Ein Traum in einem Traum

Auf die Stirn nimm diesen Kuß!

Und da ich nun scheiden muß,

So bekenne ich zum Schluß

Dies noch: Unrecht habt ihr kaum,

Die ihr meint, ich lebte Traum;

Doch, wenn Hoffnung jäh enflohn

In Tag, in Nacht, in Vision

Oder anderm Sinn und Wort –

Ist sie darum weniger fort?

Schaun und Scheinen ist nur Schaum,

Nichts als Traum in einem Traum!


Mitten in dem Wogenbrand

Steh' ich an gequältem Strand,

Und ich halte in der Hand

Körner von dem goldnen Sand –

Wenig, dennoch ach, sie rinnen

Durch die Finger mir von hinnen –

Weinen muß ich, weinend sinnen!

Ach, kann ich nicht fester fassen,

Um sie nicht hinwegzulassen?

Ach, kann ich nicht eins in Hut

Halten vor der Woge Wut?

Ist all Schaun und Schein nur Schaum –

Nichts als Traum in einem Traum?

Quelle:
Edgar Allan Poes Werke. Gesamtausgabe der Dichtungen und Erzählungen, Band 1: Gedichte, Herausgegeben von Theodor Etzel, Berlin: Propyläen-Verlag, [1922], S. 17,111.
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