Saßen All' auf dem Verdecke,
Fuhren stolz hinab den Rhein!
So singt ein neuerer deutscher Dichter. Bei seinen Worten sehen wir den Vater Rhein seine ganze Herrlichkeit vor uns entfalten. Die schöne Wasserstraße wird bei Worms zum Tummelplatze der größten Helden, von welchen das deutsche Lied singt. In dieser Gegend, wo das Rheingold uns im Strahl der Mittagsonne so schön entgegenblinkt, ist der Nibelungenschatz, der Nibelungenhort, in den Rhein versenkt worden. Wie uns die Reben anlachen von den Ufern des Rheins!
Es ist daher wohl zu glauben, daß hier zu Worms am Rheine einst Kaiser Max fröhlich in der Schar der Fürsten unter Trompetenklange sich am Weine gelabt, und daß dabei der Kurfürst von der Pfalz zu den anderen Fürsten gesprochen habe:
Ihr Herr'n, wer rühmt ein Erbe sein
Gleich mir? von meinen Höh'n ergießt
Aus vollem Borne sich der Wein,
Der Allen heut zur Labe fließt.
Wie herrlich ist's, von diesen Höh'n
Hinunter nach dem alten Rhein
Auf's fruchtgeschwellte Land zu sehn
Bei einem solchen Glase Wein!
Zu diesen Rebengeländen, die sich bei Worms dem Auge des Reisenden darbieten, gehört auch die Stelle, wo die Liebfrauenmilch wächst. Über den Namen dieses Weines erzählt die Sage Folgendes:[1]
Ein Ritter lebte zu Worms in Saus und Braus. Er war zuletzt verarmt. In dem alten mittelalterlichen Gebäude, welches er von seinen Vorfahren ererbt hatte, saß er halb trunken und leerte die letzte Kanne Weins aus dem väterlichen Weinkeller. Da erschien gleichfalls in ritterlicher Kleidung ein geheimnisvoller Gast. Der Ritter von Worms bot ihm zu trinken an. Zugleich rühmte er den alten, schon von seinen Vorfahren aufgesparten Wein. Der Fremdling kostete, sagte aber, das sei noch nichts. Fern im Süden habe er weit von Worms einen Wein gefunden, der wie Feuer durch die Adern der Menschen rolle und mit dem sich der Wein in dieser Kanne noch immer nicht vergleichen könne. Da wurde der Ritter von Worms unruhig, denn er liebte den Wein gar sehr.
Als der Fremdling das bemerkte, sagte er, es könne wohl Rat werden, daß der Ritter auch von dem feurigen Weine kosten dürfe. Ja, er wolle ihm bei der Liebfrauenkirche einen ganzen Weinberg mit solchen Wunderreben hinzaubern, wenn er ihm seine Seele dafür verschreiben wolle. Dabei ließ er den Ritter seinen Pferdefuß sehen, denn der unheimliche Gast war in der That kein Anderer als der leibhaftige Teufel.
Mit Entzücken sah dann der verarmte Ritter auch schon die grünen Rebengelände an einem Berge unweit der Liebfrauenkirche, der bis dahin wüst gelegen hatte. Er war in diesem Augenblicke seiner selbst nicht mächtig und verschrieb ohne Zögern dem Teufel seine Seele.
Kaum war der Satan verschwunden, so eilte der Mann auf seinen Weinberg. Schon standen die Reben in der schönsten Blüte. Der Sommer aber wurde immer goldiger und heißer. Unter fröhlicher Musik konnte der Ritter im Herbst darauf schon die schönsten Trauben keltern. Als er den ersten Becher auf seinem Weinberge leerte, tönte ernst und feierlich das Geläut der Liebfrauenkirche zu ihm herüber. Da beschloß er, den köstlichen Wein, welchen er geerntet hatte, Liebfrauenmilch zu nennen, zu Ehren der Mutter Gottes, an deren Bilde er als Winzer täglich vorüber gegangen war.
Nach einem Jahre erschien der Teufel wieder bei dem Ritter, um seine Seele nun in Empfang zu nehmen. »Folge mir«, sagte er zu ihm, »denn Du hast nun einen schönen Jahrgang von dem Blute[2] der Reben genossen, die ich Dir schenkte. Deine Freunde und Verwandten werden ihn nach Deinem Tode ungestört trinken; über sie habe ich keine Macht mehr, doch soll mir Deine Seele nicht entgehen. Wie nanntest Du den köstlichen Trank, den Du ihnen hinterlässest?« »Liebfrauenmilch«, antwortete der Ritter. Da verschwand der Teufel, denn die Nennung des Namens der heiligen Jungfrau hatte ihm die Macht über des Ritters Seele genommen. Er war gerettet und kelterte und trank bis an sein Ende mit seinen Freunden den lieblichen Wein Liebfrauenmilch.
Woher der Teufel diese Rebe genommen hat, erwähnt die Sage nicht. Nach anderen Geschichten und Sagen aber hat Worms schon in alter Zeit mit mehreren Weinländern, namentlich mit Italien und Palästina, in lebhafter Verbindung gestanden.
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