Zweiter Auftritt

[36] Lyonel. Lady.

Nr. 9. Duett und Volkslied


LADY ihr nachrufend.

Nancy! –

Julia! Verweile;


Beiseite.


Wie? Sie läßt mich hier allein?

LYONEL.

Bleib doch, Martha, so in Eile?

Ist dir bang?

LADY.

Vor Euch? O nein!


Beiseite.


Blickt sein Auge doch so ehrlich,

Sein Betragen war so fein –

Dennoch scheint es mir gefährlich,

Hier mit ihm so ganz allein.

LYONEL.

Mein' ich's doch so treu und ehrlich,

Lauter ist mein Herz und rein,

Dennoch klopft es unaufhörlich,

Bin ich mit ihr, mit ihr allein.

Nun! Ich will auch nimmer schelten,

Will nicht streng und herrisch sein.

Ja, dein Wille soll mir gelten.

LADY sich umsehend.

Ach, sie läßt mich hier allein.

LYONEL.

Martha, laß mich dir's gestehen,

Seit dem ersten Augenblick,

Daß ich, Holde, dich gesehen –

LADY.

Und sie kommt auch nicht zurück.

LYONEL.

Martha! Martha!

LADY.

Er wird dreister.[36]

LYONEL.

Brav und redlich ist mein Sinn.

LADY.

Ja, Ihr seid zu gut als Meister,

Ich zu schlecht zur Dienerin.

LYONEL.

Du zu schlecht?

LADY.

Nur müßig stehen,

Gaffen, singen mag ich gern.

Laßt die träge Magd drum gehen!

LYONEL.

Nein, ich trüg's nicht, wärst du fern!

LADY.

Herr!

LYONEL.

Nein, nicht soll dich Arbeit quälen:

Singen sollst du, fröhlich sein,

Und zum Werk soll uns beseelen

Dein Gesang, so fromm und rein.


Bittend.


Sing ein Liedchen.

LADY.

Bin zu blöde.

LYONEL.

So ein Volkslied, recht fürs Herz.

LADY.

Kann's nicht!

LYONEL nimmt ihr den Strauß von der Brust.

Deinen Strauß, du Spröde,

Für ein Lied!

LADY.

So laßt den Scherz!

LYONEL.

Nein! Ich will's!

LADY.

Ihr wollt?

LYONEL.

Ich bitte!

LADY.

Nun – gehorchen ist ja Sitte!


Irisches Volkslied.


Letzte Rose, wie magst du so einsam hier blühn?

Deine freundlichen Schwestern sind längst schon, längst dahin

Keine Blüte haucht Balsam mit labendem Duft,

Keine Blättchen mehr flattern in stürmischer Luft.

Warum blühst du so traurig im Garten allein?

Sollst im Tod mit den Schwestern vereinigt sein.

Darum pflück' ich, o Rose, vom Stamme dich ab,

Sollst ruhn mir am Herzen und mit mir im Grab.

BEIDE.

Sollst ruhn mir am Herzen und mit mir im Grab.

LYONEL.

Martha –

LADY.

Herr!

LYONEL.

Laß mich dir sagen,

Was mit Zaubers Allgewalt[37]

Vor dem Aug' ich sehe tagen,

Daß es bis zum Herzen strahlt!

Martha!

LADY.

Laßt mich.

LYONEL.

Seit der Stunde, daß ich dich sah –

LADY.

Laßt mich!

LYONEL.

Martha!

LADY.

Fort.

LYONEL.

O bleib! Ach,

Martha, nimm zum frommen Bunde

Meine Hand. O sei mein Weib!

LADY beiseite.

Große Götter!

LYONEL.

Dir zu Füßen!

LADY beiseite.

Fassung!


Laut.


Wie? Ihr kniet ja,

Herr! – Ach, da werd' ich lachen müssen –

Ach, verzeiht! – Hahahaha!

LYONEL.

Ich will dich zu mir erheben,

Will vergessen deinen Stand.

LADY.

Mich erheben?! Das ist's eben,

Was ich gar so lustig fand.

LYONEL.

Sie lacht zu meinen Leiden,

Verhöhnt mein treues Herz,

Ihr Blick scheint sich zu weiden

An meinem heißen Schmerz.

Mein Los mit mir zu teilen,

Verschmäht ihr spröder Sinn.

Nichts kann die Wunde heilen –

Fahr hin, mein Glück, fahr hin!

LADY.

Wie jammert mich sein Leiden,

Ach, mich quält des Armen Schmerz.

Gar manche dürft' mich neiden

Um sein getreues Herz.

Sein Los mit mir zu teilen,

Erscheint ihm Hochgewinn.

Ach! Könnt' ich ihm enteilen,

Sonst ist sein Glück dahin.

LYONEL.

Mein Los mit mir zu teilen,

Verschmäht ihr spröder Sinn.

Nichts kann die Wunde heilen –

Fahr hin, mein Glück, fahr hin![38]


Quelle:
Friedrich von Flotow: Martha oder Der Markt zu Richmond. Stuttgart 1961, S. 36-39.
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