III.

[341] Die Sachsengänger waren mit ihren Arbeiten rüstig vorwärts geschritten. Den Rüben war bereits die dritte Handhacke gegeben worden. Der trockene Sommer hatte die Reise des Getreides stark gefördert; bereits Ende Juni verkündete die weißgelbe Farbe der Kornähren die herannahende Ernte.

Die Erntezeit bedeutete für die Wanderarbeiter eine Änderung ihrer ganzen Arbeitsweise. Bis dahin hatten sie hauptsächlich in Stücklohn gearbeitet. Es war ihnen überlassen worden, sich Beginn und Dauer der Arbeitszeit selbst zu legen. Erwerbsbeflissen, wie sie waren, hatten sie bei grauendem Tage die Arbeit aufgenommen und niemals vor sinkender Nacht aufgehört, nur mit kurzen Unterbrechungen für Frühstück, Mittagbrot und Vesper. So hatten sie durch große Emsigkeit schöne Einnahmen erzielt. Und die Güte der Arbeit hatte doch nicht unter dem Eifer, möglichst viel[341] vor sich zu bringen, zu leiden gehabt, denn Gustav Büttner stand als strenger Aufseher hinter ihnen. Gustav setzte seinen Ehrgeiz darein, daß bei seiner Gruppe nicht über Schleuderarbeit geklagt werden durfte. Das Auge des schneidigen Herrn Inspektors schien oft genug nach einer Gelegenheit zu Tadel oder gar zu Lohnabzügen zu suchen, wenn er plötzlich an die rübenhackenden Leute herangesprengt kam; aber bis dahin hatte er keine Möglichkeit gefunden, seine wohlwollende Absicht auszuführen.

Anders gestaltete sich die Sache, als die Erntezeit herankam. An Stelle des Stücklohnes sollte nun laut Kontrakt Tagelohn treten. Die Arbeiter, die sich ausgerechnet hatten, daß sie nun nicht mehr den guten Verdienst haben würden, den sie bei der Akkordarbeit erzielen konnten, sahen der Änderung des Lohnsatzes mit Unlust entgegen. Es war darüber schon viel hin und her gesprochen worden unter den Leuten. Man hatte es dem Aufseher nahe gelegt, wegen Aufhebung dieses Vertragspunktes mit dem Arbeitgeber zu verhandeln. Aber Gustav hatte erklärt, was geschrieben sei, sei geschrieben, und an dem Kontrakte dürfe nicht gerüttelt werden. Darüber erhob sich Murren unter den Leuten; einzelne erklärten, im Tagelohn würden sie faulenzen.

Häschke gab das Gelegenheit, seinem Herzen gründlich Luft zu machen. Er schimpfte auf den Arbeitsherrn und seine Beamten, gebrauchte Worte, wie »Lohnsklaverei« und »Ausbeutung des Arbeiters«. – Gustav warf ihm daraufhin vor, er sei ein »Roter«. Häschke nahm den Vorwurf pfiffig lächelnd hin; die »Roten« seien noch nicht so schlimm wie die »Goldnen«, meinte er.

Eines Tages kam der Inspektor an die Arbeitergruppe[342] herangeritten und teilte ihnen in protzig barschem Tone mit, daß morgen mit beginnender Roggenernte der Tagelohn in Kraft trete. Er erwarte pünktlichsten Beginn der Arbeit bei Sonnenaufgang und größten Fleiß; Bummelei werde er nicht dulden. Schließlich drohte er mit Lohnabzügen und Fortjagen auf der Stelle. Damit sprengte er an der Reihe entlang, daß den Leuten Sand und Erdklöße ins Gesicht flogen.

Häschke blickte dem jungen Beamten mit einem eigentümlichen Lächeln nach. »Daß de dich nur nich geschnitten hast, Kleener!« meinte er. »Wenn wir früh vor fünfen antreten, so is das freiwillig. Sollen wir Überstunden machen, dann megt Ihr hübsch drum bitten. So steht die Sache, Freundchen!«

Am nächsten Morgen war ein Teil der Arbeiter nicht dazu zu bewegen, vor fünf Uhr zur Arbeit zu gehen trotz Gustavs bald drohendem, bald gütlichem Zureden. Der Stimmführer dieser Aufsässigen war Häschkekarl. Im Kontrakte stehe nichts davon, daß sie zu Überstunden verpflichtet seien. Der Arbeitstag laufe von fünf Uhr früh bis sieben Uhr abends. Ungebeten würden sie nicht eine Minute länger arbeiten, als sie es nötig hätten.

Gustav war in übler Lage. Er konnte Häschke nicht widerlegen, und wiederum durfte er als Aufseher eine Auflehnung gegen die Brotherrschaft nicht dulden. Was aus alledem entstehen konnte, war nicht abzusehen. Schwerer denn je drückte die Verantwortung, die er für so viele Köpfe übernommen, auf ihn. Er versprach schließlich, die Wünsche der Leute dem Inspektor vortragen zu wollen. Dadurch beruhigten sich die erregten Gemüter etwas.

Während der Mittagspause ging er aufs Vorwerk[343] zum Inspektor. Der Beamte riß erstaunt die Augen auf, als er den Aufseher zu ungewohnter Zeit bei sich eintreten sah. Als er vernommen hatte, um was es sich handle, geriet er in maßlose Wut.

»Was! Ihr wollt Forderungen stellen? Das ist Betrügerei! Was steht im Kontrakte? Ich kann euch allezusammen entlassen – ohne weiteres! Überstunden! Nicht einen Pfennig zahle ich mehr. Wer Morgen früh nicht Punkt vier Uhr auf dem Posten ist, dem ziehe ich drei Mark ab. Rasselbande! Mit euch wird man wohl noch fertig werden! –«

Gustav hörte sich das Schimpfen des erbosten Menschen nicht bis zum Ende an, machte kurz Kehrt und verließ das Zimmer.

Gustav war anfangs im Zweifel gewesen, ob die Forderungen, welche er im Namen seiner Leute gestellt, auch wirklich berechtigt seien; nunmehr war er fest entschlossen, der Überhebung des Beamten seinen Trotz entgegenzusetzen. Als er zu den Arbeitern zurückkehrte und ihnen brühwarm berichtete, wie er behandelt worden sei, brach das Gefühl langverhaltener Erbitterung bei allen durch. Häschke sprach die Ansicht der Mehrzahl aus, als er erklärte, daß die gebührende Antwort hierauf nur Niederlegen der Arbeit sein könne.

Obgleich Gustav die ihm und seinen Leuten widerfahrene Ungerechtigkeit tief empfand, erschien ihm der Gedanke einer Arbeitseinstellung doch bedenklich. Häschke hatte nicht unrecht, wenn er ihm hohnlachend vorwarf, ihm säße noch die »Vorgesetztenangst« vom Militär her in den Gliedern. Der Plan, die Arbeit niederzulegen, kam Gustav ungeheuerlich vor; das grenzte an Desertieren, an Meuterei. Er wollte und konnte so etwas nicht gutheißen.[344]

Aber Häschke stellte ihm die Sache mit beredtem Munde noch einmal vor: man war in seinem guten Rechte. Der Inspektor war es, welcher den Kontrakt brechen wollte, nicht sie. Wenn sie sich hierin nachgiebig zeigten, würden bald noch andere Übergriffe von seiten des Arbeitgebers und seiner Beamtenschaft erfolgen. Es handele sich hier nicht bloß um die paar Groschen, um deretwillen der Streit entbrannt war, sondern um die Sache. Sie dürften der Ehre halber nicht klein beigeben, denn das könnte aussehen, als hätten sie Furcht. Der Aufseher aber müßte in erster Linie für seine Leute und ihre Rechte eintreten, denn nur in diesem Vertrauen wären sie ihm hierher gefolgt. Im Stiche dürfe er sie nicht lassen. –

Mit solchen, auf Gustavs Ehrgefühl berechneten Gründen kam Häschke zu seinem Ziele. Im Stiche lassen wolle er sie nimmermehr, erklärte der Aufseher. Und Ungerechtigkeit würde er nicht dulden.

»Hurra, jetzt machen wir ›Strikke‹!« rief Häschkekarl.

Er wisse genau, wie dergleichen gemacht werden müsse, behauptete er. Wenn die Arbeiter nur wüßten, was sie wollten und untereinander festhielten, dann könne es gar nicht fehlen, dann müßten schließlich die Aussauger, die Brotherren, klein beigeben. Dann diktiere der Arbeitnehmer seine Forderungen. Häschke nannte das mit geheimnisvoller Miene »Boykott«!

Er hielt eine Art von Ansprache an die Leute, die gespickt war mit hochtrabenden Redensarten aus unverdauten Zeitungsartikeln. Seiner Zuhörerschaft imponierte er mit diesen dunklen Wendungen gewaltig. Je weniger sie verstanden, desto stärker fühlten sie sich überzeugt. Die Mädchen hatte er so wie so auf seiner Seite, denn die waren dem Schwerennöter alle zugetan. Selbst die[345] nüchterne, überlegte Ernestine zeigte sich für den Plan, die Arbeit niederzulegen begeistert.

Das Ende war, daß die Sachsengänger vom Felde abzogen und das bereits gemähte Getreide unaufgestellt liegen ließen. Sie begaben sich in die Kaserne.

Es herrschte jene gehobene Stimmung unter ihnen, wie sie in der Schule nach einem gelungenen Streiche zu folgen pflegt.

Die Männer legten sich ins Gras vor das Haus und zündeten ihre Zigarren an. Die Mädchen hatten sich in ihren Schlafsaal im ersten Stock zurückgezogen, zu Näh- und Flickarbeit. Bald ertönte Gesang von hellen Frauenstimmen durch die geöffneten Fenster. Ernestine war die Chorführerin. Nach einiger Zeit antworteten unten vom Rasen her tiefere Töne; Häschkekarl leitete den Männergesang. Und so löste ein Lied das andere ab; die Mädchen stimmten an, die Burschen fielen ein.

Auf einmal erschienen Köpfe von außen an den Fenstern des Schlafsaales. Die Burschen waren es, die mit Hilfe der Dachrinne und eines Simses da hinauf geklettert waren. Die Mädchen stoben schreiend auseinander. Nur Ernestine fand Geistesgegenwart genug, die Fenster schnell zu schließen und zu verriegeln. Häschke und seine Kumpanen stiegen, nachdem sie genugsam Grimassen geschnitten und sich an den Schrecken, den sie eingejagt, geweidet hatten, wieder zum Erdboden hinab.

Nach dieser Heldentat legten sie sich von neuem auf den Rasen, rauchten ihre Pfeifen, die Hände unter dem Kopf, die Beine übereinander geschlagen und ließen sich von der Sonne bescheinen, deren Strahlen an der kalkgetünchten Wand abprallten. Auf einmal wurden[346] die Faulenzer von wohlgezielten Wasserstrahlen getroffen. Schreiend und sprudelnd sprangen sie auf und konnten über sich gerade noch die lachenden Mädchen verschwinden sehen.

So gab es noch mancherlei Kurzweil und Schabernack an diesem Nachmittage. Man hatte sich nun einmal in ein Unternehmen eingelassen, dessen Ausgang zweifelhaft war; und in verwegenem Galgenhumor meinte man, daß es auf ein paar Dummheiten mehr oder weniger nicht ankomme.

Einer war, dem sehr wenig nach Lachen und Scherzen zumute war: Gustav. Das junge Volk hatte nichts zu verlieren; die waren ohne Verantwortung. Was bedeutete es ihnen, wenn sie brotlos wurden? Aber er, der für Weib und Kind zu denken und zu sorgen hatte! –

Gegen Abend ließ der Inspektor sagen, er wünsche mit dem Aufseher zu sprechen. Gustav begab sich hinüber. Häschke legte ihm noch ans Herz, er solle »die Ohren steif halten« und »auf keinen Fall klein beigeben«.

Der Inspektor empfing den Aufseher auf ganz andere Weise als zu Mittag. Von der hochfahrenden Miene war nichts mehr zu sehen, sein Ton war wesentlich freundlicher, er bot Gustav sogar einen Stuhl an, was noch nie bisher vorgekommen war.

Kein Zweifel, der Ausstand der Wanderarbeiter kam ihm äußerst ungelegen. Man hatte auf den ausgedehnten Besitzungen des Herrn Hallstädt noch mehrere Abteilungen von Sachsengängern in Lohn; wenn nun der Ausstand zu den anderen Gruppen übersprang! Jetzt, wo gerade die Ernte auf dem Felde stand und geborgen sein wollte! Wo sollte er denn jetzt andere Leute herbekommen? Ringsum herrschte Arbeiternot.[347]

Der Inspektor verlangte von Gustav, er möge noch einmal auseinandersetzen, was die Leute eigentlich wollten; mittags habe er es nicht ganz verstanden.

Der Aufseher wiederholte seine Forderungen.

Der Inspektor kratzte sich hinter dem Ohr. Wenn's nach ihm gehe, sagte er, würden die Arbeiter alles bewilligt bekommen, was sie verlangten; aber Herr Hallstädt habe sehr bestimmte Ansichten und auf eine Bezahlung der Überstunden im Tagelohn werde er niemals eingehen.

Gustav meinte, dann könne er ja mal zu Herrn Hallstädt nach Welzleben gehen.

Aber davon wollte der Beamte durchaus nichts wissen. Er riet dringend davon ab, ja er warnte davor. Der Aufseher würde damit gar nichts erreichen. Herr Hallstädt sei völlig unzugänglich und habe ein für allemal verboten, daß die Arbeiter direkt mit ihm verhandelten.

»Sie sind ja ein vernünftiger Mann, Büttner!« sagte der Inspektor. »Treiben Sie die Sache nicht auf die Spitze! Reden Sie mal mit Ihren Leuten. Sie haben ja auch noch andere Mittel in der Hand. – Ich meine, als Aufseher haben Sie ja schließlich großen Einfluß. – Ich denke, wenn wir zweie einig sind, werden wir mit der Gesellschaft schon fertig werden. Herrn Hallstädt wollen wir lieber nicht erst einmischen, das hätte keinen Zweck. – Also ich denke, wir sind einig! – Ich werde auch dafür Sorge tragen, daß Sie am Schlusse der Arbeitszeit eine anständige Gratifikation erhalten, Büttner!« –

Aber Gustav ließ sich nicht so leicht kirren. Wenn er auch nicht so viel Scharfblick besaß, um sofort herauszufinden, wie schwach in Wahrheit die Position des[348] Gegners war, so bewahrte ihn doch seine Redlichkeit davor, auf Vorschläge einzugehen, die ihm nützten, aber seine Leute schädigten.

Mit trotziger Zähigkeit, ein Erbteil seines Vaters, hielt er, ohne sich auf die Redensarten des anderen einzulassen, an seiner Forderung fest. Alle Ungeduld nutzte dem Inspektor nichts, seine Vorstellungen drangen in diesen harten Bauernschädel nicht ein.

So ging man auseinander, ohne daß es zu einer Einigung, gekommen wäre.

Am nächsten Morgen schliefen die Streikenden aus. Während die Gespanne des Vorwerks an der Kaserne vorüberratterten, legten sie sich noch einmal gemütlich aufs andere Ohr.

Häschkekarl war in übermütigster Laune. Die Sache ging ausgezeichnet. Drüben auf dem Hofe hatte er in Erfahrung gebracht, daß der Inspektor in größter Schwulität sei. Wer sollte ihm die Ernte einbringen? Das Getreide mußte ja auf dem Halme faulen, wenn die Hände der Sachsengänger feierten. Häschke hätte am liebsten die Gelegenheit benutzt, um noch ganz andere Forderungen zu stellen. Nur um Gottes willen nicht bescheiden sein! Den Arbeitgebern seine Bedingungen diktieren! Der großbrodigen Gesellschaft mal zeigen, daß der Arbeiter am Ende des neunzehnten Jahrhunderts kein Fronknecht mehr sei. Es war Zeit, daß der kleine Mann seinen Vorteil wahrnahm; bisher hatten die Großen, die »Lerchenfresser«, nur immer von allem das Fett abgeschöpft.

Aber derartige Ansinnen scheiterten an Gustavs maßvollem Sinn. Er wollte nichts haben, als was sie mit gutem Rechte fordern durften. Die politischen Prinzipien, die sein Freund Häschke bei dieser Gelegenheit[349] durchsetzen wollte, ließen ihn kalt. Das waren gefährliche Ideen, die jener auf der Landstraße aufgelesen; von denen hielt man sich besser fern. Ohne es zu wissen, vertrat der Bauernsohn die angeborene konservative Gesinnung des Landmannes dem vagierenden Kinde der Straße gegenüber, das in Pennen, Fabriksälen und Versammlungen sich mit einer auf Umsturz gerichteten Anschauung erfüllt hatte. –

Noch im Laufe des Morgens erschien der Inspektor persönlich in der Kaserne. Er verlangte den Aufseher nochmals zu sprechen.

Die Verhandlung währte diesmal nur kurze Zeit. Die Forderungen der Arbeiter wurden bewilligt. Eine Stunde darauf schon hatten die Leute ihre Arbeit wieder aufgenommen.

Quelle:
Wilhelm von Polenz: Der Büttnerbauer. In: Gesammelte Werke von Wilhelm von Polenz, Band 1, Berlin 1[o.J.], S. 341-350.
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