[320] Hier leg' ich denn mein Kleinod nieder:
Tatjanens lieben, holden Brief.
Ich les' ihn oft – und immer wieder
Bewegt er mich so seltsam tief.
Wer lehrte sie die süßen Worte,
So frei, und doch am rechten Orte,
Wer dieser Sprache schlichte Kraft,
Den Herzenston der Leidenschaft,
So kühn, so rührend überschwenglich?
Ich weiß es nicht – und bringe nur
Statt lebenswarmer Vollnatur
Ein Nachbild, matt und unzulänglich,
Wie wenn ein Stümper, der nicht fühlt,
Den »Freischütz« euch herunterspielt.
[320] »Ich bin so kühn, an Sie zu schreiben –
Ach, braucht es mehr als dies allein?
Nun wird gewiß – was soll mir bleiben? –
Verachtung meine Strafe sein!
Doch wenn, wo Angst und Qual mich treiben,
Ein Fünkchen Mitleid für mich spricht –
O dann verwerfen Sie mich nicht!
Erst wollt' ich schweigen, hätte nimmer,
Was nun zu Schmach und Schande ward,
Dem strengen Auge offenbart,
Ach, bliebe nur ein winz'ger Schimmer
Von Hoffnung, Sie von Zeit zu Zeit
In unsrer Abgeschiedenheit
Zu sehn, zu grüßen, im geheimen
Mich ihres klugen Worts zu freun,
Um selig-froh für mich allein
Vom nächsten Wiedersehn zu träumen ...
Doch heißt's, Ihr Stolz vertrüge nicht,
In niedren Hütten einzukehren;
Und wir – sind klein, gering und schlicht,
Nur dankbar, einen Gast zu ehren.
Ach, warum kamen Sie aufs Land,
Wo wir so still verborgen waren?
Ich hätte nimmer Sie gekannt
Und nie solch Herzeleid erfahren.
Ich hätte, klüger mit den Jahren,
Vielleicht ein ander Ziel erstrebt
Und, einem andern treu verbunden,
Ein friedlich Glück bei ihm gefunden
Und frommer Mutterpflicht gelebt.[321]
Ein andrer ... Nein! Es kann auf Erden
Mein Herz sich keinem andern weihn!
So ließ des Schöpfers Hand mich werden,
So will's der Himmel: ich bin Dein.
Dich zu gewinnen, war mein Leben
Ein einzig' Pfand nur, fort und fort;
Gott selber hat Dich mir gegeben,
Bis an das Grab bist Du mein Hort ...
Du warst's, der mich im Traum beglückte,
Längst liebt' ich Dich, eh' ich Dich sah;
Dein Antlitz strahlte mir so nah,
Und Deiner Stimme Klang entzückte
Mich längst ... Das war kein Traum, o nein!
Sowie Du eintratst, gleich erkannte
Mein Herz Dich wieder, jauchzte, brannte
Und rief: er ist's, er muß es sein!
War's nicht Dein Hauch, der mich umwehte,
Mir zusprach, wenn ich einsam stand,
Wenn ich der bittren Armut Nöte
Zu lindern ging, wenn im Gebete
Die bange Seele Tröstung fand?
War's nicht Dein Bildnis, glanzumwoben,
Das nächtlich dann vom Himmel droben
Herabglitt in mein Schlafgemach,
Sich flüsternd an mein Kissen schmiegte
Und mich mit süßen Worten wiegte,
Aus denen sel'ge Hoffnung sprach?
O komm und löse meine Zweifel:
Wer bist Du, Engel oder Teufel,
Versucher oder Schutz und Freund?
Ach, wenn nun Träume nur mich narren,
Mein töricht' Herz vergeblich weint,[322]
Und andre Lose meiner harren ...?
Gleichviel! Es ruht ja mein Geschick
Von nun an doch in Deinen Händen,
Dich sucht mein tränenfeuchter Blick,
Nur Du vermagst mir Trost zu spenden ...
O sieh: hier steh' ich ganz allein,
Niemand versteht mich, unbeachtet
Verwelkt mein Herz, mein Geist verschmachtet,
Ich muß vergehn in stummer Pein.
O komm: der Seele banges Hoffen
Belebt ein einz'ger Blick von Dir;
Wenn anders – dann zernichte mir
Dies Wahngebilde hart und offen!
Ich schließe! Wie mich Wort um Wort
Schon reut – ich fühle Scham und Grauen ...
Doch Ihre Ehre sei mein Hort:
Ihr will ich frei mich anvertrauen ...«
Buchempfehlung
In Paris ergötzt sich am 14. Juli 1789 ein adeliges Publikum an einer primitiven Schaupielinszenierung, die ihm suggeriert, »unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen«. Als der reale Aufruhr der Revolution die Straßen von Paris erfasst, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Für Schnitzler ungewöhnlich montiert der Autor im »grünen Kakadu« die Ebenen von Illusion und Wiklichkeit vor einer historischen Kulisse.
38 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro