Die Fensterrose

[501] Da drin: das träge Treten ihrer Tatzen

macht eine Stille, die dich fast verwirrt;

und wie dann plötzlich eine von den Katzen

den Blick an ihr, der hin und wieder irrt,


gewaltsam in ihr großes Auge nimmt, –

den Blick, der, wie von eines Wirbels Kreis

ergriffen, eine kleine Weile schwimmt

und dann versinkt und nichts mehr von sich weiß,


wenn dieses Auge, welches scheinbar ruht,

sich auftut und zusammenschlägt mit Tosen

und ihn hineinreißt bis ins rote Blut –:


So griffen einstmals aus dem Dunkelsein

der Kathedralen große Fensterrosen

ein Herz und rissen es in Gott hinein.


Quelle:
Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke. Band 1–6, Band 1, Wiesbaden und Frankfurt a.M. 1955–1966, S. 501.
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Neue Gedichte - Der Neuen Gedichte anderer Teil.
Insel Taschenbücher, Nr.49, Neue Gedichte