31. Herrscher und Volk

[483] Nie sehnt ein willkürübender Herrscher sich

Nach Dichterweihrauch, dessen er nicht bedarf:

Er legt ans Schwert kraftvoll die Faust und

Wen er zum Opfer sich wählt und wer ihm


Mißfällt und wer Freiheit zu verkünden wagt,

Den trifft der Tod, den decken Sibiriens

Schneefelder zu, der wird geschmiedet,

Tief in der Grotte des Felseneilands,


Titanenhaft auf eisernen Rost, zu dem

Das Meer emporschlägt. Aber das Volk bedarf,

Ohnmächtig schmerzvoll, eines Mannes,

Welcher im Lied es empfiehlt der Nachwelt


Als Stoff des Mitleids, welcher erzählt, wie schnell

Zusagen wehn aus fürstlichem Mund, und ach!

Gleichschnell verweht sind, wie man Schwüre

Bricht in der Nähe des Pols und südwärts!


Sind Schwüre nicht (leicht löst sie der Papst) ein Spiel

Herzloser Bourbons? Nichtigem, falschem Eid,

Ach, lauschte Frankreich; lauschte Spanien,

Lauschte das Land um Messinas Pharus,


Diesseits und jenseits! Einen erblickten wir,

Der seines Zwingherrn blutige Hand geküßt,

Nachdem umsonst sein Volk des Wagens

Stricke zerhaun, den geliebten König


Nicht lassen wollend. Jener entwich, da focht's

Sechs Jahr um ihn, sechs Jahre, befreit zuletzt

Ihn aus der Haft. Er kommt und liefert

Seine Befreier dem Blutgerüst aus.


War solches Undanks fähig ein Nero selbst?

Dem, der für ihn sich opferte, mindestens

Dem Strang des Henkers ihn entrückend,

Hätt er ein rühmliches Grab gegönnt ihm!
[484]

Ihr fürchtet nichts, Tyrannen, allein den Tod

Doch fürchtet ihr, der kein Diadem verschont:

So möge denn ums Sterbelager

Drängen sich euch der verhaßte Chorus


All derer, die dumpfbrütende Kerkerluft

Frühzeitig wegrafft, all der Gequälten Geist,

Die auf Galeeren euch, mit Mördern

Eng aneinander gekoppelt, fluchen,


All derer, die, weit über die Welt zerstreut,

Vom Bild der Heimat ihre Gemüter voll,

An fremder Tür ihr Brot erbetteln,

Ja, zu Barbaren verbannt, des Moslems


Mildtätigkeit anflehen! Um euer Bett

Wird manch Gespenst mit drohendem Finger stehn,

Durch Kettenlärm euch weckend, oder

Priester und Priestergebet verscheuchend.


Quelle:
August Graf von Platen: Werke in zwei Bänden. Band 1: Lyrik. München 1982, S. 483-485.
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