Dritter Auftritt.

[616] Phädra. Oenone.


OENONE.

Ersticken mußt du jeglichen Gedanken

An deine Liebe jetzt, Gebieterin!

Sei wieder ganz du selbst. Ruf deine Tugend

Zurück. Der König, den man tot geglaubt,

Er wird sogleich vor deinen Augen stehn.

Theseus ist angelangt! Theseus ist hier!

Entgegen stürzt ihm alles Volk – Ich ging,[616]

Wie du befahlst, den Hippolyt zu suchen,

Als tausend Stimmen plötzlich himmelan –

PHÄDRA.

Mein Gatte lebt, Oenone; mir genug.

Ich habe eine Leidenschaft gestanden,

Die ihn beschimpft. Er lebt. Es braucht nichts weiter.

OENONE.

Wie, Königin?

PHÄDRA.

Ich sagte dirs vorher,

Du aber hörtest nicht, mit deinen Tränen

Besiegtest du mein richtiges Gefühl.

Noch heute früh starb ich der Tränen wert –

Ich folgte deinem Rat, und ehrlos sterb ich.

OENONE.

Du stirbst?

PHÄDRA.

Ihr Götter! Was hab ich getan!

Mein Gemahl wird kommen und sein Sohn mit ihm.

Ich werd ihn sehn, wie er ins Aug mich faßt,

Der furchtbare Vertraute meiner Schuld,

Wie er drauf Achtung gibt, mit welcher Stirn

Ich seinen Vater zu empfangen wage!

Das Herz von Seufzern schwer, die er verachtet,

Das Aug von Tränen feucht, die er verschmäht!

Und glaubst du wohl, er, so voll Zartgefühl,

So eifersüchtig auf des Vaters Ehre –

Er werde meiner schonen, den Verrat

An seinem Vater, seinem König dulden?

Wird er auch seinem Abscheu gegen mich

Gebieten können? Ja, und schwieg' er auch!

Oenone, ich weiß meine Schuld, und nicht

Die Kecke bin ich, die, sich im Verbrechen

In sanfte Ruh einwiegend, aller Scham

Mit eherner Stirne, nie errötend, trotzte.

Mein Unrecht kenn ich, es steht ganz vor mir.

Schon seh ich diese Mauern, diese Bogen

Sprache bekommen und, mich anzuklagen

Bereit, des Gatten Ankunft nur erwarten,

Furchtbares Zeugnis gegen mich zu geben!

– Nein, laß mich sterben! diesen Schrecknissen[617]

Entziehe mich der Tod – er schreckt mich nicht!

Mich schreckt der Name nur, den ich verlasse,

Ein gräßlich Erbteil meinen armen Kindern.

Die Abkunft von dem Zeus erhebt ihr Herz,

Der Mutter Schuld wird schwer auf ihnen lasten.

Oenone, mit Entsetzen denk ich es,

Erröten werden sie, wenn man mich nennt,

Und wagens nicht, die Augen aufzuschlagen.

OENONE.

Das wird gewiß geschehen, zweifle nicht!

O wahrlich, nie war eine Furcht gerechter.

Doch warum willst du sie der Schmach bloßstellen?

Warum dich selbst anklagen? – Ach es ist

Um uns geschehen! Phädra, hör ich sagen,

Bekennt sich schuldig! Phädra trägt ihn nicht,

Den furchtbarn Anblick des verratnen Gatten.

Wie glücklich ist dein Feind, daß du ihm selbst

Gewonnen gibst auf Kosten deines Lebens!

Was werd ich ihm antworten, wenn er nun

Als Kläger auftritt? Ach ich muß verstummen!

Er aber wird sich seines gräßlichen

Triumphs mit Übermut erfreun und jedem,

Ders hören will, von deiner Schmach erzählen.

Eh dies geschieht, zerschmettre mich der Blitz!

Sag mir die Wahrheit. Ist er dir noch teuer?

Mit welchem Auge siehst du jetzt den Stolzen?

PHÄDRA.

Ein Ungeheuer ist er in meinen Augen.

OENONE.

Warum den leichten Sieg ihm also lassen?

Du fürchtest ihn – So wag es, ihn zuerst

Der Schuld, die er dir vorwirft, anzuklagen.

Wer kann dich Lügen strafen? Alles verdammt ihn.

Sein Schwert, zum Glück in deiner Hand gelassen,

Dein jetzger Schrecken, dein bisherger Gram,

Die vorgefaßte Meinung seines Vaters

Und deine frühern Klagen über ihn,

Auch dies, daß du schon einmal ihn verbannt –

PHÄDRA.

Ich soll die Unschuld unterdrücken, lästern?[618]

OENONE.

Mir ist an deinem Schweigen schon genug.

Ich zittre so wie du, auch mein Gewissen

Regt sich, und tausend Tode stürb ich lieber!

Doch ohne dieses Mittel der Verzweiflung

Verlier ich dich! Es gilt zu hohen Preis,

So weiche jedes andre deinem Leben!

Ich werde reden – Theseus, glaube mir,

Wenn mein Bericht ihn aufgereizt, wird sich

Mit der Verbannung seines Sohns begnügen,

Ein Vater bleibt auch Vater noch im Strafen!

Doch müßt auch selbst das Blut der Unschuld fließen,

Dein Ruf steht auf dem Spiel, es gilt die Ehre,

Der muß man alles opfern, auch die Tugend.

Man kommt. Ich sehe Theseus.

PHÄDRA.

Wehe mir!

Ich sehe Hippolyt. Ich lese schon

In seinen stolzen Blicken mein Verderben.

– Tu, was du willst, dir überlaß ich mich,

In meiner Angst kann ich mir selbst nicht raten.


Quelle:
Schiller, Friedrich: Phädra. Trauerspiel von Racine, in: Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Dritter Band: Übersetzungen, München 1960, S. 587–645, S. 616-619.
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