Erster Akt.

[39] Haus des Schultheißen.

Damon, Phyllis, Sirmio.


DAMON.

Ortsrichter bin genannt ich in Arkadien,

Und werde streng handhaben die Gerechtigkeit:

Was weiß Sie Näheres über das Entwendete?

PHYLLIS.

Es war ein altes, zinnernes Service, o Herr!

Doch unsrer Wirthschaft unentbehrlich Eigenthum.

Ihr wißt, es sind vier Jahre nun, seit welchen ich

Den Mopsus, der ein Schäfer ist, heirathete.

Es ward ein Dutzend Kinderchen von uns erzeugt,

Da Gott mich viermal segnete mit Drillingen.

Daß ich Geschirr verbrauche, viel und mancher Art,

Was auf den Tisch kommt oder anderweitigem

Gebrauch bestimmt ist, werdet ihr begreifen, Herr!

Darum bedien' ich unzerbrechlichen Metalls

Statt irdner Waaren stets mich oder Porcellans.

DAMON.

Zur Sache, Frau! Wir leben in Arkadien,

Und kennen kaum, dem bloßen Namen nach, das Wort

Umschweif, das nur als einen technischen Begriff

Der deutschen Trauerspiele wir von dort entlehnt.

Laßt uns zur Sache kommen!

PHYLLIS.

Ja, wir müssen auch

Zur Sache kommen; aber zur gestohlenen.

DAMON.

Wann ward's entwendet?

PHYLLIS.

Heute Nacht.

DAMON.

Von wem und wie?

PHYLLIS.

Durch einen Diebstahl, doch von wem, ist unbekannt.

DAMON.

Hat man Verdacht?

PHYLLIS.

Ob man Verdacht hat, weiß ich nicht.

Wir haben allerdings Verdacht.[39]

DAMON.

Auf wen jedoch?

PHYLLIS.

Auf einen Juden, welcher gestern schacherte

Mit meinem Manne, während ich im Hofe war,

Und unsre Ferkel fütterte. Des Abends nun

Fand ich die ganze Tafel abgeräumt, es blieb

Nur eine Gabel übrig, weil die Zähne just

Mein Mann mit ihr, da jener stahl, sich stocherte.

DAMON.

Nur eine Gabel? Aber weilt der Jude noch

Hier in Arkadiens schäferlichem Paradies?

PHYLLIS.

Er geht umher und handelt alte Schachteln ein.

DAMON zu Sirmio.

Man such' ihn auf! Ein Schilling werd' auf seinen Kopf

Hiermit gesetzt!

SIRMIO.

Wohl! Doch den Schilling werd' ich ihm

Wo anders hin versetzen, wenn ich ihn entdeckt.


Ab.

Damon, Phyllis.


DAMON.

Doch sage Sie, weswegen denn Ihr Bettgenoß

Den schlauen Dieb am Stehlen nicht verhinderte,

Wenn er, wie Sie behauptete, zugegen war?

PHYLLIS.

Er war zugegen, aber blos als körperlich,

Sein Geist befand sich anderwärts, er machte just

Die Reise nach der guten Hoffnung Vorgebirg.

DAMON.

Wie kam er dorthin?

PHYLLIS.

Wißt Ihr, was Ideen sind?

DAMON.

Wie sollt' ich nicht?

PHYLLIS.

Auch solche, die man fixe nennt?

DAMON.

Zwar schätz' ich mehr die Dukaten, die man Füchse nennt,

Doch auch von jenen weiß ich.

PHYLLIS.

Dieses ist der Fall

Mit meinem Mopsus, welcher auf dem Vorgebirg

Der guten Hoffnung mit der Zeit ein Rittergut

Zu kaufen wünscht, und Alles diesem Zweck erspart.[40]

DAMON.

Wie kam er darauf?

PHYLLIS.

Durch Ideenverbindungen,

Die oft Verschiedenart'ges an einander reih'n,

Da just ich guter Hoffnung war, und niederkam

Am Tag, wo vierzig Ritter im Kalender stehn.

DAMON.

Das gäbe recht den deutschen Psychologen Stoff.

Doch gehe Sie zu Hause jetzt, bestohlne Frau!

Den Juden will ich fahen lassen, späterhin

Werd' ich Sie wieder hercitiren.

PHYLLIS.

Doch bedenkt

Daß wir zu vierzehn Mäulern Eine Gabel nur

Im Hause haben!

DAMON.

Unterdessen könnt ihr ja

Mit den Fingern essen!

PHYLLIS.

Und trinken aus dem Fingerhut,

Wie ein Canarienvogel? Denn es fehlen uns

Die Becher.

DAMON.

Trinkt, wie Diogenes, aus hohler Hand,

Aus hohler Hand zu trinken ist naturgemäß.

PHYLLIS.

Das leuchtet ein, Herr Schultheiß! Darum macht man auch,

Wenn man ein Trinkgeld fordert, eine hohle Hand.

Ich danke für den guten Rath, gestrenger Herr!


Ab.


DAMON.

Ich imponire, seh' ich wohl, dem Bauernvolk

Durch meine schwer erworbene Gelehrsamkeit,

Für die ich in Leipzig manchen Scheffel Schweiß geschwitzt.

Ich könnte selbst ankaufen mir ein Rittergut,

Wenn ich verhandeln könnte den Arkadiern

Die Excerptenstöße, welche dort ich angehäuft.

Doch nicht mit Dünger wägen sie sie hier mir auf,

Und selbst die Käsehändler sind mit Druckpapier

Auf lange Zeit vom Dresdner Liederkranz versorgt,

Der, wie ich höre, reißende Geschäfte macht;

Doch wär' er klug, er machte blos zerreißende. –[41]

Da kommt der Jude; doch ich will von fern zuerst

Ausspähen seinen äußerlichen Habitus,

Und ob er lange Finger oder kurze hat?


Damon, Sirmio, Schmuhl.


SIRMIO.

Nur den Schnappsack aufgebunden! oder, Herr! ich schlage d'rein,

Und mein Stock auf Seinem Rücken lehr' Ihm dann das Mein und Dein!

SCHMUHL.

Laß Er los mich! Ich gehöre nicht zum Schacherjudenpack.

SIRMIO.

Auch die besten Juden schachern: nur herab den Bettelsack!

SCHMUHL.

Laß Er mich, ich bin ein großer Astronom und Negromant,

Der Natur geheime Kräfte sind mir alle wohlbekannt.

SIRMIO.

Ja, das will ich glauben, jeder diebische, geheime Kniff.

SCHMUHL.

Sey Er nicht so grob, erheb' Er Seine Seele zum Begriff!

SIRMIO.

Moses sagt: Du sollst nicht stehlen, oder du empfängst den Lohn!

SCHMUHL.

War das Moses aus Aegypten oder Moses Mendelsohn?

SIRMIO.

Foppt Er mich?

DAMON.

Des Juden Stimme hab' ich irgendwo gehört.

SIRMIO.

Nur herunter mit dem Schnappsack!

SCHMUHL.

Laß Er ziehn mich ungestört!

SIRMIO.

Was ist d'rin? Es klirrt und klappert?

SCHMUHL.

Talismane mancher Art,

Raritäten, die auf Reisen ich gesammelt und erspart:

Ein'ge Wiener Leckerbissen, Katechismen aus Turin,

Aus Morea Griechenschädel, und Scholastik aus Berlin.[42]

SIRMIO.

Alle diese Dinge wären keinen halben Batzen werth,

Nimmer glaub' ich, daß ein Jude sich mit solchem Zeug beschwert.

Zwar die Leckerei'n begreif' ich: der nur ist ein großer Mann,

Der vom Himmel nichts erbittet – außer was man essen kann!

Von den Katechismen schweig' ich: denn der Glaube gilt für blind,

Und die Pfaffen necke keiner, weil sie unversöhnlich sind.

Aber sag' Er, was mit Seinen Griechenschädeln soll geschehn?

SCHMUHL.

Dosen lass' ich aus den Knochen für die Diplomaten drehn.

SIRMIO.

Aber die scholast'schen Phrasen?

SCHMUHL.

Sag' ich jungen Leuten her,

Die sie wörtlich wiederholen, weil ihr Hirn gedankenleer:

Manche, denen nichts das Leben lehrte, setzen sich in Kopf,

Sie begriffen Erd' und Himmel, wenn von Worten voll ihr Kropf.

DAMON.

Nein! Ich halte mich nicht länger. Bist du nicht der Jude Schmuhl?

SCHMUHL.

Aufzuwarten.

DAMON.

O der Freude! Sirmio, bring' Er einen Stuhl!

Kennst du mich noch?

SCHMUHL.

Mein Gedächtniß ist verworren und verstört.

DAMON.

Damon aus Arkadien bin ich, der in Leipzig Jus gehört!

SCHMUHL.

Wär' es möglich? Find' ich einen akademischen Cumpan?

DAMON.

Geh' Er Sirmio! Dieser war es nicht, die Sach' ist abgethan.


[43] Sirmio ab.


Laß dich tausendmal umarmen! Lege weg den Sack und Hut!

SCHMUHL bei Seite.

Oefters vor Gerichte stand ich, selten lief es ab so gut.

DAMON.

Nun gesteh mir im Vertrauen, ob du der Entwender bist?

SCHMUHL.

Altes Zinn und Eisen braucht' ich; denn ich bin ein Alchymist,

Und so hoff' ich, daß man mich der Kleinigkeiten nicht beraubt.

DAMON.

O der Wissenschaft ist Alles, was sie fördern kann, erlaubt!

Diese Bauersleute nützen ihr Geräth zu niederm Zweck:

Ist ein Teller blos vorhanden, um zu schneiden drauf den Speck?

Ward der Pfanne kein genetisch höherer Beruf bescheert,

Als um Brei darin zu kochen, ist sie kaum des Stehlens werth!

SCHMUHL.

Ja, du bist der Alte! Du benimmst mir eine große Last.

DAMON.

Aber eine Gabel hast du doch vergessen in der Hast.

SCHMUHL.

Wenn du es erlaubst, so geh' ich auf ein Andermal darum,

Und ich schenke diese Gabel dir voraus als Pretium.

DAMON.

Güt'ger Freund! Doch nun erzähle, wie es dir bisher erging!

SCHMUHL.

Noch in Leipzig –

DAMON.

Theures Leipzig, wo ich öfters Grillen fing!

Zwar in den Collegien hatten Langeweile wir genug.

Aber sonderlich bei Gottsched.

SCHMUHL.

Jetzo hat man sie bei Krug.

DAMON.

Leipzig soll mir Keiner schimpfen!

SCHMUHL.

Brave Leute fand ich dort.[44]

DAMON.

Ja, die Sachsen sollen leben! Aber fahre weiter fort.

SCHMUHL.

Noch in Leipzig ergab ich mich ganz, wie du weißt, Schwarzkünsten und chemischen Studien,

Und der Chiromantie und der Pyromantie und der Negromantie des Agrippa;

D'rauf las ich für mich Pfaff's Astrologie, und in Göttingen trieb ich Punktirkunst;

Doch trieb ich es nur insgeheim, weil dort schon ein denkender Mensch ein Phantast heißt.

Laut rühmen sie sich in derselbigen Stadt, daß nie die Naturphilosophen

Bei ihnen gediehn, ja, daß ein Poet, wie Bürger, vor Hunger beinah starb.


Die Vorigen. Sirmio.


SIRMIO bei Seite.

Aufreizt mich der Sinn, zu belauschen das Paar, nicht länger bezähm' ich die Neugier.

Was mag nun wohl an den Herrn Schultheiß der fatale Hebräer verschachern?

Und es stachen ihm doch aus dem Schnappsack vor die gestohlenen Messer und Gabeln.

SCHMUHL.

Als einst bei Nacht ich im Mondschein saß auf der Plesse romantischen Trümmern,

Und ein Zephyr strich durch's Buchengezweig, und über ' die Felder der Eb'ne;

Da erschien mir ein Geist, den lang' ich citirt, Inhaber beträchtlicher Schätze,

Der Salome hieß, denn es war das Gespenst von einer arkadischen Ahnfrau!

Sie begann, und ich selbst, aufhorcht' ich genau, denn sie redete wienerisch Hochdeutsch:

Du vergeudest die Zeit durch Goldmacherei, statt wirkliche Schätze zu heben!

In Arkadien liegt ein beträchtliches Geld drei Schuh tief unter der Erde;[45]

Und fragst du mich, wo? antwort' ich, es liegt verschlossen in eiserner Kiste,

In des Mopsus Hof, der Schäfer und Schaf, just unter dem hölzernen Hundstall.

SIRMIO.

O erfreuliche Post! Ich eile davon, um zuerst zu ertheilen die Nachricht.


Ab.


SCHMUHL.

Und Salome fuhr, nach kurzem Verzug, im Gespräch fort folgendermaßen:

Doch hüte dich auch vor dem tückischen Schatz, weil ihm unsühnbare Blutschuld

Anhaftet und er mir ein Erbtheil ist von meinem ermordeten Ehherrn,

Den ich, sein Weib, in die andere Welt, unschuldiger Weise, gefördert.

Von Kindheit auf, wie noch jetzt als Geist, fühlt' ich brechpulvrigen Abscheu

Vor Spinnen, und floh dieß häßliche Thier noch mehr als Laster und Sünde.

Als Abends ich einst mit meinem Gemahl, dem behaglichen, saß an der Tafel,

Spann plötzlich, weh! sich ein solches Gethüm von der Decke herab in den Mund mir:

Ich schrie, wie am Spieß, das erräthst du, doch nicht, was nun mein Ehegemahl that?

Er erschrak und stach sich die Gabel in Schlund, da er just Kartoffelsalat aß.

So starb er und mir blieb stets in der Brust ein grausam nagender Vorwurf,

Obgleich nach ihm drei Männer ich noch heirathete, mich zu betäuben.

Doch hinderlich ging's mir stets und betrübt, seit jenem erbärmlichen Unfall:

Wenn ich am Putztisch mich schminkte, vergaß ich gemeiniglich eine der Backen;

Wenn ich emsig und schnell Nähnadeln sodann einfädelte, fand ich das Oehr nicht;[46]

Wenn ich mahlte Kaffee, gleich sprangen sofort zur Mühle heraus mir die Bohnen;

Wenn ich beim Backwerk aufstreute den Zimmt, so ergriff ich die Büchse mit Streusand;

Wenn im Freien ich saß, hob immer den Fuß bei mir ein pissender Mops auf.

Kurz, Alles mißlang und das Beste mißrieth, durch sichtliche Rache der Vorsicht;

Auch muß ich dafür nun todt umgehn, vielleicht bis meines Geschlechtes,

Das viel Unglück in der Gabel ererbt, letzt äußerster Sprosse verschieden.

Aber mein Ursohn, weh, weh, weh mir! hat zwölf pausbackige Kinder.

»O greuliche Brut!« Frau Salome sprach's, mit manchem Da Capo von Weh mir!

Du hebe den Schatz, so befahl sie zuletzt, mir helfe der leidige Satan!

Sie verschwand und es wich der Nachtflor schon, tief sanken zu Thale die Nebel,

Aber ich ließ nach Arkadien mich einschreiben im Göttinger Posthaus.

Zwar ward ich dafür vom Postpersonal, als tollhauswürdig, verspottet;

Doch dacht' ich, es scheint ein vorzüglicher Mann stets lächerlich nüchternen Gecken.

DAMON.

So kamst du hieher?

SCHMUHL.

So kam ich hieher; doch nicht ohn' alle Beschwerde:

Denn in Oestreich ließ mich Niemand durch, im Wahn, ich hülfe den Griechen;

Ich sprach, nicht gilt's mir Gefecht noch Kampf, mir gilt's nur leidigen Mammon;

Doch glaubten sie fest, ich wollte dahier mein Blut verspritzen der Freiheit.[47]

Nun hilf mir, o Freund, zu erbeuten den Schatz, und das Uebrige laß mich behalten!

DAMON.

Das findet sich, Freund! Wir ziehen uns leicht durch List aus dieser Geschichte.

Doch laß uns hinein ins Tafelgemach, auf Leipzigs oder auf Gottscheds

Wohlseyn und Gedeihn ausleeren ein Glas und besingen die Rebe von Chios.

SCHMUHL.

Zwar Gottsched starb, man bewahrt nur noch in Germanien seine Perücke,

Doch geht sie allda von Kopfe zu Kopf, ihr dürfen wir bringen ein Vivat!

DAMON.

Wer trägt sie denn jetzt?

SCHMUHL.

Das hält man geheim; doch wie:

es dem Midas ergangen,

So ergeht's auch hier, und ich fürchte beinah, daß irgend ein Badergeselle

In ein Binsengebüsch an der Elster und Spree sanft lispele: Diesem und Jenem

Umtrottelt das Haupt, bis fast ans Knie, die Alongenperücke von Gottsched.

DAMON.

Nun gehn wir hinein!

SCHMUHL.

Ich folge sogleich, ich liebe die südlichen Weine.


Damon ab. Schmuhl wirft Mantel und Bart weg, und erscheint als Chorus, indem er bis an den Rand des Theaters vortritt.


Wißt ihr etwa, liebe Christen, was man Parabase heißt,

Und was hier der Dichter seiner Akte jedem angeschweißt?

Sollt' es Keiner wissen, jetzo kann es lernen jeder Thor:

Dieß ist eine Parabase, was ich eben trage vor.

Scheint sie euch geschwätzig, laßt sie; denn es ist ein alter Brauch,

Gerne plaudern ja die Basen, und die Parabasen auch.[48]

Doch sie wissen, daß in Deutschland, wo nur Gänse werden fett,

Nichts die Bretter darf betreten, was nicht hat vor'm Kopf ein Brett;

Wissen also, daß ich nie vor euch sie recitiren darf,

Darum sind sie um so kecker, um so mehr be stimmt und scharf.

Ja, sie wagen euch zu tadeln, wie ihr seyd mit Sack und Pack,

Euer Ungewisses Unheil, euern ledernen Geschmack!

Mittelmäß'gem klatscht ihr Beifall, duldet das Erhabne blos,

Und verbannet fast schon Alles, was nicht ganz gedankenlos.

Ja, in einer Stadt des Nordens, die so manches Uebels Quell,

Gibt man Clauren's Albernheiten und verbietet Schiller's

Tell! Schreibe nur, o Freund, das beste, das gediegenste Gedicht,

Biet' es aber nie der Bühne, denn das Beste will sie nicht.

O verstündet ihr, von bloßen Redensarten überhäuft,

Geistigem Genuß zu schlürfen, der aus ew'gen Rhythmen träuft!

O ihr würdet bald empfinden, daß man lieber hört von dort,

Wo ihr jetzt das Leerste höret, ein mit Sinn begabtes

Wort! Aber hoff' ich, daß ihr jemals an ein Lustspiel euch gewöhnt,

Das ein freies Spiel des Geistes, das der Zeit Gebrechen höhnt?

Nun zu euch, ihr Bühnendichter, sprech' ich, wend' ich mich fortan:

Wollt ihr etwas Großes leisten, setzet euer Leben dran!

Keiner gehe, wenn er einen Lorber tragen will davon,

Morgens zur Kanzlei mit Akten, Abends auf den Helikon:[49]

Dem ergibt die Kunst sich völlig, der sich völlig ihr ergibt,

Der den Hunger wen'ger fürchtet, als er seine Freiheit liebt.

Die Geburt verleiht Talente, rühmt ihr euch, so sey es – ja –

Doch die Kunst gehört dem Leben, sie zu lernen seyd ihr da!

Mündig sey, wer spricht vor Allen; wird er's nie, so sprech' er nie,

Denn was ist ein Dichter ohne jene tiefe Harmonie,

Welche dem berauschten Hörer, dessen Ohr und Sinn sie füllt,

Eines reingestimmten Busens innerste Musik enthüllt?

Selten zeigt sich Einer, welchem jeder Puls wie Feuer schlägt,

Weil ihn die Natur als ihren Liebling auf den Händen trägt:

Soll's auch Diesem nicht mißlingen, hab' er viel und tief gedacht,

Aber ferne von Scholastik, die die Welt zur Formel macht!

Wäre mit so leichten Griffen zu enträthseln die Natur,

Hätte sie auf euch gewartet, ihr zu kommen auf die Spur?

Auch das Beste, was ihr bildet, ist ein ewiger Versuch,

Nur wenn Kunst es adelt, bleibt es stereotyp im Zeitenbuch.

Schönheit ist das Weltgeheimniß, das uns lockt in Bild und Wort,

Wollt ihr sie dem Leben rauben, zieht mit ihr die Liebe fort:

Was noch athmet zuckt vor Abscheu, Alles sinkt in Nacht und Graus,

Und des Himmels Lampen löschen mit dem letzten Dichter aus!

Quelle:
August von Platen: Die verhängnisvolle Gabel / Der romantische Ödipus. Stuttgart 1979, S. 39-50.
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