An Hymen

[56] Lyäens und Cytherens Sohn,

Im schönsten Rausch geboren,

Gott Hymen, der du dir zum Thron

Das Hochzeitbett erkohren!


Dir fleht der sorgenvolle Greis:

O Stifter der Geschlechter,

Nimm, was ich nicht zu schützen weiss,

Nimm mir die grossen Töchter!
[57]

Dir schmückt das fromme Mädchen sich

Bey seinem Morgenliede;

Der weise Jüngling hofft auf dich,

Des falschen Amors müde.


Dich rufen junge Wittwen an

Im hochbetrübten Schleyer;

Im Flohr bekennt der Tranermann

Dir sein gewaltig Feuer.


Du, mehr als andre Götter werth,

Dir flehen auch die Prinzen:

Erfülle, was der Krieg geleert,

Erfüll' uns die Provinzen!
[58]

O! wenn dich noch ein Opferschmaus

Herab vom Himmel ziehet:

So komm in meines Leukons' Hans,

Der am Altare knieet!


Komm! einen Ring an jeder Hand,

Und um die Schläfe Myrthen,

Und um den Arm ein goldnes Band,

Das Knie der Braut zu gürten,


Die, wann von Wein und Liebe voll,

Ein Gast zu viel begehret,

Und sie doch etwas missen soll,

Am liebsten Band entbehret.
[59]

Die Schaar der trunknen Räuber theilt.

Sich in die goldne Beute:

Sie flieht indess, der Liebling eilt,

Und giebt ihr das Geleite.


Quelle:
Karl Wilhelm Ramler: Oden, Berlin 21768, S. 56-60.
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