L'Ange du Méridien

[496] Chartres


Im Sturm, der um die starke Kathedrale

wie ein Verneiner stürzt der denkt und denkt,

fühlt man sich zärtlicher mit einem Male

von deinem Lächeln zu dir hingelenkt:


lächelnder Engel, fühlende Figur,

mit einem Mund, gemacht aus hundert Munden:

gewahrst du gar nicht, wie dir unsre Stunden

abgleiten von der vollen Sonnenuhr,


auf der des Tages ganze Zahl zugleich,

gleich wirklich, steht in tiefem Gleichgewichte,

als wären alle Stunden reif und reich.


Was weißt du, Steinerner, von unserm Sein?

und hältst du mit noch seligerm Gesichte

vielleicht die Tafel in die Nacht hinein?


Quelle:
Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke. Band 1–6, Band 1, Wiesbaden und Frankfurt a.M. 1955–1966, S. 496-497.
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Neue Gedichte - Der Neuen Gedichte anderer Teil.
Insel Taschenbücher, Nr.49, Neue Gedichte