6. Acqua Paolina

[461] Kein Quell, wie viel auch immer das schöne Rom

Flutspendend ausgießt, ob ein Triton es sprützt,

Ob sanft es perlt aus Marmorbecken,

Oder gigantischen, alten Schalen:


Kein Quell, so weit einst herrschte der Sohn des Mars,

Sei dir vergleichbar, auf dem Janiculum

Mit deinen fünf stromreichen Armen

Zwischen granitene Säulen plätschernd.


Dort winkt mir Einsamkeit, die geliebte Braut,

Von dort beschaut, vielfältig ergötzt, der Blick

Das Rom des Knechts der Knechte Gottes

Neben dem Rom der Triumphatoren.


Kühn ragt, ein halbentblätterter Mauerkranz,

Das Kolosseum; aber auch dir, wie steigt

Der Trotz der Ewigkeit in jedem

Pfeiler empor, o Palast Farnese!


Wo sonst des finsterlockigen Donnergotts

Siegreicher Aar ausbreitete scharfe Klaun,

Da hob sich manch Jahrhundert über

Giebel und Zinne das Kreuz und herrschte.
[461]

Bis jüngst, der Schicksalslaune gewaltig Spiel,

Ein zweiter Cäsar lenkte den Gang der Welt,

Der pflanzte sein dreifarbig Banner

Neben den schönen Koloß des Phidias;


Ein Sohn der Freiheit; aber uneingedenk

Des edlen Ursprungs, einem Geschlechte sich

Aufopfernd, das ihn wankelmütig

Heute vergötterte, morgen preisgab.


O hätte dein weitschallendes Kaiserwort

Dem Volk Europas, was es erfleht, geschenkt,

Wohl wärst du seines Lieds Harmodius,

Seines Gesanges Aristogiton!


Nun ist verpönt dein Name, Musik erhöht

Ihn nicht auf Wohllautsfittigen; nur sobald

Dein Grab ein Schiff umsegelt, singen

Müde Matrosen von dir ein Chorlied.


Und Rom? Es fiel nochmaliger Nacht anheim,

Doch schweigt's, und lautlos neben der herrschenden,

Sechsrossig aufgezäumten Hoffart

Schleicht der Beherrschten unsäglich Elend.


Nicht mehr das Schwert handhaben und nicht den Pflug

Quiriten jetzt, kaum pflegt die entwöhnte Hand

Den süßen Weinstock, wurzelschlagend

Über dem Schutte der alten Tugend.


Im Flammenblick nur, oder im edlen Bau

Des schönen, freiheitlügenden Angesichts

Zeigt Rom sich noch, am Scheideweg noch,

Aber es folgte dem Wink der Wollust!

Quelle:
August Graf von Platen: Werke in zwei Bänden. Band 1: Lyrik. München 1982, S. 461-462.
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