93. Theophania an Junia Marcella.

[15] Laureacum, im Julius 304.


Ich habe sehr trübe Tage durchlebt, meine Junia! Schon seit ich Noricum betrat, verging vielleicht keine Woche, wo nicht irgend ein Beispiel unerhörter Grausamkeit von Seiten unserer Verfolger, oder schimpflicher Weichheit und niedrigen Eigennutzes von Seiten so mancher Abtrünnigen mein Herz mit Trauer, meine Einbildungskraft mit düstern Bildern erfüllte. Das traurigste von Allen erlebte ich hier in Laureacum. Florianus ist todt. Er fiel, ein Opfer des Hasses, ein strahlendes Beispiel für so Manche seiner Brüder, schmerzlich und ewig von dem zärtlichsten Herzen betrauert, das vielleicht je in einer weiblichen Brust schlug.

Sie erfuhr seine Nähe, seine Anwesenheit an dem Orte, wo sie sich zufälliger Weise befand, nur durch die Nachricht von seiner Gefangennehmung, von seiner dringenden Gefahr. Er war nicht fern, er athmete eine Luft mit ihr, nach drei hoffnungslosen Jahren hatte ihn ein günstiges Geschick in ihre Nähe gebracht, und – er war gefangen und die Möglichkeit, ihn noch ein Mal zu sehen,[15] zu sprechen, für die sie noch vor wenig Monaten den Rest ihres Lebens hingegeben hätte, lag nun so nahe, und war ihr durch undurchdringliche Mauern, durch den strengen Befehl des Präfects, keinen Menschen mit dem Gefangenen sprechen zu lassen, verwehrt. Es ist schlechterdings unmöglich, den Zustand zu beschreiben, in welchem sich Valeria in dieser Zeit befand. Ich fürchtete, daß er ihr Leben aufreiben werde. Diese gespannte Thätigkeit, diese glühende Liebe, diese schwärmerische Verehrung, und diese Ueberzeugung ewiger Trennung! All' ihr Gold, alle Versuche, die sie auf jedem nur ersinnlichen Wege machte, um den Präfect mit Recht und Unrecht für ihren heißen Wunsch zu gewinnen, bewirkten ihres Freundes Freiheit nicht. Sie erhielt nicht ein Mal die Erlaubniß, ihn in Gegenwart von Zeugen zu sprechen. Eine finstere Stille trat nun auf ein Mal an die Stelle ihrer vorigen Lebhaftigkeit. Man sah, daß sie über einem Entschluß brütete. Gott weiß, woher diesem sonst so sanften, so schüchternen Mädchen die List, die Kühnheit kam, Alles das in's Werk zu setzen, was sie that. Genug, an einem Abend trat sie bleich, verstört, mit verweinten Augen, und einer unruhigen Heftigkeit in ihrem ganzen Wesen in mein Zimmer, sie sah sich überall ängstlich, scheu herum. Sind wir allein? fragte sie mit dumpfer hastiger Stimme, dann warf sie sich an meine Brust, und mit einem schmerzlichen Schrei rief sie: Ich habe ihn gesehen! – nun will ich sterben – er stirbt auch!

Es war ihr auf Wegen, über die ich erstaunte, als sie späterhin uns Alles zu erzählen vermochte, gelungen, die Wachen zu bestechen, und verkleidet in sein Gefängniß zu dringen. O welch' ein Wiedersehen nach drei Jahren![16] Sie war der Verzweiflung nahe. Aber Florianus Geist erhub und stärkte sie. Noch ein Mal vor dem gewissen Tode erlaubte er sich, den Regungen seines Herzens ganz zu folgen, noch ein Mal schwelgten ihre Seelen in den leidenschaftlichen Ergießungen unglücklicher Zärtlichkeit, noch ein Mal wiederholte er ihr, was durch drei Jahre sein Mund streng verschwiegen hatte, das Geständniß seiner grenzenlosen Liebe, seiner Trauer um sie, seiner heißen Sehnsucht nach diesem Augenblick, den er, ach! nicht so bald, und nicht auf diese Art zu erleben glaubte. In ihre treue Brust legte er seine Geheimnisse nieder. Sie preßte in dem kurzen Raum von ein paar Stunden, der ihnen vergönnt war, alle Leiden, alle Hoffnungen, alle bitteren Erfahrungen von drei traurigen Jahren, und alle wehmüthige Seligkeit eines solchen Wiedersehens zusammen. Sie genoß dies traurige Glück mit vollen Zügen. Sie riß sich endlich halb ohnmächtig aus seinen Armen, und mit dem festen Bewußtseyn, ihn nie wieder auf dieser Erde zu sehen, und kam in diesem Zustande zu mir.

Nie werde ich den Eindruck dieser Stunde vergessen. Eine Art von Schauer überfiel mich, der Gedanke, wie mir zu Muthe wäre, wenn ich an Valeriens Stelle wäre, und eben so von Agathokles scheiden müßte, drängte sich mir mit einer marternden Lebhaftigkeit auf, und ich weiß nicht, was es ist, Junia! aber ich kann ihn seit dem nicht wieder los werden. Bei jeder Veranlassung, oft sogar ohne dieselbe steigt er in meinem Gemüthe empor, umzieht meine Seele mit düstern Schatten, und erscheint nicht selten in ängstenden Träumen unter tausenderlei Gestalten und Zusammenstellungen wieder. So bleibt,[17] wenn an einem trüben Herbstmorgen die Sonne endlich das schwere Gewölk zertheilt, noch hier und dort auf den Bergen der düstre Nebelflor, die Ueberbleibsel der Nacht, gelagert, und ach! oft noch, ehe die Sonne sinkt, steigt er herauf, und begräbt den kurzen Tag in schnelle Schatten! O meine Junia! Wenn das nur keine Ahnungen sind! Ich darf meinem Agathokles nichts davon sagen, er verweiset sie in das Reich der Träume, aber ich habe mehr als eine Ursache, für meine Zukunft besorgt zu seyn. Florianus heldenmüthiger Tod, seine letzte Ermahnung an die Christen, die gesegneten Folgen, die man wirklich schon in dem Betragen unsrer Brüder fühlt, ihre größere Standhaftigkeit, ihre muthige Verachtung irdischer Vortheile haben, wie ich fürchte, einen gefährlichen Funken in Agathokles Seele geworfen!

Den Tag, wo Florianus starb, sah ich ihn zum ersten und letzten Male. Der Zug ging in höchster Feierlichkeit, denn das Volk vermuthete nichts weniger als seinen Tod, vor unserm Hause vorüber. Er kam – im vollen Schmucke seines Ranges, ungefesselt an der Seite des Präfects, ein schöner Mann in der vollen Reife der Jahre, groß, edel, kräftig. Sein dunkles Auge war mit einem Ausdruck von Wohlwollen und innerer Hoheit bald auf das Volk, das ihn umgab, bald auf seinen Begleiter gerichtet, mit dem er ruhig und, wie es schien, von gleichgültigen Dingen sprach. Nur ein paar Mal sah ich ihn den Blick zum Himmel richten; dann aber war auch eine Verklärung darinnen, die mehr als Alles, was ich wußte, den nahen Bürger einer bessern Welt verkündigte, der im Begriff war, sein Leben für seine Ueberzeugung aufzuopfern. Alles, was ich vorhin von ihm gehört hatte,[18] und jetzt sah, machte es mir sehr wahrscheinlich, daß er eine solche Leidenschaft in Valeriens Herzen hatte entzünden können.

Er hatte den Götzen nicht geopfert, seine Religion nicht abgeschworen, wie es das getäuschte Volk erwartete – in dem beigeschlossenen Blatt findest du die weitläufige Erzählung des ganzen Vorfalls – und endigte nun in den Fluthen des Anasus sein Leben. Valeria war auf Alles vorbereitet. Sobald die schauerliche Scene vorüber, und der unwürdige Präfekt in seinem Palast angelangt war, eilte sie zu ihm, und ihr Gold erhielt, was ihren rührendsten Bitten nicht gewährt wurde, die traurige Gunst, den Leichnam ihres geliebten Freundes im Anasus suchen, und auf eine anständige Art bestatten zu lassen.

Der Strom war von einem Gewitterregen in den Gebirgen zu einer außerordentlichen Höhe angeschwollen, und tobte in seinen Ufern strudelnd und reißend dahin. Kein Schiffer wollte es wagen, einen Kahn durch die wilden Fluthen zu drängen – aber was wäre der Liebe und dem Golde unmöglich! Valeria bestieg selbst einen Fischernachen, eine übermäßige Belohnung verschaffte ihr ein Paar kühne Ruderer, sie zwangen den Kahn mitten durch die schäumende Fluth, und fanden bald unweit der Brücke unter den Gesträuchen des Ufers den theuern Rest, den sie suchten. Valeria weinte nicht, als ihn die Schiffer vor sie hin in den Kahn legten, kein Seufzer, keine Thräne erleichterte ihren dumpfen Schmerz. So blieb sie diesen und den folgenden Tag, bis die fromme Sorge einiger Christen der verehrten Leiche alle Dienste, der Treue erwiesen hatte. In der Gegend umher, die ziemlich[19] flach ist, hatte Valeriens Liebe schon seit dem letzten Gespräch mit ihrem Freund zu diesem Vorhaben eine schickliche geheime Stelle gesucht und gefunden. Unfern von Laureacum erheben sich in Südwesten einige kleine Hügel mit Laubwäldern bedeckt. Hinter einem derselben in einem stillen Thale, an einer frischen Quelle, der einzigen, die diese wasserarmen Gefilde netzt und erquickt, wollte sie sein verborgenes Grab machen lassen. Ihre Liebe hatte sinnreich gewählt. An dem Ort, der allein Leben ausspendete, sollte das Kostbarste verwahrt werden, das sie besaß, von seiner Ruhestätte aus sollte sich Segen verbreiten, und die fromme Dankbarkeit vielleicht einst in fernen Jahrhunderten, wo so gern alle Geschichten die Gestalt der Fabel und des Wunderbaren annehmen, diese einzige Quelle als ein Geschenk des verehrten Mannes betrachten, der hier nach seinem heldenmüthigen Tod Ruhe gefunden hatte.1

Sie selbst begleitete die geliebte Hülle an den einsamen Ort. Hier begruben ihn ihre Begleiter, trauernde Christen, unter frommen Gebeten und heiligen Gefühlen. Als der Hügel erhöht, und ein einfaches Kreuz darauf[20] gepflanzt, und nun jede Spur der theuren Gestalt von der Erde verschwunden war, da brach Valeriens gewaltsame Spannung, und ihre Kraft verließ sie. Mit einem lauten Schrei sank sie ohnmächtig auf das Grab, keine Bemühung vermochte sie wieder zu erwecken – man brachte sie bewußtlos nach Laureacum zurück. Eine tödtliche Krankheit, die sie bald mit ihrem Freunde zu vereinigen versprach, stürzte ihre Pflegeeltern und alle ihre Freunde in die tiefste Bekümmerniß. Ihre Jugend überwand endlich den Sturm, und sie genas langsam dem Körper nach. Ihr Herz wird nie genesen.

Sie ist viel bei uns, wir thun, was wir können – aber was vermag die treuste Freundschaft gegen einen Schmerz, wie Valeriens? Ich bin überzeugt, Junia, daß dies der größte ist, den je ein menschliches Herz fühlen kann, ich war nahe daran ihn zu empfinden, und ich glaube, oder eigentlich ich hoffe, ich würde ihn nicht überleben. Laß mich abbrechen, es ist nicht gut, in einer Zeit, wo fremdes Leiden unsre Thätigkeit, unsre Geisteskräfte auffordert, diese durch geträumte Schmerzen und mögliche Schreckbilder zu lähmen. Leb' wohl.

Fußnoten

1 Nicht weit von der Stelle, wo der Sage nach der Körper des h. Florianus begraben worden, steht jetzt das Stift der regulirten Chorherren zu St. Florian auf einem Hügel. An seinem Fuße entspringt jene Quelle, wirklich die einzige mit frischem guten Wasser, in dieser sonst so fruchtbaren, aber wasserarmen Gegend. Das Stift zeichnet sich durch äußere Schönheit der Bauart, durch eine treffliche Verfassung, noch mehr aber durch sein würdiges Oberhaupt, den gegenwärtigen Herrn Probst, einen eben so kenntnißreichen als edlen Mann, und durch viele gelehrte schätzbare Mitglieder vor den meisten Stiftern in Oesterreich und Deutschland sehr vortheilhaft aus.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 36, Stuttgart 1828, S. 15-21.
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