterworbene, das Erübrigte mehr, als was das Glück mit vollen Händen achtlos ausstreut. O wüßte das Constantin, er würde seine Begriffe von Glück, wenigstens für unsere Lage, verändern, und meinem Agathokles nicht mehr zürnen! Dieser Zwiespalt ist es, der den einzigen Tropfen Bitterkeit in unsern Freudenkelch gießt. Ich sehe, daß Agathokles mehr darunter leidet, als er aus Schonung mir gesteht. O daß ich einen Weg vor mir sähe, Constantin zu versöhnen! Aber er ist mächtig, der Sohn des Cäsars, ein künftiger Augustus, und jetzt ist die Kluft zwischen dem Herrscher und Beherrschten nicht mehr so unbedeutend, als in den Zeiten eines Octavians oder Mark Aurels. Das ist das Böse an unserm Verhältniß – wir sind nicht gleich.

Und diese Gleichheit in allen Empfindungen, in allen[52] Richtungen des Geistes ist es, welche allein und dauerhaft das Glück einer Verbindung sichert. Agathokles und ich wurden schon als Kinder mit und für einander gebildet, jeder Eindruck gemeinschaftlich aufgefaßt, jede Empfindung von einem Herzen dem andern beantwortet. Wir lebten, wir lasen, wir lernten gemeinschaftlich. Selbst in Edessa unter dem Geräusch der Waffen wußte er Stunden zu gewinnen, um mit mir zu lesen, über das Gelesene, über die Ereignisse des Tages zu sprechen, unsere Gefühle und Gedanken umzutauschen, und so nicht blos mein Herz, sondern auch meinen Verstand mit dem seinigen in Einklang zu bringen. Wie segenreich, wie beglückend ist jetzt diese Uebereinstimmung für mich! Nicht weil Verfassung und Religion den Mann zum Haupt des Weibes erheben und ihm eine Gewalt einräumen, die manches rohe Gemüth mißbraucht, sondern, weil zwei Menschen ein schönes Ganzes ausmachen, und als Einheit dastehen und wirken sollen, sollen auch ihre Geister gleichförmig gebildet seyn, und nur die Verschiedenheit des Geschlechtscharakters und der daraus folgenden Bestimmung und Pflichten darf eine reizende Abwechslung in den schönen Einklang bringen. Aber wenn die verschiedenen Charaktere sich selbstständig zu unterscheiden, und jeder als ein vollendetes Ganzes dazustehen streben, wer soll entscheiden, welcher von Beiden im Fall eines Streites nach geben, und seine Individualität aufopfern soll? – die hergebrachte Sitte? – dann muß das Weib ewig der unterdrückte Theil seyn – die Vernunft? – Und wer bestimmt, auf wessen Seite sie steht, wenn jedes die Sache aus seinem Gesichtspunkt ansieht und mit Gründen unterstützt? – O nur die Liebe, die Liebe kann[53] das bewirken, und sie bewirkt es sicher. Sie führt auf tausend stillen Wegen die Gemüther zu einander, sie zeigt uns den Gesichtspunkt, aus dem der geliebte Gegenstand die Welt betrachtet, als den richtigsten, sie macht uns theurer, was ihm lieb ist, und ohne Opfer, ohne Nachgeben verschmelzen zwei Willen in Einen. So ist mein Verhältniß zu Agathokles – und wenn du wir oft in frühern Zeiten meinen Mangel an Festigkeit und mein Bedürfniß, mich an ein liebendes Herz anzuschmiegen, als Schwäche vorwarfst, so versichere ich dich, daß gerade jetzt aus dieser Schwäche, wie du es nennst, mein schönstes Glück entspringt.

Leb' wohl, Junia! Ich weiß, du freust dich meiner Seligkeit, und meine Briefe, wenn sie auch arm an Vorfällen sind, werden sie dir doch manchen vergnügten Augenblick machen, wenn du in ihnen die Schilderung meines Glückes findest.

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 35, Stuttgart 1828, S. 50-54.
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