Dichterselbstlob

[10] Ich bin König eines stillen Volks von Träumen,

Herrscher in der Phantasieen Himmelsräumen.

Kaiserkron' und Königskerze mir zu Füßen

Blühen auf, mich, ihren Oberherrn, zu grüßen.

Um die dunklen Locken farb'ge Wolkenbogen

Sind, ein buntgesteintes Diadem, gezogen.

Alle Frühlingsblumen kommen, vorzutragen

Meinen Ohren ihre ew'gen Liebesklagen.

Alle Bronnen aus der Schöpfung Tiefen brechen,

Von Geheimnissen mit mir sich zu besprechen.

An der Linken trag' ich Salomonis Siegel,

Mit der Rechten heb' ich Dschemschids Weltenspiegel.

Alle Geister sind des Siegels Unterthanen,

Und die Schöpfung schwört zu meinen Sonnenfahnen.

Gegen Nacht und Finsternis in Kampfesschranken

Führ' ich eine Schar von leuchtenden Gedanken.

Kommt und helft, den Himmel auf der Erde stiften,

Helft den Tod mir töten und das Gift entgiften.

Jeden Baum des Lebens soll mein Hauch beblättern,

Und die Schlang' am Stamme soll mein Arm zerschmettern.

Morgenwinde, gehet aus auf allen Pfaden,

Mir zum neuen Paradies die Welt zu laden.[10]

Wer dem Druck der Tyrannei muß draußen weichen,

Eine Freistatt biet' ich ihm in meinen Reichen.

Dort ist Mühsal, Drang, Verfolgung, Not und Kummer;

Hier ist Frieden, Eintracht, Stille, Ruh' und Schlummer.

Ihr Bewohner Dschinnistans, Peris und Dschinnen,

Baut mir hier ein Wunderschloß mit goldnen Zinnen.

Bauet mir den Weltpalast mit vielen Zimmern,

Wo vereint die Herrlichkeit der Welt soll schimmern.

Bauet so viel Zimmer mir als Nationen;

Jede soll mit ihrer Lust in einem wohnen.

Bauet so viel Dächer mir als Himmelszonen;

Jede soll mit ihrer Pracht auf einem thronen.

In der sieben Prunkgemächer Tepp'che wirken

Soll man Wunderwerk' aus sieben Weltbezirken.

Malerei soll Frühlingsglanz an Wänden weben,

In den Nischen sollen Marmorbilder leben.

Und Musik soll mit den ew'gen Sphärentönen

Alle Lebensstimmen der Natur versöhnen.

O ihr Geister, um das Zauberschloß den Garten

Pflanzt mit Bäumen und Gewächsen aller Arten.

Nachtigallen aller Zonen mit den Rosen

Aller Himmel lasset mir zusammen kosen.

O ihr Götter Hindostans, die ihr in Blumen-

Kelchen wohnet, kommt zu euern Heiligtumen!

Ihr, gewebt aus Mondesstrahlen, Sylph- und Elfen,

Sollet auch mir meinen Park bevölkern helfen.

O ihr dem Olymp entstürzten Griechengötter,

Rettet her zu mir euch gegen eure Spötter.

Bau' die Mauern meines Gartens, o Amphion!

Die Delphine meiner Fluten zügl', Arion!

Zähme meines Haines Wild mit Saiten, Orpheus!

Und die Scharen meines Traumvolks führ', o Morpheus!


Quelle:
Friedrich Rückert: Werke, Band 2, Leipzig und Wien [1897], S. 10-11.
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