[329] Zwei Monate waren vergangen, seit das Büttnersche Gut unter den Hammer gekommen war. Samuel Harrassowitz schaltete und waltete jetzt hier als unumschränkter Herr und Gebieter. Er hatte den alten Bauern vorläufig auf seinem ehemaligen Hofe gelassen. Er nahm auch keine Miete von den Leuten, aus dem einfachen Grunde, weil sie nichts mehr hatten, wovon sie ihm hätten Quartiergeld zahlen können. Außerdem waren die Büttners, wie er es selbst zugab, »alte brave Leute«, denen er das »Almosen gern gönnte«. – Er ließ die Felder von dem alten Manne bestellen; auf diese Weise konnte der etwas von dem Gelde, was er noch auf Wechsel schuldete, abarbeiten.
Mancherlei Veränderungen nahm der Händler in der Wirtschaft vor. Zunächst führte er die Ochsen weg; die konnte er gerade an einer anderen Stelle gut gebrauchen. »Sie kommen schließlich auch mit Kühen aus; was, mein guter Büttner?« sagte er in seiner biedermännisch aufgeknöpften Weise zu dem Alten.
Der Büttnerbauer erwiderte nichts hierauf. Er nahm überhaupt jeden Befehl des neuen Herrn schweigend und mit undurchdringlicher Miene hin.
Nun war er also so weit gekommen, daß er mit Kühen aufs Feld fahren mußte wie die Kleingärtner und Stellenbesitzer. Als Knecht eines Fremden bestellte er jetzt den Acker, der einstmals sein gewesen. Wenn man Grimm und höllische Schmerzen aussäen könnte, was wäre da für eine Saat aufgegangen auf diesen Fluren! –
Im Obstgarten, der das Haus umgab, ließ Sam tüchtig aufräumen. Die alten Krüppel von Apfelbäumen[330] machten zu viel Schatten und trügen ja doch nur saures Zeug, das man nicht los würde, hieß es. Die Bäume hatte der Großvater zu Anfang des Jahrhunderts gepflanzt, er war ein Obstheger gewesen, und die späteren Generationen hatten den Segen seiner Fürsorge geerntet. Jahrein, jahraus pflegten die »alten Krüppel« zu tragen, ihre harten kernigen Sorten, wie sie dem Klima angepaßt waren. Die Bäuerin hatte davon abzubacken gepflegt; Weihnachtsäpfel hatte man gehabt, und mancher späte Apfel hielt sich bis tief ins Frühjahr hinein als angenehme Beigabe zur Alltagskost.
Nun sollten die alt en treuen Stämme dran glauben. Der Bauer und Karl mußten selbst Hand anlegen, die Bäume umzusägen und die Stöcke zu roden. Der Büttnerbauer verrichtete auch dieses Werk schweigend, aber in seiner Hand schien die Säge zu knirschen, als sie sich in das spröde Holz einfraß.
Toni hatte inzwischen das väterliche Haus verlassen müssen, denn Sam erklärte: So viel Mäuler dürften auf seine Kosten nicht gefüttert werden. Zudem paßte es jetzt mit der Ammenstelle. Frau Achenheim, seine Tochter in Berlin, hatte Sam zum Großvater gemacht. Toni sollte den Sprößling ernähren und wurde zu diesem Behufe eines Tages nach Berlin befördert. Und diesmal war kein Gustav zur Stelle, die Schwester zu schützen. Tonis eigenes Kind wurde Theresen übergeben, welche diesen Familienzuwachs mit geringer Freude begrüßte.
Man mußte es Sam lassen, es hatte alles Art, was er unternahm. Er verstand es, im großen Stile zu verfügen. Das Kleinste, was er anordnete, schien von langer Hand vorbereitet und ordnete sich vortrefflich in das Gefüge seiner Operationen ein.[331]
Auch mit Karl Büttner hatte er seine besonderen Absichten. Zunächst ließ er es zu, daß der junge, kräftige Mann dem Vater bei der Frühjahrsbestellung half. Sobald diese besorgt war, erklärte der Händler dem Bauernsohne, daß er seine Dienste nunmehr entbehren könne, und daß er mitsamt seiner Familie auszuziehen habe.
Karl war also vom väterlichen Hause und Hofe vertrieben! Was nun beginnen? Karl Büttner stand der Zukunft ratlos gegenüber. Er hatte nichts gelernt; nur in der Soldatenzeit war er von der Heimat weggekommen. Einen anderen Beruf als den bäuerlichen zu betreiben, daran hatte er, als des Büttnerbauern Ältester, nie gedacht.
Der Ärmste hatte es schwer. Er war um das väterliche Erbe gekommen, er wußte nicht wie! Seine Frau machte ihm das Leben auch nicht leichter, seit er ein Bettler geworden war. Täglich bekam er jetzt von ihr zu hören, daß sie betrogen sei mit ihm. Daß er ein »dummer Karle« sei, das habe sie freilich immer gewußt, aber sie habe doch wenigstens geglaubt, einmal Bäuerin zu werden durch ihn. Nun mußte der Unglückliche ihr für diese Enttäuschung herhalten.
Karl suchte eine Zeitlang nach einer Tätigkeit. Sein Suchen bestand darin, daß er ratlos umherlief und sich als Kutscher anbot. Aber man stieß sich meist an seiner starken Familie, und sein ungeschicktes Auftreten hatte auch wenig Bestechendes. Bald gab er das jedoch auf und saß nur noch, unter dem Vorgeben, in den Blättern zu suchen, in den Schenken umher. Therese, die ihm alsbald anmerkte, daß er Bier und Schnaps genieße, wurde durch diese Entdeckung auch nicht freundlicher gestimmt.[332]
In dieser Not trat wiederum Sam als Helfer auf. Er wolle ihm eine von seinen Wirtschaften in Wörmsbach verpachten, sagte er zu Karl.
Karl Büttner ging nach Wörmsbach, um sich die Stelle anzusehen. Es war ein kleines Anwesen, ein elendes Überbleibsel von einem Bauerngute, welches Harrassowitz bis auf diesen Rest vereinzelt hatte. Die Gebäude waren gänzlich verfallen und drohten jeden Augenblick Einsturz. Nur noch die kahlen Lehmwände standen da, und durch diese blickte an manchen Stellen schon das Tageslicht hindurch. Was an Möbelstücken und Gerätschaften früher etwa da gewesen sein mochte, war längst herausgeschleppt. Fast ebenso schlimm wie auf dem Hofe sah es auf den Feldern aus. Das meiste war Schwarzbrache. Jahrelang hatte niemand hier bestellt.
»Ein schönes Feld der Tätigkeit für einen jungen Mann,« sagte Sam. »Sie werden das schon in die Höhe bringen, Büttner, da sind Sie ganz der Mann dazu!« – Den Pachtschilling für den ersten Termin wollte Sam gütigst stunden und zur Anschaffung von Vieh, Saatgut und Inventar Geld vorschießen.
Karl Büttner war leicht zu bereden, besonders von einem wie Samuel Harrassowitz, der schon Klügere seinem Willen untertan gemacht hatte; so wurden die beiden handelseinig.
Karl siedelte also mit Weib und Kind und den wenigen Habseligkeiten, die er sein nannte, nach Wörmsbach über. Therese, die sonst nicht zu weichen Stimmungen neigte, weinte, als sie das neue Heim erblickte. Der windschiefe Giebel, die zerbrochenen, hie und da mit Papier verklebten Scheiben, das Strohdach, welches aussah wie ein struppiger Pelz, in dem die Motten[333] sich niedergelassen! Und erst drinnen in den Stuben: die verschimmelten Wände, die morschen Dielen, ein Herd, zwischen dessen Kacheln das Feuer durchleuchtete!
So sahen die Räume aus, in denen sie in Zukunft hausen sollten! –
* * *
Eines Tages kam ein kleiner Herr nach Halbenau, begleitet von einem halbwüchsigen Bürschchen. Sie trugen sich mit Rollen, Holzkästchen, Mappen und einer langen Kette. Wo das »ehemalig Büttnersche Bauerngut« gelegen sei, fragten sie. Man wies ihnen den Weg. Sie begannen die Felder zu umschreiten, der Knabe mußte kleine Pflöckchen einschlagen und hatte die Maßkette zu ziehen. Drei Tage lang arbeiteten sie in dieser Weise, schrieben Zahlen an die Pflöckchen und machten Einzeichnungen in eine Karte.
Der Mann verschwand wieder, aber seine Pfähle blieben stehen.
Am Sonntag nachmittag gab es dann eine wahre Völkerwanderung nach dem Bauerngute. Die Halbenauer kamen, sich das abgesteckte Land zu besehen. Einzeln und in Gruppen schritten sie auf den Rainen und Feldwegen auf und ab.
Der Büttnerbauer sah das vom Hofe aus. Die Zornader schwoll ihm. Was wollte das Volk denn hier! Die zertrampelten das Gras und liefen womöglich über die Saaten. Er ging vor den Hof und rief den ersten besten, der ihm in den Wurf kam, an, was er hier zu suchen habe.
»Ich will a Morgen a zweee kesen, morne!« sagte der und ging seines Weges weiter.[334]
Hier sei kein öffentlicher Weg, schrie ihn der alte Mann an.
»Nu, Traugott, stell d'ch doch ne su an!« meinte der andere, einer seiner Nachbarn. »Morne wollen se duch deine Felder eenzeln versteigern. 's hat ja im Blattel gestanda!«
Also das war es: Vereinzelung des Gutes! – Der alte Mann stand eine ganze Weile wie erstarrt. Dann setzte er sich langsam in Bewegung, mit schleppenden Schritten, als ziehe er eine schwere, unsichtbare Bürde hinter sich drein.
Ein Trupp Dorfleute kam ihm entgegen vom Felde. Sie sprachen laut; offenbar unterhielten sie sich über die bevorstehende Landauktion. Als sie des Alten ansichtig wurden, verstummte ihr Lärmen; schweigend, mit verlegenen Mienen eilten sie an ihm vorüber.
Dann kamen wieder zwei, ein alter und ein junger: Kaschelernst und Richard.
Der Kretschamwirt blieb stehen, als er in gleicher Höhe mit seinem Schwager war. »Gu'n Tag, Traugott!« Kein Gegengruß erfolgte. »Du, Traugott!« meinte Kaschelernst, scheinbar harmlos plaudernd, »dei, Korn stieht aber heuer gutt. Kreiterwetter! das is a Staatskorn, da warn a hibsch paar Schock uf'n Morgen kimma. Was meenst de? nich!«
Der Büttnerbauer sagte nichts, warf aber dem Schwager einen so sprechenden Blick zu, daß der ihm unwillkürlich den Weg freimachte und ihn weitergehen ließ. Dann rief er dem Alten nach: »Du, Traugott! zur Ernte kannst de mir helfen kimma. Ich will d'ch och bezahl'n. Ich mechte 's Korn sinsten am Ende ne Herre warn, suviel stieht's 'n druffe. Willst de uf Erntearbeit kimma – hee?«[335]
Der Bauer ging weiter, ohne sich umzusehen.
»Nu ja, ich meene ock, Traugott! Du weeßt am Ende noch gar niche, daß 'ch das Kornsticke dahie von Harrassowitzen gehest ha'. 's is a hibsches Sticke, a Schaffel a zehne gruß. Ju, ju, das ha' ich mer genumm'n! Na, dacht'ch, wenn se's Büttnersche Gut eemal versteigern tun, da wirscht de dir och e Sticke nahmen kennen – warum denn ne! Da bleibt's duch wenigstens in der Familie.«
Nun war der Alte doch stehen geblieben, mitten auf dem Wege, starr und steif, mit offenem Munde. Kaschelernst hatte das Kornstück gekauft! – Kaschelernst im Besitze seines besten Ackers! –
»Ju ju, Traugott, das Korn is meine!« sagte der Kretschamwirt, näher zu seinem Schwager herankommend. »Ich bedank' mich och schienstens bei dir, daß du den Acker so schiene bestellt hast. Schienes Korn, sehr schienes Korn!«
Richard, der sich bis dahin die Hand vor den Mund gehalten hatte, platzte jetzt auf einmal heraus.
Der Bauer stand da, steif wie ein Stock.
Kaschelernst im Besitze dieses Kornstückes! – Das erschien von allem, was ihm bisher widerfahren, das Ungeheuerlichste. Sein Gesicht begann sich zu verändern. Die Augen leuchteten in dunklen Lichtern, die Nüstern blähten sich auf, die Lippen hoben sich wie bei einem wilden Tiere, das sich auf den Feind stürzen will. Aus seinem Munde kam ein knurrender Laut: »Hund – Huund .... ...«
Das Lachen des Neffen verstummte vor der Miene des Alten, der mit geballten Fäusten auf sie zukam.
»Huund – Hunde! Ich zerschlag' eich de Knuchen – Ich zerschlag' .....«[336]
Der Sohn suchte Deckung hinter dem Rücken des Vaters. Da aber Kaschelernst es vorzog, sich in schnellster Gangart vor seinem Schwager zurückzuziehen, so war bald ein Zwischenraum zwischen Traugott Büttner und den Kaschels entstanden. Nach einiger Zeit wagten es die Braven wieder, Halt zu machen.
Büttner war gleichfalls stehen geblieben und drohte keuchend mit der Faust nach jenen hinüber. »Wenn 'ch, und ich find' d'ch Kaschell De Knuchen zerschlag' 'ch d'r. Hund du!«
Der Kretschamwirt rief eine höhnische Bemerkung dagegen. Der Bauer kam ihnen von neuem nach, worauf sich das tapfere Paar abermals zurückzuziehen begann.
Da bückte sich der Alte und hob Steine auf, lief ein paar Schritte, ausholend, schleuderte nach jenen. Er traf nicht, denn er war viel zu erregt, um zu zielen. Kaschelernst und Richard machten sich aus dem Staube und waren bald hinter den ersten Dorfhäusern verschwunden.
Inzwischen waren die Leute auf den Vorgang aufmerksam geworden, kamen von allen Seiten herbei, um sich an dem interessanten Streit zwischen den Verwandten zu weiden. Man umstand den alten Mann.
Traugott Büttner stand da mit dunkelrotem Kopfe, wirrem Haar, ohne Mütze, die er beim Laufen eingebüßt hatte, am ganzen Leibe bebend vor Wut. Er schüttelte die Fäuste noch immer nach jener Richtung, wo die Kaschels verschwunden waren. Allmählich löste sich seine Zunge. Zwischen rauhen und schrillen Tönen wechselnd, dumpf knurrend und sich überschreiend, brachte er wilde Flüche und Verwünschungen vor.
Einige jüngere wollten sich schlechte Scherze erlauben mit dem alten Manne, der ganz außer Rand[337] und Band geraten schien. Aber ein paar von seinen Altersgenossen besaßen Anstandsgefühl genug, das nicht zuzulassen. Sie suchten den Tobenden zu beruhigen, der sich inzwischen schon ganz heiser geschrien hatte, und den nur noch die Wut vor dem Zusammenbrechen bewahrte. Er wiederholte dieselben Schimpfworte immer und immer wieder, schien kaum mehr zu wissen, was er schrie. Die älteren Leute nahmen sich seiner an, führten ihn nach seinem Hause. –
Die Bäuerin, die noch immer das Bett hütete, merkte wohl, daß der Bauer unwirsch und einsilbig sei, noch mehr als sonst. Aber das Unglück der letzten Zeiten war so groß gewesen, ein Schicksalsschlag hatte den anderen übertroffen, daß sie schon gar nicht mehr nach Neuem fragte.
Die alte Frau war schwer mit Elend geschlagen. Ihr Mann hatte doch wenigstens seine Arbeit; er konnte den Kummer da draußen im Acker vergraben. Aber sie lag hier oben allein, ohne ein Glied rühren zu können. Die Kinder waren nun alle aus dem Hause, in der Fremde. Keine Menschenseele hatte sie zur Pflege. Hin und wieder kam einmal eine mitleidige Nachbarsfrau, nach ihr zu sehen. Dann hatte sie wenigstens für kurze Zeit jemanden, mit dem sie weinen konnte; das war ihr einziges Labsal. Zu ihrer Gicht war noch Wassersucht getreten, die sie gänzlich bewegungslos machte. Sie sehnte sich aufrichtig nach dem Tode.
Die Bäuerin, welche des Nachts nur wenig schlief, traute ihren Sinnen kaum, als sie in der auf diesen Sonntag folgenden Nacht plötzlich den Bauern aufstehen und sich ankleiden sah. Wo er zu dieser Stunde hin wolle, fragte sie ihn. Eine Kuh sei krank, erwiderte er und ging.[338]
Sie verfolgte seine Schritte und vernahm mit ihrem durch das lange Stilleliegen geschärften Gehör in der tiefen Nachtstille, daß er sich unten mit den Geschirren zu schaffen machte. Und nach einiger Zeit war es ihr, als höre sie ihn mit einem Gespanne den Hof verlassen.
Was sollte alles das vorstellen? Mitten in der Nacht aufzustehen und zur Feldarbeit zu gehen! War der Bauer am Ende gar übergeschnappt?
Früh beim Morgengrauen erst kam er zurück, schmutzbedeckt und erhitzt, wie von angestrengter Arbeit. Er kleidete sich aus, legte sich noch einmal zu Bett und schlief bis tief in den Tag hinein. Die Bäuerin konnte sich nicht entsinnen, je zuvor etwas Ähnliches an ihrem Eheherrn erlebt zu haben. –
Im Kretscham sammelten sich inzwischen die Bieter. Heute sollte ja laut Zeitungsanzeige die Vereinzelung des ehemalig Büttnerschen Bauerngutes stattfinden. Halbenau machte Feiertag an diesem Montage. Denn wenn auch nicht jeder bieten konnte, so wollte doch jeder zum mindesten dabei gewesen sein.
Es kamen etwa sechzig Morgen in kleineren Parzellen zur Versteigerung. Der Bauernhof mit einem Areal von etwa vierzig Morgen nahm der Besitzer von der Auktion aus, ebenso den Wald. Ein Stück von – zehn Morgen hatte der Kretschamwirt bereits vorher erstanden zu einem auffällig niedrigen Preise, wie gemunkelt wurde. Nun, er war ja gut Freund mit Samuel Harrassowitz! –
Die Stimmung war eine angeregte, es schien Kauflust vorhanden. Der Händler kannte seine Leute, wußte, womit man den kleinen Mann ködert. Der Landhunger war auch bei den Halbenauern ausgeprägt. Die ärmsten Schlucker, die sich das Geld womöglich hatten zusammenborgen[339] müssen zur Anzahlung, wollten diese Gelegenheit, zu eigenem Grund und Boden zu gelangen, nicht ungenützt vorübergehen lassen; die Erwägung, ob sie jemals imstande sein würden, nur die Zinsen des Kaufgeldes herauszuwirtschaften, bewegte diese Köpfe nicht. Kaufmännisch zu verfahren oder auch nur ihren Vorteil im voraus zu bedenken, war nicht die Sache von Leuten, die aus der Hand in den Mund lebten und nichts zu verlieren hatten.
Mit Spannung sah man der Ankunft des Händlers entgegen, ohne den die Auktion nicht beginnen konnte. Endlich kam das Wägelchen, auf dem Bocke der Kutscher, mit dem blauen Rocke und der silbernen Tresse am Hute, die in Halbenau nicht mehr unbekannt waren. Harrassowitz hatte den jungen Advokaten Riesenthal mitgebracht, der ihm die Kontrakte mit den Käufern gleich fix und fertig machen sollte.
Mit freudigem Blicke überschaute Sam die Schar der Kauflustigen. »Die Kerle sein wie verrickt!« raunte ihm Kaschelernst zu, als er den Geschäftsfreund am Wagen begrüßte.
»Recht so!« meinte Sam. »Wir wollen ja auch nichts verschleudern.« –
Nach einiger Zeit begab man sich hinaus aufs Bauerngut. Die Versteigerung sollte an Ort und Stelle vorgenommen werden. Der Anblick des Feldes und der Früchte, die darauf standen, würde die Kauflust noch erhöhen, taxierte Sam. Der Händler und der Gastwirt gingen etwas hinter dem allgemeinen Troß drein.
Auf einmal gab es ein Recken der Hälse und Zusammenstecken der Köpfe, Rufe des Staunens, untermischt mit Gelächter! »Was gibt's denn?« fragte[340] Harrassowitz. Die Leute wiesen auf ein Stück frisch gepflügten Ackerlandes.
Kaschelernst stieß einen Ruf des Schreckens aus, lief ein paar Schritte vorwärts, blieb dann stehen mit rotem Kopfe und weitgeöffnetem Munde, ähnlich wie am Tage zuvor sein Schwager Traugott Büttner. Von dem pfiffigen Lächeln, das er sonst zur Schau zu tragen pflegte, war in diesem Augenblicke keine Spur zu entdecken.
Die Leute kicherten und nickten einander schadenfroh zu. Das war Kaschelernsten einmal gesund!
Wo gestern abend noch eine dunkelgrüne Kornsaat geprangt hatte, lag jetzt braune Stürze.
Das hatte der alte Büttner in einer Nacht mit dem Pflüge umgeackert.
Ausgewählte Ausgaben von
Der Büttnerbauer
|
Buchempfehlung
Stifters späte Erzählung ist stark autobiografisch geprägt. Anhand der Geschichte des jungen Malers Roderer, der in seiner fanatischen Arbeitswut sich vom Leben abwendet und erst durch die Liebe zu Susanna zu einem befriedigenden Dasein findet, parodiert Stifter seinen eigenen Umgang mit dem problematischen Verhältnis von Kunst und bürgerlicher Existenz. Ein heiterer, gelassener Text eines altersweisen Erzählers.
52 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro