VII.

[299] Der Termin zur Zwangsversteigerung war herangekommen. Subhastationen waren im Bezirke dieses Amtsgerichts nichts Seltenes gewesen in der letzten Zeit. »In diesen Zeitläufen fallen die Bauern wie Fliegen von der Decke, wenn es Winter wird,« hatte erst kürzlich ein Kenner geäußert. Man war im allgemeinen ziemlich abgestumpft gegen bäuerlichen Bankerott.[299]

Immerhin machte es einiges Aufsehen, als bekannt wurde, daß das Büttnersche Bauerngut unter den Hammer kommen solle. Einmal, weil es ein großes Grundstück war, das nicht, wie die meisten anderen seiner Art, heruntergewirtschaftet und ausgeraubt war. Dann gab es aber auch noch Nebenumstände, die den Fall interessant machten. Man wußte, daß die Herrschaft Saland um das Bauerngut gehandelt hatte und nachdem der Handel so gut wie abgeschlossen gewesen, davon zurückgetreten war. Das gab zu allerhand Vermutungen Anlaß. Die Herrschaft hatte sich bisher noch nie einen Bauern, der »wackelig« wurde, entgehen lassen und hatte, nach der Behauptung kleinerer Güterhändler, die Preise des Grund und Bodens auf diese Weise nicht wenig in die Höhe geschraubt. Es war auffällig, daß sich die Herrschaft bei diesem Bauerngute, welches ihr geradezu vor der Nase lag, so zurückhaltend benahm. – Ungewöhnlich wurde der Fall auch dadurch, daß der betreibende Gläubiger kein anderer war als der eigene Schwager des bankerotten Bauern. Was konnte der Mann für ein Interesse an dem Untergange seines Schwagers haben? fragte man sich unwillkürlich. Wollte er das Gut aus der Subhastation billig erstehen? Und wozu sollte er, als Besitzer einer großen Gastwirtschaft, sich mit so bedeutendem Grundbesitz belasten?

In der Gerichtsstube begannen sich von früh neun Uhr ab einzelne Leute einzufinden. Meist waren es Neugierige, Gerichtsbummler, die selten bei solchen Anlässen fehlen.

Die eigentlichen Interessenten saßen drüben im Löwen. Der Gasthof lebte geradezu von den Gerichtsverhandlungen. Denn dort pflegten vor und nach den Terminen Freund und Feind einzukehren. Dort stärkten[300] sich die Parteien zu schwerem Gange. Dort tranken Richter, Staatsanwalt, Verteidiger, Zeugen und Schöffen ihren Schoppen in derselben Stube und vom nämlichen Fasse, nachdem sie sich drüben vielleicht im Rechtsstreite bis aufs Messer befehdet hatten.

Auch Samuel Harrassowitz trank hier sein Bier. Er saß wie gewöhnlich auf seinem Platze am Fenster, von dem aus er den schmalen Platz zwischen Gasthof und Gerichtsgebäude überblicken konnte.

Edmund Schmeiß saß neben dem Händler. Er trug einen neuen Anzug von hauptstädtischem Schnitt zur Schau, den er sich bei seinem letzten Aufenthalt in Berlin hatte anfertigen lassen. Er bestellte sich einen Kognak, »aber fine champagne, garçon!« fügte er näselnd hinzu.

Jetzt traten zwei Herren ein. Der Bankier Isidor Schönberger, fett, mit weißem Gesicht und um so schwärzerem Haar. Bei ihm war Bruno Riesenthal, der junge Advokat, der sich kürzlich in dem Städtchen niedergelassen und seiner Fixigkeit wegen hier bereits eine namhafte Praxis gefunden hatte. Die Herren schienen einander sämtlich gut zu kennen. Zum Gruße zwinkerten sie einander nur mit den schlauen Augen zu. Schönberger setzte sich mit verdrossenem Gesicht. Riesenthal kramte in seiner Advokatenmappe. Die Unterhaltung wurde halblaut geführt, denn an den Nebentischen saßen Leute, deren man nicht sicher war.

»Heute is der Kaphroh dran!« sagte Schönberger.

Harrassowitz nickte.

»Machst du de Massematten?«

»Kairousche!«

»Bis jetzt ist keine Konkurrenz da,« damit mischte sich Edmund Schmeiß in das Zwiegespräch.[301]

»Konkurrenz!« meinte Sam und nahm eine verächtliche Miene. »Konkurrenz gibt's nicht!«

»Wird der Graf sich ganz fern halten?« fragte der Advokat halblaut.

»Der Graf ist besorgt!« flüsterte Schmeiß. »Dafür steh' ich! Und das andere sind alles Schnorrer!«

In diesem Augenblicke ertönte vom Pflaster draußen Pferdegeklapper und Wagenrasseln. Ein offener Jagdwagen mit zwei guten Pferden davor hielt vor dem »Löwen«. Die vier Männer machten lange Hälse. Sam stieß einen Fluch aus. Er erkannte in dem langen bärtigen Manne, der selbst die Zügel geführt hatte, den Güterdirektor des Grafen, Hauptmann Schroff. Der kleine Grauhaarige war wohl ebenfalls ein Beamter der Herrschaft Saland.

Die »Konkurrenz« war also dennoch gekommen!

Sam stand auf, ohne sein Glas geleert zu haben. Jetzt galt's, die Ohren steifhalten! So leichten Kaufes, wie er spekuliert hatte, würde er nun doch nicht zu dem Gute kommen. Aber Sam gab noch nichts verloren. Wann wäre er jemals in schwieriger Lage verzagt oder um Mittel und Wege verloren gewesen! Er besaß den ganzen rücksichtslosen, katzenzähen Optimismus seiner Rasse.

Er hatte den Kretschamwirt von Halbenau vor einiger Zeit mit seinem Wägelchen einfahren sehen; den suchte er jetzt auf.

Kaschelernst und Harrassowitz hatten ein längeres Gespräch im Flur des Gerichtsgebäudes. Die Unterhaltung endete damit, daß Sam die Hand ausstreckte und Kaschelernst grinsend einschlug und »abgemacht!« sagte.

Die Gerichtsuhr hatte zehn geschlagen. Wer sich bis dahin noch im »Löwen« aufgehalten hatte, kam nunmehr[302] herüber, nicht allzu eilig, falls er mit dem Gerichtsgebräuche vertraut war.

Aus Halbenau waren eine Anzahl Leute eingetroffen, Freunde der Büttnerschen Familie. Der alte Bauer selbst hatte sich fern gehalten, aber Karl Büttner war gekommen. Er blickte unverständig drein wie gewöhnlich. Die Bedeutung dieses Tages für ihn und seine Familie war dem Denkfaulen schwerlich klar geworden.

Hinter den Schranken erschien jetzt der Amtsrichter mit dem Kalkulator. Sie nahmen am grünen Tische Platz.

Nun nahm der Termin seinen üblichen Verlauf. Zunächst wurden die Interessenten festgestellt. Harrassowitz, der in diesen Dingen zu Hause war wie der Fisch im Wasser, verlangte Vorweisen der Kaution. Da würde man ja gleich sehen, wer als ernsthafter Bieter in Betracht komme. Vor allem interessierte es den Schlaukopf zu wissen, ob jene beiden, der Güterdirektor und der Rendant des Grafen, mit Geldmitteln versehen seien. Er hatte bereits seinen Geschäftsfreund, den Kommissionär Schmeiß, vorgeschickt, der sollte sich den Herren in möglichst harmloser Form nähern und sie zum Lüften ihrer Maske bringen. Aber die beiden hatten sich zugeknöpft und den diplomatischen Künsten des jungen Schmeiß gegenüber unzugänglich verhalten. Sam paßte genau auf, was der Hauptmann zeigen würde, als er daran kam, Kaution vorzulegen. Staatspapiere, ein ganzes Paket! Der Mann war also gewappnet und nicht etwa aus bloßer Neugier hier erschienen.

Nachdem Namen und Personalien der Interessenten mit gerichtsüblicher Umständlichkeit erfragt und aufgeschrieben waren, wurde zur Feststellung des geringsten[303] Gebotes übergegangen. Dann forderte der Richter zur Abgabe von Geboten auf. Er hatte eine zweistündige Pause angesetzt, innerhalb deren geboten werden konnte.

Der Gerichtssaal leerte sich wieder; nur einige wenige Leute blieben zurück, die hier ebensogut wie anderwärts ihre Zeit mit Nichtstun verbringen zu können meinten. Der Richter arbeitete an seinen Akten. Der Kalkulator schrieb das Protokoll aus, in der Ecke nickte der Gerichtsdiener. Der Geist der Langeweile und der Schläfrigkeit hatte sich über den Raum gesenkt.

Der Richter war ein älterer Beamter. Wie viele Grundstücke waren nicht schon im Laufe der langen Praxis unter seinem Hammer weggegangen! Die Verhandlung pflegte unter seinem Vorsitz glatt, ohne Stocken, wie eine gutgeölte Maschine, zu laufen. Nüchtern, geschäftsmäßig und trocken erklangen seine Fragen.

Was kümmerte es ihn, wer schließlich der Ersteher wurde! Sache des Juristen war es nicht, Mitgefühl zu empfinden; das hätte ja höchstens seine »strikte Objektivität« trüben können. Für ihn existierte das Stück Erde, welches zufälligerweise einem gewissen Traugott Büttner gehörte, nur insofern, als es durch ein in »legaler Weise« herbeigeführtes Zwangsversteigerungsverfahren in »forensischen Konnex« getreten war zum Gesetz und damit zu ihm, dem Diener des Gesetzes. Dadurch war für den Juristen ein Zaun abgesteckt, innerhalb dessen er sich von Rechts wegen bewegen durfte. Wenn er sich's hätte einfallen lassen, den Zaun zu überschreiten, tiefer zu blicken, als seines Amtes war, dann würde er vielleicht entdeckt haben, daß dieses Stück Erde, welches heute unter den Hammer kam, doch noch etwas mehr als ein bloßes Subhastationsaktenstück sei. Er würde gefunden haben, wenn er das[304] »legale« Gewand der Sache zu lüften sich die Mühe, gegeben hätte, daß er nichts Geringeres als das Wohl und Wehe einer Familie, daß er Menschenschweiß und Menschenblut zu »meistbietender Versteigerung« brachte. Und daß so das »von Rechts wegen« eine eigentümliche Bedeutung gewann.

Der Saal füllte sich allmählich wieder, als die zweistündige Pause sich ihrem Ende zuzuneigen begann, und das Bieten nahm seinen Anfang. Zunächst erfolgten einzelne Gebote, gleichsam tropfenweise; denn keiner der Interessenten wollte dem anderen seinen Eifer merken lassen. Bankier Schönberger hatte angeboten mit einer Summe, welche gerade die Höhe seiner Hypothek erreichte. Dann überbot ihn Harrassowitz.

Jetzt begann sich der gräfliche Rendant an der Bietung zu beteiligen. Zuerst langsam, dann in immer schnellerer Folge überboten sich Sam und der Rendant mit Beträgen von geringem Umfang. Der Händler legte kühlste Ruhe an den Tag; die Hände in den Taschen, wiegte er sich auf den Absätzen und suchte den Gegner durch seine überlegen spöttische Miene in Verwirrung zu setzen. Der gräfliche Beamte, ein Graukopf mit glattrasiertem Gesicht, war unruhig. Die Geböte kamen zaghaft und hastig von seinen Lippen. Mehrfach sah er sich nach Hauptmann Schroff um, der weiter hinten unter den Zuschauern mit sichtlicher Spannung dem Gange der Versteigerung folgte.

Auf diese Weise hatten sich die beiden bis an die letzte Hypothek herangetrieben, welche Ernst Kaschel gehörte. Der Gastwirt war im Saale anwesend, bot aber nicht mit. Harrassowitz hatte soeben geboten. Der Rendant bat um eine kurze Hinausschiebung des Zuschlags, lief nach hinten und besprach sich mit dem[305] Güterdirektor. »Bis zur Höhe der Schulden, nicht wahr, ging der Limit?« fragte er. Der Hauptmann stand mit gerunzelter Stirn und überlegte. »Hundert Mark darüber,« sagte er dann. »So viel will ich noch zulegen; mehr kann ich nicht!«

Der Rendant ging wieder an die Schranken und machte sein Gebot. Sam überbot ihn lächelnd.

Die Spannung unter den Zuschauern hatte einen hohen Grad erreicht. Die Sympathien der meisten waren auf seiten der gräflichen Beamten. Der Rendant bot noch einmal mit zitternder Stimme. Die Schulden waren mit seinem Gebote um hundert Mark überschritten.

»Noch Fünfzig!« rief Harrassowitz und sah den Gegner herausfordernd an.

Es entstand eine Pause. Der Richter sah nach – der Uhr. »Wenn keine weiteren Gebote abgegeben werden, schließe ich die Subhastation.«

Kein weiteres Gebot erfolgte.

»Demnach ist Herr Samuel Harrassowitz Meistbietender geblieben. Ich frage, ob Einwendungen gegen Erteilung des Zuschlages an Harrassowitz erhoben werden? – Einwendungen werden nicht erhoben! – Die Erteilung des Zuschlages wird morgen um elf Uhr verkündet werden.«

Quelle:
Wilhelm von Polenz: Der Büttnerbauer. In: Gesammelte Werke von Wilhelm von Polenz, Band 1, Berlin 1[o.J.], S. 299-306.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Büttnerbauer
Der Büttnerbauer.Roman
Der Büttnerbauer
Der Büttnerbauer
Der Büttnerbauer
Der Büttnerbauer

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

In Paris ergötzt sich am 14. Juli 1789 ein adeliges Publikum an einer primitiven Schaupielinszenierung, die ihm suggeriert, »unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen«. Als der reale Aufruhr der Revolution die Straßen von Paris erfasst, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Für Schnitzler ungewöhnlich montiert der Autor im »grünen Kakadu« die Ebenen von Illusion und Wiklichkeit vor einer historischen Kulisse.

38 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon