Liebe und Entsagung

[337] Fülle Dschemschids Becher an

Bis zum höchsten Rande,

Höchsten Himmel bist du dann

Drin zu sehn im stande.


Kennst du nicht des Bechers Glanz?

Das Gefäß Dschemschidens

Ist dein Herz; du füll' es ganz

Mit dem Schaum des Friedens!


Bleibst du niemals ohne Wein,

Ohne Lieb' und Lieder,

Fehlt nicht Erdewüstenei'n

Himmlisches Gefieder.


Ihrer Liebe Schleier wird

Lüften deine Rose,

Ostwind! wenn du ungeirrt

Fortübst dein Gekose.


Sieh! kein Schleier deckt dein Bild;

Rege, wo du gehest,

Keinen Staub nur im Gefild,

Daß du klar mich sehest.


Ruf den Blitz auf deines Ichs

Dunkles Wohngebäude,

Und verklärt erweitre sich's

Zum Palast der Freude.


Zittre nicht, Verzicht zu thun,

Herz! auf deine Deinheit,[337]

Wenn du aufgenommen ruhn

Willst in meine Meinheit.


Forderst du das volle Glas

Von der Freundin Lippen,

Fordre nicht noch dies und das

Von der Erde Klippen.


Geh zufrieden wie Hafis

Auf Entsagungs-Wegen,

Und es geht dir hier gewiß

Einst die Lieb' entgegen.


Quelle:
Friedrich Rückert: Werke, Band 1, Leipzig und Wien [1897], S. 337-338.
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