Schlangen-Beschwörung

[593] Wenn auf dem Markt, sich wiegend, der Beschwörer

die Kürbisflöte pfeift, die reizt und lullt,

so kann es sein, daß er sich einen Hörer

herüberlockt, der ganz aus dem Tumult


der Buden eintritt in den Kreis der Pfeife,

die will und will und will und die erreicht,

daß das Reptil in seinem Korb sich steife

und die das steife schmeichlerisch erweicht,


abwechselnd immer schwindelnder und blinder

mit dem, was schreckt und streckt, und dem, was löst –;

und dann genügt ein Blick: so hat der Inder

dir eine Fremde eingeflößt,


in der du stirbst. Es ist als überstürze

glühender Himmel dich. Es geht ein Sprung

durch dein Gesicht. Es legen sich Gewürze

auf deine nordische Erinnerung,


die dir nichts hilft. Dich feien keine Kräfte,

die Sonne gärt, das Fieber fällt und trifft;

von böser Freude steilen sich die Schäfte,

und in den Schlangen glänzt das Gift.

Quelle:
Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke. Band 1–6, Band 1, Wiesbaden und Frankfurt a.M. 1955–1966, S. 593-594.
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