Elfter Auftritt


[252] Vorige. Arrogantia.


ARROGANTIA ängstlich. Hermione ist auf dem Wege zu den zwei Orakelpriestern, um vor der Wahl noch das Orakel zu befragen, warum die Geistesnacht auf ihren Dichtern ruht. Wenn das geschieht, ist unser Plan vereitelt.

VIPRIA. Das muß verhindert werden. Komm, wir wandeln diese beiden Priester schnell in Stein und setzen uns an ihre Stelle hin. In der Gestalt des Affriduro frag ich dich, und du sprichst als Stimme des Orakels aus: Apollo habe einem Fremdling seine Gunst geschenkt, den Hermione wählen muß. Zu Nachtigall. Unterdessen bleibst du hier und schreibest dein Gedicht. Doch bevor die Stunde halb verfließt, findst du dich in dem Tempel ein und trägst es mit der Harfe vor. Wenn es auch schlecht ausfällt, das beste ist es[252] doch, wenn es das einzge ist. Zur Phantasie. Du halte deinen Schwur, begeistre ihn, soviel in deiner Macht es steht. Zu Nachtigall. Laß sie nicht frei, wenn du dein Leben liebst, und will sie dir nicht dienen, zwinge sie, du bist ihr Herr.


Beide ab.


PHANTASIE für sich. O Amphio! welch schrecklich Los, ich kann dich nicht erretten.

NACHTIGALL setzt sich an den Tisch. Jetzt werden wir halt schauen, daß wir was zusammendichten. Das wird ein Arbeit werden. Also. Hermione. Und eine rote Tinte haben s' mir hergestellt, das wird ein blutiges Gedicht. Also, gschwind anfangen. Kommt was oder nicht?

PHANTASIE seufzt. Ach!

NACHTIGALL. Ach? Ist denn das ein schöner Gedanken, ach? Da wird einem völlig bang dabei. Ungeduldig. Nu weiter um ein Haus, ich komm nicht von der Stell. Nu? Er rüttelt sie.

PHANTASIE. Was willst du Tropf? Die Phantasie muß frei in blauer Luft sich schwingen, nie wird sie dir in Fesseln dienen.

NACHTIGALL. Was ist das für ein Diskurs? Wo ist denn ein Stock? Nimmt einen Thyrsusstab von einer Draperie. Da liegt er jetzt auf den Tisch, jetzt, wie nicht ordentlich phantasiert wird, wird er woanders aufgelegt.

PHANTASIE lacht verzweiflungsvoll. Hahaha!

NACHTIGALL. Wie dumm als sie lacht.

PHANTASIE wie wahnsinnig.

Einst war ein goldnes Vögelein,

Das nannt sich Phantasie.

NACHTIGALL. Was ist denn das, die phantasiert ja ohne Hitz?

PHANTASIE fährt wild auf.

Ich duld es nicht.

NACHTIGALL tunkt ein und schreibt schnell. Nu endlich einmal.

PHANTASIE.

Ihr Blitze, stürzt herab.

NACHTIGALL schreibt schnell nach. Jetzt gehts drauf los.

PHANTASIE.

Und euren glühenden Kuß –[253]

NACHTIGALL wie oben. Holla, hast es nicht gsehen.

PHANTASIE.

Drückt auf die freche Stirn.

NACHTIGALL. Die freche Stirn. Nicht gar so gschwind, ich komm nicht nach.

PHANTASIE toll.

Du Flachkopf, schweig.

NACHTIGALL stutzt, ohne zu schreiben. Was ist das für ein Vers?

PHANTASIE. Willst du ihn zweimal hören?

NACHTIGALL. Was die alls zusammdichtet! was hab ich denn da gschrieben? Liest das Geschriebene. »Ich duld es nicht, Ihr Blützer stürzt herab Und euren glühenden Fuß Drückt auf den frechen Stier – Pause. Du Schafskopf, schweig.« Was ist denn das für eine Phantasiererei? da phantasier ich ja besser, wenn ich das Nervenfieber hab.

PHANTASIE. Zu gut für dich, gemeiner Wicht.

NACHTIGALL. Das Weibsbild halt mich für einen Narren. Die Zeit vergeht, ich bring nichts zsamm. Wann nur die zwei Schwestern von Prag da waren, die ganze Sach ist schon dumm angestellt, ein andrer hat die Phantasie im Kopf, und ich hab s' bei den Füßen da, wie soll da was herauskommen? Ich krieg schon alle Hitzen. Er zieht den Rock aus. O Himmel, was ist das für ein Marter um einen Dichter, den nichts einfällt. Du mußt mir helfen, oder ich verzweifle.

PHANTASIE. Du zwingst mich nicht, du feiger Tropf.

NACHTIGALL. Das ist eine boshafte Person. Ich bring s' um, ich schneid ihr den Kopf ab und nimm ihr die Gedanken heraus. Läuft zu dem Tisch. Ich setz mich nochmal nieder. Liest den Titel. Hermione. Diktier weiter. Boshaft in den Tisch trommelnd. Hermion. Lokal. Sie hört mi halt nit an. Ich fahr durch die Luft. Jetzt hab ich hier Auf die Phantasie zeigend. eine personifizierte Gedankenfabrik – und ich hab von den ganzen Gedicht noch nichts fertig als das einzige Wort Hermione. Da kann ich doch den Preis nicht kriegen damit. Ich verzweifel.

PHANTASIE. Hahaha, das freut die Phantasie.[254]

NACHTIGALL wütend. Jetzt lacht s' mich aus, ich werd noch wahnsinnig. Kniet sich vor ihr nieder. Ich beschwöre dich bei allen Sternen, phantasier.

PHANTASIE kniet auch. Ich dich bei allen Sonnen, laß mich frei.

NACHTIGALL. Ich beschwör dich bei allen griechischen und walachischen Dichtern, phantasier.

PHANTASIE. Ich bau dir eine Welt aus glücklichen Gedanken, laß mich frei.

NACHTIGALL. Ich kann ja nicht, hab doch Barmherzigkeit. Weint.

PHANTASIE weint. Du unempfindlich Tier.

NACHTIGALL. Jetzt fangt s' zum Weinen an, jetzt sind wir alle zwei im Wasser. Wenn s' nur in Versen weinte, um des Himmels willen, die helle Prosa lauft ihr übers Gsicht. Ein sanftes Glöcklein läutet in der Ferne. Jetzt muß ich fort, jetzt läuten s' siebene, im Apollosaal. Du gfreu dich, wenn ich wiederkomm. O Todesschweiß, du stehst mir an der Stirn! Ich weiß kein anders Mittel. Ich kann ein Lied von der schönen Magellone. Das änder ich um und sing statt Mageroni Hermioni, und wanns nicht gfallt, ich schieß mich tot, ich häng mich auf, ich bring mich viermal nacheinander um, ich Dummkopf ohne aller Phantasie!


Rennt verzweiflend ab.


PHANTASIE allein.


Quodlibet.

Die Musik beginnt, es schlägt Dreiviertel auf sieben. Die Phantasie springt ängstlich auf.


Ha! was ist das, die Stunde tönt,

Und Amphio ist verloren!

Wenn, Apoll, du mich nicht rettest,

Werd ich noch des Wahnsinns Raub.


Trauernd.


Durch den Äther, durch die Lüfte

Schwebt ich leichten Flugs dahin.

Ihr ungetreuen Flügel, nur einen Augenblick

Wünscht ich euch zu besitzen, ihr wärt mein höchstes Glück.[255]

Entsetzlich, entsetzlich!

Wenn Phantasie so weit es bringt,

Daß sie ein Quodlibet gar singt.

Doch mir leuchtet am Himmel ein tröstendes Licht,

Ich fleh zu den Göttern, sie täuschen uns nicht.


Kniet.


O Jupiter, der du mich einst aus deinem Haupt gebarst,

Der du mir stets ein gütger Vater warst,

Kannst du die Tochter hier gefesselt sehn?

Oh, schleudre deinen Blitz und laß mich untergehn!

O Jupiter, o Jupiter, erhöre mich!


Ein Blitzstrahl fährt herab und zertrümmert ihre Fessel.


Ha, ich bin frei, hohen Dank euch, ihr Götter,

Ha, wie durchströmt mich dies freudige Sein!

Fort sind von mir jetzt die lästigen Ketten,

Schnell hin zu Amphio, ihn zu befrein.

Amphio, halt! Amphio, halt!

Die Phantasie ist frei!


Sie wirft einen griechischen Mantel der Zauberschwestern um und eilt ab.


Quelle:
Ferdinand Raimund: Sämtliche Werke. München 1960, S. 252-256.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die gefesselte Phantasie
Die gefesselte Phantasie. Original- Zauberspiel in zwei Aufzügen.
Raimundalmanach / Die gefesselte Phantasie

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Bozena

Bozena

Die schöne Böhmin Bozena steht als Magd in den Diensten eines wohlhabenden Weinhändlers und kümmert sich um dessen Tochter Rosa. Eine kleine Verfehlung hat tragische Folgen, die Bozena erhobenen Hauptes trägt.

162 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon