[415] Jupiter, Alkumena, Merkurius.
JUPITER.
Leb' wohl, Alkmena, sorge für das Haus, wie du es immer tust!
Und, bitte, schone dich! Du siehst, es naht die Stunde der Geburt.
Ich bin gezwungen fortzugehn. Du ziehe auf, was du gebierst!
ALKUMENA.
Wie kommt es, lieber Mann, daß du so eilig wieder von mir gehst?
JUPITER.
Wahrhaftig nicht, weil du mir und mein Haus mir überdrüssig wär',
Doch wenn der Feldherr nicht beim Heere ist, geschieht viel schneller, was
Von Unheil ist, als das, was nützt.
MERKURIUS für sich.
Was für ein feiner Pfiffikus
Er ist! Obgleich er doch mein Vater ist. Nun seht
Doch nur, wie schlau er diesem Weib zu schmeicheln weiß!
ALKUMENA.
Mein Gott, ich seh', wieviel dir deine Gattin gilt.
JUPITER.
Genügt es, wenn ich keine liebe gleich wie dich?
MERKURIUS für sich.
Ja, wüßte sie, was du für Streiche treibst, ich sorgt'
Dafür, daß sie Amphitruo mehr lieben soll,
Als Jupiter.[415]
ALKUMENA.
Ich glaubte lieber doch der Tat,
Als nur dem Wort: du gehst von dannen, ehe noch
Das Bett, wo du gelegen, warm geworden ist?
Du kamst um diese Mitternacht und gehst schon fort?
Und so gefällt es dir?
MERKURIUS für sich.
Ich muß hinzu, muß auch
Mitsprechen und dem Vater es erleichteren.
Zu Alkumena.
Noch niemals, glaub' ich, hat ein Mann sein Weib so toll
Geliebt, wie dieser toll in dich verschossen ist.
JUPITER in erheuchelter Wut.
Du Galgenstrick! Ich kenne dich, marsch, geh mir aus
Den Augen! Schuft, was hast du hier zu suchen? He?
Auch nur zu mucksen? Wart', ich will dich mit den Stock ...!
ALKUMENA.
Ach, nicht doch! Nicht!
JUPITER zu Merkurius.
Ja, muckse noch einmal!
MERKURIUS für sich.
Mir ging
Der erste Freundschaftsdienst beinah recht übel aus.
JUPITER.
Geliebtes Weib, du darfst mir doch nicht böse sein:
Ich habe heimlich mich vom Heer entfernt, nur dir
Zulieb mich freigemacht, damit als erste du,
Von mir zuerst erführest, wie die Sachen stehn:
Ich hab' dir das Polit'sche alles auch erzählt.
Das hätte ich doch nicht getan, wenn ich dich nicht
So innig liebte.
MERKURIUS für sich.
Hab' ich's nicht gesagt? Traktiert
Das scheue Weib mit Schmeichelein.[416]
JUPITER.
Doch jetzt, damit
Das Heer nichts merke, muß ich aber schnell zurück,
Sonst sagen sie, mir gelte mehr mein Weib, als selbst
Der Staat.
ALKUMENA.
Du gehst und läßt in Tränen mich, dein Weib,
Zurück?
JUPITER.
Sei ruhig, trübe deine Augen nicht!
Ich komm' sehr bald zurück.
ALKUMENA.
Sehr bald? Wie lang das ist!
JUPITER.
Nur ungern gehe ich zurück und lasse nicht
Von dir.
ALKUMENA.
Ja, ja, man sieht's: In gleicher Nacht, in der
Du kamst, entfernst du dich.
JUPITER.
Was hältst du mich zurück?
Die Stunde drängt: ich will die Stadt verlassen, eh
Es tagt. Empfange zum Geschenke den Pokal,
Der mir als Tugendpreis verliehen ward, aus dem
Pterela trank, der König, den mit eigner Hand
Ich niederschlug! Alkmene, sieh: ich schenk' ihn dir.
ALKUMENA.
Da tust du, wie du immer tust. Bei Gott, das ist
Ein würdiges Geschenk, wie der, von dem es kommt!
MERKURIUS.
Ein würdiges Geschenk, wie die, die es bekommt.
JUPITER.
Du fängst schon wieder an? Ja, kann ich denn dich, Schuft,
Nicht ganz erledigen?[417]
ALKUMENA.
Ach nein, Amphitruo,
Ich bitte, ärgere dich doch nicht um Sosia!
JUPITER.
Ich tue, wie du willst.
MERKURIUS für sich.
Die Liebe macht ihn wild.
JUPITER zu Alkumena.
Und noch ein Wunsch?
ALKUMENA.
Daß du mich lieben mögest, wenn
Ich auch so fern bin, mich, die Deinige!
MERKURIUS.
Nun komm,
Amphitruo: der Tag bricht an.
JUPITER.
Du, Sosia
Du gehst voran! Ich komme gleich.
Zu Alkumena.
Was willst du noch?
ALKUMENA.
Noch einmal: komme bald zurück!
JUPITER.
Gewiß, noch eh
Du's denkst, bin ich schon wieder hier: Sei guten Muts!
Alkumena geht in den Palast.
Jetzt, Nacht, die du für mich dich so verlängert hast,
Entlass' ich dich, daß du dem Tage weichst, mit Licht
In hellem Glanze strahlen kannst den Sterblichen.
Und, Nacht, es soll der Tag um so viel kürzer sein,
Als länger diese Nacht gewesen ist. So gleicht
Es zwischen Tag und Nacht sich wieder aus. Doch ich,
Ich will jetzt wieder fort, nachgehen meinem Sohn. –
Ab. Der Tag bricht an.
Buchempfehlung
Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.
106 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro