[454] Simplizius. Arete.
ARETE. Ach du armer Mensch! Komm doch herein. Warum willst du denn keine Speise nehmen?
SIMPLIZIUS. Ich bin überflüssig satt, mir liegt das ganze Land im Magen, drum bring ich nichts hinein. Ich verhungere noch vor Angst.
ARETE. Pfui, schäm dich doch! bist du ein Mann?
SIMPLIZIUS. Ich weiß selbst nicht mehr, was ich bin. Vermutlich.
ARETE. Betrachte mich, ich bin ein Mädchen. Wir haben zwar große Ursache, uns zu fürchten. Man hat heute Nacht Erdstöße verspürt, daß die Stadtmauern erzittert haben.
SIMPLIZIUS. Jetzt wenn die Stadtmauern schon zum zittern anfangen, was soll denn unsereiner tun?
ARETE. Warum bist du denn aber eigentlich nach Massana gekommen?[454]
SIMPLIZIUS zitternd. Weil ich das Land erretten muß.
ARETE. Du? Ach ihr guten Götter! Wenn du dich nur nicht vorher zu Tode zitterst?
SIMPLIZIUS. Glaubst? das war sehr fatal.
ARETE. Armer Narr, du dauerst mich.
SIMPLIZIUS. Ich dank ergebenst. Das Mädel war so hübsch. Wenn mir nur nicht die Knie zusammschnappeten! Ich fanget aus lauter Angst eine Amour an.
ARETE. Warum blickst du mich so forschend an? Was wünschest du?
SIMPLIZIUS für sich. Wann sie nur in der Geschwindigkeit eine Leidenschaft zu mir fasset, so könnten wir heut Vormittag noch durchgehen und kam ich doch auf gute Art aus dem verdammten Land. Sag mir, liebes Kind, was fühlst du eigentlich für mich?
ARETE. Mitleid. Inniges Mitleid.
SIMPLIZIUS. Inniges Mitleid? Aha! Sie ist nicht ohne Antipathie für mich. Könntest du dich wohl entschließen –
ARETE. Wozu?
SIMPLIZIUS. Die Meinige zu werden.
ARETE. Arete die Deinige?
SIMPLIZIUS. Ja! Arete, du hast mein Herz arretiert.
ARETE sehr stolz. Wer bist du, der du es wagst, um die Hand einer edlen Massanierin anzuhalten?
SIMPLIZIUS beiseite. Soll ich ihr meinen Stand entdecken?
Nein. Ein mystisches Dunkel muß darüber walten.
Laut
Ich bin nicht, was ich scheine, und scheine auch nicht, was ich bin,
Und wenn ich das wäre, was ich sein möchte,
So würd ich nicht scheinen, was ich nicht bin.
ARETE. Ich verstehe dich.
SIMPLIZIUS. Da ghört ein Geist dazu. Ich versteh mich selber nicht.
ARETE.
Du möchtest gern scheinen, was du nicht bist.
Und bist doch so sehr, was du auch scheinst.[455]
SIMPLIZIUS. Hals schon erraten, es ist unglaubbar. Sag mir, Mädchen, hättest du wohl den Mut, mich zu entführen?
ARETE. Dich?
SIMPLIZIUS. Oder umgekehrt.
ARETE. Das heißt: ich soll mit dir mein Vaterland verlassen. Ich verstehe dich wohl.
SIMPLIZIUS. Hat mich schon wieder verstanden.
ARETE. Damit du mich aber auch verstehest, so will ich dir sagen, wofür ich dich halte: Du bist ein unverschämter, erbärmlicher Mensch, der es wagt, seine vor Todesfurcht bebenden Lippen zu einer Liebeserklärung zu öffnen und einem edlen Mädchen von Massana seine krüppelhafte Gestalt anzutragen. Entferne dich! Mit dir zu reden ist Verbrechen an der Zeit. Und wenn du künftig wieder ein Mädchenherz erobern willst, so stähle das deinige erst mit Mut. Mutige Männer werden geliebt. Mutlose verachtet man.
SIMPLIZIUS. Da ghört ein Stoiker dazu, um das zu ertragen. Leb wohl, du wirst zu spät erfahren, wen du beleidigt hast. Ha! jetzt kann Massana fallen, ich hebs gewiß nicht auf.
ARETE. Halt, weile noch, erkläre dich, damit ich erfahre, wessen Antrag mich entwürdigt hat.
Duett.
ARETE.
Wer bist du wohl, schnell sag es an.
SIMPLIZIUS.
Ich habs schon gsagt, ich bin ein Mann.
ARETE.
Ein Mann bist du, doch was für einer?
SIMPLIZIUS.
Ein beßrer bin ich doch als keiner.
ARETE.
Wie heißest du, bist du vom Adel?
SIMPLIZIUS.
Ich heiß Simplizius Zitternadel.[456]
ARETE.
Der Name klingt mir sehr gemein.
SIMPLIZIUS.
Es kann nicht alles nobel sein.
ARETE.
Wie kannst du solchen Unsinn sagen?
SIMPLIZIUS.
Das wollt ich dich soeben fragen.
ARETE.
Dein Äußres ist mir schon zuwider.
SIMPLIZIUS.
Das schlagt mein Innres sehr darnieder.
ARETE.
So häßlich ist kein Mann hienieden.
SIMPLIZIUS.
Die Gusto sind zum Glück verschieden.
ARETE.
Wie abgeschmackt der Schnitt der Kleider!
SIMPLIZIUS aufbrausend.
Das ist nicht wahr, ich bin –
Faßt sich und singt gelassen.
Nur weiter.
ARETE.
Nun hättest du dich bald verraten.
SIMPLIZIUS.
Ja meiner Seel, jetzt hats mir graten.
ARETE.
Du mußt mir sagen, wer du bist.
SIMPLIZIUS.
Ich bin ein Held, wies keiner ist.
ARETE spöttisch.
Dein Mut ist in der Schlacht wohl groß?
SIMPLIZIUS.
Ich stech oft ganze Tag drauf los.
ARETE.
Umsonst verschlingst du schlau den Faden.
SIMPLIZIUS.
Mir scheint, die Feine riecht den Braten.[457]
ARETE.
Mein Argwohn läßt sich nicht mehr trennen.
SIMPLIZIUS.
Jetzt braucht s' nur noch die Scher zu nennen.
ARETE.
Du bist kein Prinz, gesteh es mir!
SIMPLIZIUS zornig.
Ich bin ein Kleideringenier.
ARETE.
Ha!
Beide zugleich.
ARETE.
Ihr Götter, was hör ich, mein Auge wird trübe.
Ein solcher Plebejer spricht zu mir von Liebe.
Welch eine Glut
Brennet im Blut,
Wütender Schmerz
Flammet im Herz.
Schnell flieh ich von hinnen, verberge mich scheu.
O folternde Hölle, beschämende Reu!
SIMPLIZIUS.
Was soll ich es leugnen, es ist keine Schand,
Denn Achtung verdienet mein nützlicher Stand.
Ich sag es grad,
Ich ghör zur Lad,
Und meine Scher
Schwing ich mit Ehr.
Ich schreis in die Welt hinaus, 's ist meine Pflicht.
Ich bin ja kein Pfuscher, drum schäm ich mich nicht.
Beide ab.
Ausgewählte Ausgaben von
Die unheilbringende Zauberkrone
|
Buchempfehlung
Anatol, ein »Hypochonder der Liebe«, diskutiert mit seinem Freund Max die Probleme mit seinen jeweiligen Liebschaften. Ist sie treu? Ist es wahre Liebe? Wer trägt Schuld an dem Scheitern? Max rät ihm zu einem Experiment unter Hypnose. »Anatols Größenwahn« ist eine später angehängte Schlußszene.
88 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro