Mädchen-Klage

[481] Diese Neigung, in den Jahren,

da wir alle Kinder waren,

viel allein zu sein, war mild;

andern ging die Zeit im Streite,

und man hatte seine Seite,

seine Nähe, seine Weite,

einen Weg, ein Tier, ein Bild.
[481]

Und ich dachte noch, das Leben

hörte niemals auf zu geben,

daß man sich in sich besinnt.

Bin ich in mir nicht im Größten?

Will mich Meines nicht mehr trösten

und verstehen wie als Kind?


Plötzlich bin ich wie verstoßen,

und zu einem Übergroßen

wird mir diese Einsamkeit,

wenn, auf meiner Brüste Hügeln

stehend, mein Gefühl nach Flügeln

oder einem Ende schreit.


Quelle:
Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke. Band 1–6, Band 1, Wiesbaden und Frankfurt a.M. 1955–1966, S. 481-482.
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Neue Gedichte - Der Neuen Gedichte anderer Teil.
Insel Taschenbücher, Nr.49, Neue Gedichte