Israfel1

Ein Geist wohnt in den Höhn,

»Dessen Herz einer Laute gleicht«;

Wie Israfel so schön

Singt keiner in den Höhn;

Die Sterne, die sich kreisend drehn,

Verstummen im Vorübergehn,

Wenn der Klang sie erreicht.


Und wenn im Weltgetriebe

Der wechselnde Mond

Am höchsten thront,

Erglüht er von Liebe;[62]

Und horchend verharren der rote Blitz

Und die sieben Plejaden stockenden Schritts

Auf ihrem Himmelssitz.


Und sie sagen (der sternige Rat

Und alle Lauscher in seinem Geleite),

Daß Israfel sein Feuer

Verdanke jener Leier,

Die seine Stimme weihte –

Dem bebenden lebenden Draht

Jener ungewöhnlichen Saite.


Doch die Höhn, wo der Engel wohnt,

Wo hohe Gedanken, Pflicht und Zoll,

Wo, erwachsene Gottheit, die Liebe thront,

Wo die Huri blickt, sind nah und fern

Von all der Schönheit voll,

Die wir schätzen an einem Stern.


Drum gehst du recht in deinem Drang,

O Israfel, du weiser Barde!

Verachtend glutenlosen Sang

Gab dir der Ruhm den höchsten Rang,

Dein ist der Lorbeer, bester Barde!

Heiter lebe und lang!


Und die Verzückungen drüben,

Sie passen zu deinem feurigen Reigen,

Deinem Gram, deiner Lust, deinem Haß, deinem Lieben,

Sind ganz deiner Inbrunst zu eigen –

Wohl mögen die Sterne schweigen!


Ja, der Himmel ist dein! Doch dieser Welt

Ist Süß und Sauer gemein;

Unsre Blumen können nur – Blumen sein;

Der Schatten deiner Wonne fällt

Auf uns als Sonnenschein.


O wär ich schnell,

Wo Israfel

Gewohnt, und er wär ich –

Er säng wohl nicht so flammend hell

Ein sterblich Lied; doch ich,

Ich säng aus solcher Leier Quell

Ein Lied, dem keines glich!


Fußnoten

1 Und der Engel Israfel, dessen Herz eine Laute ist und der die süßeste Stimme hat von allen Gotteskreaturen. – Koran.


Quelle:
Edgar Allan Poes Werke. Gesamtausgabe der Dichtungen und Erzählungen, Band 1: Gedichte, Herausgegeben von Theodor Etzel, Berlin: Propyläen-Verlag, [1922], S. 62-63,144-145.
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