Erster Auftritt.

[589] Hippolyt. Theramen.


HIPPOLYT.

Beschlossen ists, ich gehe, Theramen,

Ich scheide von dem lieblichen Trözene;

Nicht länger trag ichs, müßig hier zu weilen,

In diesen Zweifeln, die mich ängstigen.

Sechs Monde weilt mein Vater schon entfernt,

Nichts will von seinem teuren Haupt verlauten,

Nichts von dem Orte selbst, der ihn verbirgt.

THERAMEN.

Wohin, o Herr, willst du ihn suchen gehn?

Dich zu beruhigen, durchkreuzt ich schon

Die beiden Meere, die der Isthmus trennt,

Nach Theseus fragt ich an den Ufern, wo

Der Acheron im Totenreiche schwindet,

Elis hab ich durchsucht, den Tänarus

Ließ ich im Rücken, ja ans Meer sogar

Bin ich gedrungen, welchem Ikarus

Den Namen gab – Was hoffst du ferner noch?

In welchen glücklicheren Himmelsstrichen

Gedenkst du seine Spuren aufzufinden?

Ja, wissen wir, ob uns der König nicht

Vorsätzlich seinen Aufenthalt verbirgt

Und, während daß wir für sein Leben zittern,

Sich still vergnügt in neuen Liebesbanden?

HIPPOLYT.

Halt, Freund, und sprich mit Ehrfurcht von dem König,

Unwürdge Ursach hält ihn nicht zurück;

Entsagt hat er dem wilden Recht der Jugend,

Phädra hat seinen flüchtgen Sinn gefesselt

Und fürchtet keine Nebenbuhlerin mehr.

Genug, ich such ihn, folge meiner Pflicht

Und fliehe diesen Ort, der mich beängstigt.[589]

THERAMEN.

Wie, Herr, seit wann denn fürchtest du Gefahr

In diesem stillen Land, das deiner Kindheit

So teuer war, wohin du dich so gern

Geflüchtet aus dem rauschenden Athen?

Was kann dich hier bedrohen oder kränken?

HIPPOLYT.

Freund, jene selgen Tage sind dahin,

Ein ganz verändert Ansehn hat jetzt alles,

Seitdem die Götter uns des Minos Tochter

Und der Pasiphaë hieher gesandt.

THERAMEN.

Herr, ich versteh, ich fühle, was dich drückt.

Dein Kummer ist es, Phädra hier zu sehen –

Stiefmütterlich gesinnt, sah sie dich kaum,

Gleich übte sie verderblich ihre Macht,

Dich zu verbannen war ihr erstes Werk.

Doch dieser Haß, den sie dir sonst geschworen,

Ist sehr geschwächt, wenn er nicht ganz verschwand.

Und welches Unheil kann ein Weib dir bringen,

Das stirbt, und das entschlossen ist zu sterben?

Die Unglückselige wird einem Schmerz

Zum Raub, den sie mit Eigensinn verbirgt,

Sie ist der Sonne müd und ihres Lebens,

Wie kann sie gegen dich Verderben spinnen?

HIPPOLYT.

Nicht ihr ohnmächtger Haß ists, was ich fürchte,

Ganz eine andre Feindin will ich fliehn;

Es ist Aricia, ich wills gestehn,

Die letzte jenes unglückselgen Stamms,

Der gegen uns feindselig sich verschworen.

THERAMEN.

Auch du verfolgst sie, Herr? Die holde Schwester

Der wilden Pallantiden, hat sie je

Der Brüder schwarze Meuterei geteilt?

Und könntest du die schöne Unschuld hassen?

HIPPOLYT.

Wenn ich sie haßte, würd ich sie nicht fliehn.

THERAMEN.

Herr, wag ichs, deine Flucht mir zu erklären?

Wärst du vielleicht der strenge Hippolyt

Nicht mehr, der stolze Feind der schönen Liebe,

Der mutige Verächter eines Jochs,[590]

Dem Theseus sich so oft, so gern gebeugt?

So lang von dir verachtet, hätte Venus

Des Vaters Ehre nun an dir gerächet?

Sie hätt in eine Reihe dich gestellt

Mit andern, dich gezwungen, ihr zu opfern?

– Du liebtest, Herr?

HIPPOLYT.

Freund, welche Rede wagst du?

Du, der mein Innres kennt, seitdem ich atme,

Verlangst, daß ich den edlen Stolz verleugne,

Den dieses freie Herz von je bekannt?

Nicht an der Brust der Amazone nur,

Die mich geboren, schöpft ich diesen Stolz.

Ich selbst, sobald ich meiner nur bewußt,

Bestärkte mich in diesem edlen Triebe.

Du warst der Freund, der Führer meiner Jugend,

Oft sprachst du mir von meines Vaters Taten,

Du weißt, wie ich dir lauschte, wie mein Herz

Bei seinen edeln Waffentaten schlug –

Wenn du den kühnen Helden mir beschriebst,

Wie er der Welt den Herkules ersetzte,

Mit Ungeheuern kämpfte, Räuber strafte,

Wie er den Sinnis, den Prokrustes schlug,

Dem Periphetes seine Keul entrang,

Den Kerkyon besiegte, mit dem Blut

Des Minotaurus Kretas Boden färbte.

Doch wenn du auf das minder Rühmliche

Zu reden kamst, die leichten Liebesschwüre,

Die oft gelobte und gebrochne Treu –

Wenn du die spartsche Helena mir nanntest,

Den Ihrigen entrissen – Periböa,

In ihrem Schmerz zu Salamin verlassen –

Und alle die Betrognen ohne Zahl,

Die seinen Schwüren allzuleicht geglaubt,

Bis auf den Namen selbst von ihm vergessen.

Ariadne, die dem tauben Felsenufer

Sein Unrecht klagt, und Phädra, ihre Schwester,[591]

Wie sie geraubt, doch glücklicher als sie!

Du weißt, wie peinlich mir bei der Erzählung

Zu Mute war, wie gern ich sie verkürzte!

Wie hätt ich nicht gewünscht, so schönem Leben

Die minder würdge Hälfte zu ersparen!

Und sollte selbst mich jetzt gebunden sehn,

So tief herunter ließ ein Gott mich sinken!

Mich, den noch kein erlegter Feind verherrlicht,

Der sich durch keine Heldentugend noch

Das Recht erkaufte, schwach zu sein wie Theseus!

Und sollte dieses stolze Herz empfinden,

Mußt es Aricia sein, die mich besiegte?

Vergaß ich ganz in meinem trunknen Wahn

Das Hindernis, das uns auf ewig trennt?

Verwirft sie nicht mein Vater? Wehrt mir nicht

Ein streng Gesetz, das feindlich denkende

Geschlecht der Pallantiden fortzupflanzen?

Auf ewig solls mit ihr vernichtet sein,

In Aufsicht soll sie bleiben bis zum Grab,

Und nie soll ihr die Fackel Hymens lodern!

Und böt ich meinem Vater solchen Trotz,

Mit ihrer Hand ihr Recht mir anzufreien?

Zu solcher Raserei riß mich die Jugend –

THERAMEN ihm ins Wort fallend.

Ach Herr, wenn deine Stunde kam, so fragt

Kein Gott nach unsern Gründen! Theseus selbst

Schärft deinen Blick, da er ihn schließen will;

Das Herz empört sich gegen Zwang, und selbst

Sein Haß gießt neuen Reiz um die Geliebte.

Warum auch schreckt dich eine keusche Liebe,

Und wenn sie glücklich macht, mißgönnst du dirs?

Besiege doch die scheue Furcht! Kann man

Sich auf der Bahn des Herkules verirren?

Wie stolze Herzen hat nicht Venus schon

Bezähmt! Du selbst, der ihre Macht bestreitet,

Wo wärst du, hätt Antiope dem Trieb[592]

Der Göttin immer siegend widerstanden,

Der Liebe keusche Flamme nie gefühlt!

Doch Herr, wozu mit großen Worten prunken?

Gestehs, du bist der vorige nicht mehr,

Schon lang sieht man dich seltener als sonst

Stolz und unbändig deinen Wagen lenken

Und, in der edeln Kunst Neptuns geübt,

Das wilde Jagdroß an den Zaum gewöhnen.

Viel seltener erklinget Forst und Wald

Von unserm Jagdruf – ein verborgner Gram

Senkt deiner Blicke feurge Kraft zur Erde.

Ja, ja, du liebst, du glühst von Liebe, dich

Verzehrt ein Feuer, Herr, das du verheimlichst.

Gestehs, du liebst Aricien!

HIPPOLYT.

Ich – reise

Und suche meinen Vater, Theramen!

THERAMEN.

Herr, siehst du Phädra nicht, bevor du gehst?

HIPPOLYT.

Das ist mein Vorsatz, bring ihr diese Nachricht;

Gehn wir zu ihr, weil es die Pflicht so will.

– Doch sieh, was für ein neues Mißgeschick

Bekümmert ihre zärtliche Oenone?


Quelle:
Schiller, Friedrich: Phädra. Trauerspiel von Racine, in: Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Dritter Band: Übersetzungen, München 1960, S. 587–645, S. 589-593.
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