Falken-Beize

[614] Kaiser sein heißt unverwandelt vieles

überstehen bei geheimer Tat:

wenn der Kanzler nachts den Turm betrat,

fand er ihn, des hohen Federspieles

kühnen fürstlichen Traktat


in den eingeneigten Schreiber sagen;

denn er hatte im entlegnen Saale

selber nächtelang und viele Male

das noch ungewohnte Tier getragen,
[614]

wenn es fremd war, neu und aufgebräut.

Und er hatte dann sich nie gescheut,

Pläne, welche in ihm aufgesprungen,

oder zärtlicher Erinnerungen

tieftiefinneres Geläut

zu verachten, um des bangen jungen


Falken willen, dessen Blut und Sorgen

zu begreifen er sich nicht erließ.

Dafür war er auch wie mitgehoben,

wenn der Vogel, den die Herren loben,

glänzend von der Hand geworfen, oben

in dem mitgefühlten Frühlingsmorgen

wie ein Engel auf den Reiher stieß.


Quelle:
Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke. Band 1–6, Band 1, Wiesbaden und Frankfurt a.M. 1955–1966, S. 614-615.
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