Festlied

[75] Lasset uns zählen,

Welch's sind unsre Bundsgenossen,

Damit wir sehn unverdrossen,

Ob's uns kann fehlen!


Wer ist der erste der Bundsgenossen?

Das ist der Herr mit dem himmlischen Heere,[75]

Mit dem blitzenden Speere,

Mit den donnernden Rossen.


Er ist ausgefahren

Auf Siegeswagen,

Hat Feinde erschlagen,

Wer zählt die Scharen?


Sei mit deinen Wettern

In unserm heiligen Streite

Auch künftig uns zur Seite

Und hilf uns, sie zerschmettern!


Wer ist der zweite der Bundsgenossen?

Das ist ein Nordlands-Riese,

Mit eisblankem Spieße,

Mit starren Sennen, aus Eis gegossen.


Er hat sich erhoben,

Mit dem Panzer gerasselt,

Daß die Feinde zusammengeprasselt,

Wie vom Nordwind auseinander gestoben.


Laß noch weiter sich wälzen

Deine nordischen Schauer!

Die Kraft soll kein lauer

Südwind dir schmelzen.


Wer ist der dritte der Bundsgenossen?

Das ist eine Heldenjungfrau in Süden;

Sie weiß die hesperischen Äpfel zu hüten,

Die in ihren Hainen sprossen.


Sie hat die Diebe,

Die sie raubten, zu Boden gelegt;

Sie hat sie aus ihrem Lande gefegt,

Wie Spreu im Siebe.
[76]

Blicke himmelwärts

Von deinen Pyrenäen!

Laß deine glühenden Blicke spähen

In Frankreichs, deiner Feindin, Herz!


Wer ist der vierte der Bundsgenossen?

Das ist in Westen ein Drache,

Der über die Freiheit der Welt hält Wache,

Von seiner ewigen See umflossen.


Wenn du schlägst in die Welle,

Tobt sie und streckt

Schäumende Zungen aus und leckt

An deiner feindlichen Nachbarin Schwelle.


Speie, mit treuer

Kraft, zu verderben feindliche Rotten,

Spei' aus deine goldenen Flotten,

Und dein Congrev'sches Feuer!


Wer ist der fünfte der Bundsgenossen?

Das ist die Eintracht, die da wieder

Deines Leibes zerfallene Glieder,

O Deutschland, hat zusammengeschlossen.


Du warst in dir zerfallen,

Dein Haushalt zerrüttet,

Dein Schatz verschüttet

Unterm Einsturz deiner Hallen.


Laß dich's nicht kümmern!

Dein Baumeister

Wird der Herr mit den Scharen der Geister,

Der dich neu wird baun aus den Trümmern.


Einst saßest du hehr

In der Mitt' auf deinem Throne,[77]

Und die Völker in jeder Zone

Saßen auf ihren Sitzen umher.


In dem blinkenden Eispalast

Saß Russia, die nordische Frau;

Italia unter des Himmels Tau

Hielt auf offenen Zinnen Rast.


Hispania, die Schäferin,

Saß träumend in Orangenhainen,

Und, Britannia, du auf deinen

Felsen mit dem Felsensinn.


Und die andern alle

Saßen auf ihren Sitzen da,

Und der Herr des Himmels sah

Friedelächelnd nieder auf alle.


Wer hat die Ruh' gestört?

Mit tollem Sinn

Im Westen meine Nachbarin,

Von Freiheitswahn bethört.


Warum merkt' ich's zu spät?

Mit Händen blutigrot

Hat sie selbst in den Kot

Gestürzt ihre Majestät.


Und ist aufgestanden,

Und hat die Welt durchlaufen,

Und alles über'n Haufen

Geworfen in allen Landen.


Sie ist über mich hergefahren,

Da ich zu geduldig war,

Hat mich zertreten ganz und gar,

Und mich geschleift bei den Haaren.


Mein altes Haus

Hat sie mir zerbrochen,

Und hat mir versprochen,

Mir ein bessers zu bauen daraus.


Ja! was hat sie bestellt?

Stärker und stärker[78]

Baute sie, blutverkittet, zum Kerker

Die ganze Welt.


Nur daß das Meer

Fühlte noch nicht

Des Kerkers Gewicht,

Das kränkte den Kerkermeister so sehr.


Der Wehruf stieg

Aus aller Welt

Zum Sternenzelt,

Des Herr noch schwieg.


Bis Moskows Brand

Vor die Augen ihm trat;

Da war es sein Rat,

Zu heben die Hand.


Der Herr, der lange drein gesehn,

Hat endlich drein geschlagen;

Jetzt darf ich es wagen

Auch aufzustehn.


An Spaniens Glut

Hast du zuerst dir den Finger verbrannt;

In Rußlands frostiger Hand

Erstarrte dein Blut.


Aber der Geist,

Der die Preußen hat angerührt,

Der hat es vollführt,

Der ist's, der hat dich geschlagen zumeist.


Alle die Völker der Erde zusammen

Haben wacker gerungen;

Aber wer dich bezwungen,

Das sind Gottes geistige Flammen.


Und Gott der Herr sprach:

Daß Friede dem Erdkreis werde,

Ihr Völker der Erde,

Hört und thuet danach.
[79]

In eh'rnes Band

Schlagt mir die Unruhstifterin,

Daß fürderhin

Sie heben nicht könne die frevelnde Hand.


Dann gehet heim, und jeder auf seinem

Sitze, wie es euch ist beschieden,

Sitzt in Frieden,

Und über euch will ich sitzen auf meinem.


Quelle:
Friedrich Rückert: Werke, Band 1, Leipzig und Wien [1897], S. 75-80.
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