Die gnädige Führung Gottes

[329] Ps. 73, 23-24.


Wer bin ich, liebster Gott, vor dir,

Daß du mich hast gebracht bis hier?

Ach, es versinket mein Gemüthe

Im Meere deiner Lieb' und Güte,

Und weiß vor grossem Unwerth nicht,

Woher mir Alles dies geschicht.


Du bist es schon gewohnt mit mir,

Daß ich mich gern nachdenk' in dir;

Ich halt' ohn' dich mir Nichts geschehen,

Noch wen'ger mag ich was angehen,

Es sei denn, daß mein Herze Rath

Vorher mit dir gehalten hat.


Willst du, so geht es glücklich fort

Und fordert oft es kaum ein Wort;

Will aber nicht mein Wunsch bestehen,

So fang' ich fort in mich zu gehen

Und seh', ob ich, Herr, oder du

Wo Fug und Ursach geb' hierzu.


Oft find' ich keinen Weg noch Steg

Und weiß so nicht um deinen Zweck,

Noch gleichwol bleib' ich unbetrübet;

Du hast mich schon so lang geübet,

Daß ich von deinem treuen Sinn

Mehr als zu viel versichert bin.


Bald legt sich deiner Liebe Nacht,

Dann sehe ich, was du gemacht.

Wie einer, der im Schiffe lieget

Und in dem Schlaf die See durchpflüget,

So find' ich ausser meiner Acht

Mich weiter fort als ich gedacht.
[330]

Den Berg, die Klippen und das Meer,

Die mich beschlossen ganz umher

Und meiner Seelen Sorge waren,

Die bist du weislich umgefahren

Und hast mir einen Weg gebahnt,

Davon mir kaum nicht hat geahnt.


Führ', o mein Schöpfer, stets mich hier,

Wie dir es dünkt und seelig mir;

Es mag so rauh es will hergehen,

Ich mag nicht um noch vor mich sehen,

Du bist doch mit mir auf der Bahn

Und nimmst mich letzt mit Ehren an.


Ach ja, mit Ehren hin zu dir,

Da ich dein Heilskleid, meine Zier,

In höchster Würde werde tragen

Und ewig meinen Dank dir sagen.

Acht', Herz, nicht, was die Welt dir thut,

Im Himmel, schau', wird Alles gut.

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 30, Stuttgart [o.J.], S. 329-331.
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