[173] Ich muß hier die Erzählung »Das Abenteuer um Wilberforce« unterbrechen, weil sie die folgenden Ereignisse mehrerer Jahre mit allzu wenig Sätzen abtut. –
In Hamburg lebte ich nun also wieder so wie früher. Am Tag Stellung suchend, abends in der Wirtschaft von Seidlers mit Trinkbrüdern lärmend oder mit Meta schwärmend. Ich war tief und sentimental in sie verliebt. Es gab ein Lieblingslied auf der Spieluhr dort, das wir beide liebten und für das ich manchen Groschen opferte. Ein Lied aus der Oper Norma. Wieder machte ich Schulden bei Seidlers und bei Krahl, die ich schließlich meinem Vater eingestehen mußte. Der zahlte und zahlte.
Dann nahm ich eine Stellung als Schiffsjunge auf dem Dampfer »Ramses« von der Cosmos-Linie an. Schaffte meinen Seesack an Bord, der mein Hab und Gut enthielt, und begann sogleich meinen Dienst. Das Schiff nahm Ladung. Es fiel mir schwer, wieder den Schiffsjungen zu spielen. Ich hatte die Stellung nur aus Not angenommen. Als mir eines Morgens der Erste Offizier verbot, in[173] Holzpantoffeln über Deck zu gehen, entstand ein Wortstreit, der damit endete, daß ich den Offizier stehen ließ, mich umzog und das Schiff verließ. Am Stammtisch erzählte ich dann aufgeblasen, wie keck ich dem Offizier pariert hätte und daß ich auf keinen Fall diesen »lumpigen Kasten« wieder betreten würde.
In derselben oder in der folgenden Nacht teilte mir ein Telegramm mit, ich wäre als Leichtmatrose auf dem Ozeandampfer »Columbia« angenommen und sollte mich sofort einschiffen. So verabschiedete ich mich auf Pump splendid, küßte Meta und bat Papa Krahl, er möchte meine auf der »Ramses« zurückgelassenen Effekten abholen.
Was ich selbst an Sachen auf die »Columbia« mitnahm, trug ich in einem Taschentuch.
»Columbia« war damals der größte Passagierdampfer der Hapag. Vier gewaltige Schornsteine hatte er. Und Luxuskabinen und erste Klasse und zweite Klasse. Außerdem reisten im Zwischendeck Hunderte von polnischen Auswanderern. Die hausten da unten zwischen ihrem bunten Sack und Pack und Kindern und Windeln in einem erbarmungswürdigen Durcheinander. Sie fragten unaufhörlich und stellten sich so hysterisch an, besonders die Weiber und die Seekranken, daß wir bei starkem Sturm die Türen zum Zwischendeck abschlossen und niemand an Deck ließen. Neben ihnen und uns Schiffsarbeitern: die reichen Reisenden mit ihren eleganten Garderoben, Schlemmermahlzeiten, Faulenzerspielen und Festivitäten mit Musik und allem erdenklichen Luxus. Da lebten zwei Gegensätze eng nebeneinander. Aber ich fand diese Fahrt berauschend, besonders die Nächte. Die Sonnenbrenner brannten aufregend. Der Qualm aus den Schornsteinen verwehte weithin übers Meer, das nahm sich aus wie Heldensagen.
Einmal sichtete ich auf solcher Nachtwache ein Wrack. Es war ein Stück Gebälk, wie ein Floß. Da eine Laterne darauf brannte, war anzunehmen, daß lebende Menschen darauf waren. Ich sah es, und noch jemand sah es, und wir riefen die Meldung zur Brücke hinauf. Aber die »Columbia« stoppte nicht, sondern jagte weiter. Vielleicht mochte der ehrgeizige Kapitän in dem Rennen um das Blaue Band die Fahrt nicht aufhalten.
Daneben gab es für uns Seeleute leichte Anekdoten, von denen sich die meisten ums Essen oder um Trinkgelder drehten. Manchmal suchten noble Passagiere aus Neugier unser Logis auf. Den Damen, die die steile Treppe zu uns herabstiegen, schielten[174] wir unter die Röcke. Dann logen wir den Herrschaften etwas vor, übertrieben oder läppisch, nicht ahnend, daß manche von ihnen über das, was sie fragten, viel höher unterrichtet waren als wir. Aber ein Trinkgeld oder eine Zigarre ergab sich immer. Und wie solche Zigarre uns schmeckte, so schmeckte sie denen nicht.
Als ein Regen einsetzte, erbat sich ein Passagier ein Ölzeug von mir. Ich lieh ihm das meinige gern, ließ es ihn aber selbst von dem Nagel nehmen, an dem es hing. Denn dieser Nagel stand zufällig mit der elektrischen Leitung in Berührung, und man bekam jedesmal einen gelinden Schlag, wenn man nach dem Ölzeug griff. Da ich nun dem erschreckten Passagier den Bären aufband, daß bei uns alle Ölzeuge so elektrisch geladen wären, um sie vor Ratten zu schützen, so fiel das Trinkgeld befriedigt und befriedigend aus.
Ich hätte mir damals trotz meiner ordentlichen Erziehung nicht träumen lassen, daß ich jemals mit Leuten wie jene Passagiere erster und zweiter Klasse gleichberechtigt zusammensitzen würde.
Außer meiner sehr unromantischen Arbeit war mir alles neu oder interessant. Ich mußte die Messingränder der Bullaugen an Deck putzen und kam auch zu der Kapitänskajüte. Da sah ich nun von außen neugierig durchs offene Fenster. Der Alte war fürstlich eingerichtet. Er beugte sich gerade mir abgewendet über den Wascheimer und putzte sich mit ungeniertem Getöne die Zähne. Ich sah ihm interessiert zu, in der Meinung, daß er mich nicht bemerkte. Nun nahm er wieder einen großen Schluck Gurgelwasser in den Mund. Und plötzlich wendete er sich blitzschnell und spie mir die ganze Ladung ins Gesicht.
Dann kam die Freiheitsstatue. Dann kam die umständliche Landung und Ausschiffung. Dann sah ich Hochbauten.
Etwa vierzehn Tage lagen wir in New York. In Hoboken. Selbstverständlich ging ich jeden Abend an Land, aber was habe ich gesehen? Nichts, was mich heute berechtigte, mitzusprechen, wenn Leute über New York disputieren. Ich besinne mich, daß ich nach Brooklyn wollte und auf einem Pier auf die Fähre wartete, die mich über den River setzen sollte, auf einmal setzte sich das Stück Pier in Bewegung und war selbst die Fähre, auf die ich wartete. Das machte mir großen Eindruck.
Eine nichtswürdige Geschmacklosigkeit beging ich. Bordkameraden hatten mir Briefschaften mitgegeben, die ich an Land expedieren sollte. Um mich vor einem anderen Urlauber mit einem Spaß großzutun, schrieb ich auf all diese Karten ganz schweinische,[175] ekelhafte Bemerkungen, ohne zu untersuchen, ob diese Postsachen an Eltern, Bräute oder Kinder gerichtet waren.
Nichts habe ich von New York gesehen. Oder habe ich es vergessen? Aber man vergißt nichts so leicht, was Eindruck machte. Ich ging immer allein aus. Ich werde anderes erlebt haben, was man vielleicht überall erleben kann, aber was man eben einmal erleben muß.
Wir nahmen nach Deutschland wieder Passagiere mit, außerdem auch Ladung. Hauptsächlich Äpfel. Viele Räume im Unterschiff wurden bis fast an die Decke mit Äpfeln angefüllt. Die Räume waren immer beleuchtet und wurden von Aufsehern überwacht. Dennoch unternahm ich mit einem Kameraden einen planmäßig überlegten Raubzug dorthin. Wir schlichen heimlich hinter dem Ronde gehenden Wächter her, krochen auf allen Vieren über die Äpfelfelder und stopften in unsere ausgeschnittenen Matrosenblusen so viel Äpfel, daß wir wie vollbusige Damen aussahen. Dann wollten wir wieder in Distanz hinter dem Wächter zurückschleichen. Der hatte aber etwas bemerkt und rief uns an. Darauf vorbereitet, schossen wir mit Äpfeln. Erst die elektrischen Glühbirnen entzwei und dann im Dunkeln in der Richtung nach dem Wächter. Dabei grunzten, röchelten und zischten wir nach einer einstudierten, unheimlichen Weise und versetzten den Wächter in eine Verwirrung, in der wir leicht entkamen.
Auch die Rückfahrt mit Volldampf voraus war wieder herrlich. Wir wurden in Hamburg alle entlassen »wegen Aufliegen des Schiffes«. Es war der 1. November 1902.
Ich bezog mein altes Quartier am Herrengraben und fragte nach meinen Sachen von der »Ramses«. Aber Krahl hatte versäumt, sie von Bord zu holen. Der Dampfer war ausgelaufen und trug nun meine Kleider, meine Wäsche nach der Westküste von Südamerika.
Ich eilte zu Seidlers. Es machte so warm, Neuigkeiten zu berichten und anzuhören. Die Seidlersche Wirtschaft war die Zentrale, wo alle Nachrichten über unsere Seemannsschicksale zusammenliefen. Der war mit dem oder dem Schiff nach X. unterwegs. Jener hatte an Bord das Ausbrechen von wilden Tieren aus einem Käfig erlebt. Das Schiff eines Dritten war überfällig, und man fürchtete, daß es abgesoffen sei. Neue Liebesdramen und Schlägereien hatten sich abgespielt.
Ich machte wieder Schulden und schrieb darüber an Vater[176] beschönigende Briefe. Die verbrämte ich mit lustigen Zeichnungen, die immer unseren bissigen Dackel Bob karikierten. So trugen meine Dackelstudien aus der Gymnasialzeit doch noch Früchte.
Diesmal bekam ich aber bald ein neues Schiff. Ich verheuerte mich als Leichtmatrose auf dem Hapag-Dampfer »Numidia«.
Wir fuhren nach Antwerpen und liefen dann die portugiesischen Häfen Leixoes und Lissabon an. Von dort aus dampften wir nach Südamerika. Als wir den Äquator passierten, wurde ich mit dem üblichen Ulk gründlich getauft.
Vor Maranhao verbrachten wir sehr unfreundliche Weihnachten. Man gab uns keinen Landurlaub, weil an Land die Pest herrschte. In der tropischen Hitze arbeiteten wir bis in die späte Nacht hinein, weil wir einen Anker mit Kette verloren hatten, der nur mit Mühe wieder aufzufischen war. Dann mußten wir noch ein leckes Schott reparieren. Als Christgeschenk erhielt jedermann eine Flasche Billbier. Das Bier war aber verdorben. Wir sehnten uns besonders nach frischem Brot.
Kurzer Aufenthalt in Rio de Janeiro und darauf in Desterro. Briefe aus der Heimat. Neuigkeiten: Wolf litt an einem Bandwurm, Ottilie war ans Hoftheater in Braunschweig engagiert.
Wir fuhren die ganze brasilianische Küste entlang bis Rio Grande do Sul und löschten und nahmen Ladung. Wir brachten Salz, Zement, Klaviere, Schulbücher, Eisenbahnschienen, Porzellan und anderes Stückgut. Wir nahmen Büffelhörner und Kaffee. Die Hitze war unerträglich. Wir tranken Unmengen von lemonjuice und schliefen nachts unter Moskitonetzen. Die Eingeborenen boten uns kleine Äffchen und Papageien an. Sie trugen sich romantisch, zum Teil sehr komisch romantisch.
Wir hatten eine Musikkapelle gebildet. Auf selbst hergestellten und selbst entdeckten Instrumenten spielten wir abends an Deck und sangen dazu »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten«. Auch ein Lied, zu dem ich den Text gedichtet hatte. Es behandelte plump satirisch die Menschen und Zustände auf der »Numidia«. Denn es waren viele Sonderlinge unter uns, zum Beispiel ein Kochsmaat, dem wir mit unserem Spott so zusetzten, daß er sich zu ertränken versuchte.
Auch mit scherzhaften Zeichnungen hatte ich Erfolg. – Vorübergehend übertrug man mir das Amt eines Küpers. Ich hatte den Proviantraum mit seinen Wundern an Speck, Würsten und Käsen zu verwalten. Da schwelgte ich heimlich und ließ heimlich[177] andere schwelgen. Als man mich aber einmal zwischen einem Faß Kümmel und einem Faß Rotwein schlafend fand, wahrend die aufgedrehten Faßhähne links und rechts von mir Kümmel und Rotwein ausströmten, da war meine Küperschaft vorüber.
In Argentinien imponierte mir die Hauptstadt Buenos Aires. Aber ich sah mir auch hier keine Museen, keine öffentlichen Gebäude oder charakteristischen Statten an, sondern trieb mich als Eigenbrötler in möglichst entlegenen Winkeln umher. Dabei geriet ich einmal in eine Auktion und machte mir den Spaß mitzubieten, indem ich aufs Geratewohl Zahlen dazwischenrief, die ich aus aufgefangenen portugiesischen Brocken und lateinischen Schulreminiszenzen bildete. Ganz verblüfft war ich, als mir auf einmal ein Bündel Damenschirme und seidene Tücher gereicht wurden. Ich nahm das natürlich nicht an, sondern entfernte mich eiligst, und man schimpfte mir nach.
Einmal unternahmen wir als Gäste der Deutschen Gesellschaft einen Ausflug in die Umgebung der Stadt. Im Busch wurde biwakiert, wurden Hammel am Spieß gebraten und Wettspiele veranstaltet. Der deutsche Pastor leitete diese harmlose Fröhlichkeit.
Auf der Rückreise nach Deutschland erlebten wir starke Stürme, besonders in der spanischen See. Als das Schiff seinen Kurs änderte, fing es an, dermaßen zu schaukeln, daß ich beinahe über Bord gefallen wäre. Als ich mich zur Kombüse hinarbeitete, bot sich dort ein tolles Bild. In Dampfwolken eingehüllt stand der Koch zwischen zwei hohen Töpfen mit heißem Wasser. Und Koch und Töpfe rutschten auf den nassen Steinfliesen zwischen Backbord und Steuerbord hin und her. Ich kam dem Koch zu Hilfe, wir wurden beide leicht verbrüht.
Auf der Insel Madeira erstand ich Korallen und gewann im Boxkampf mit einem Neger auf catch as catch can eine Tasche aus Fruchtkernen. Außerdem kaufte ich zwei Bunsch Bananen und stahl ein drittes. Da diese Fruchtbündel hängend aufbewahrt werden mußten und ich dafür keinen anderen Platz als meine Koje fand, so schlief ich fortan an Deck, wo es nachts schon recht kalt war. Aber es gab ja nichts Befriedigenderes, als den Angehörigen und Freunden etwas von weither mitzubringen.
Am 6. März 1903 wurde ich in Hamburg mit 58 Mark abgelohnt. Davon zahlte ich Krahl im voraus Miete.
In der Wirtschaft von Seidlers ging es hoch her. Erstens waren[178] zufällig lauter nette und altvertraute Kumpane beisammen, und zweitens lagen viele Schiffe im Hafen. Fast jede Nacht konnte ein Angemusterter ein Faß Bier spendieren. Ich schenkte der Witwe Seidler ein Bunsch Bananen. Die anderen Geschenke sandte ich nach Hause.
Ich fand schlechte Nachricht vor. Meine Schwester lag schwer krank in einer Klinik.
Erfind, ein junger, lieber Freund von mir, wurde gleichzeitig mit mir auf der »Nauplia« angemustert, einem Dampfer, der über Genua nach San Francisco bestimmt war. Wir feierten bei Seidlers ergiebig Abschied, sangen immer wieder das Lied »Blue boys blue, of Californiu«. Noch weithin klangen uns die Rufe der Zurückbleibenden nach »Nauplia ahoi«.
Es war das erstemal, daß ich mit einem Freund auf gleichem Schiffe war. Und nun gar mit einem von besserer Erziehung. Die Freude darüber stieg uns aber zu Kopf. So daß wir bald mit unseren Vorgesetzten in Streit gerieten. Weil in Stettin sowieso eine sogenannte Ummusterung stattfand, so verließen wir dort das Schiff Knall und Fall mit nur ein paar Mark in der Tasche, dennoch höchst unternehmungslustig. Wir wollten zu Fuß von Stettin nach Hamburg wandern. Unsere Zeugsäcke sandten wir unfrankiert voraus.
Aber der Weg nach Hamburg ist weit. Und der zart gebaute Erfind besaß nicht meine Zähigkeit. Bald hatte er sich eine Blutblase gelaufen und hinkte seufzend neben mir her. Spät nachts erreichten wir Strasburg in der Uckermark. Wir wollten ein Hotel aufsuchen und am nächsten Tage an Erfinds Verwandte um Geld schreiben. Aber die Hotels waren schon geschlossen. Der Nachtwächter, den wir nach Unterkunft befragten, sperrte uns kurzerhand in eine unbeleuchtete Arrestzelle ein, wo wir auf einer Pritsche schlafend sehr froren. Erfind tastete durstig nach einem Wassergefäß. Was er dann aber trank, war Urin. Erst morgens entließ man uns. Wir bezogen einen Gasthof und ließen lange Briefe an Erfinds Verwandte los. Einen rührenden an das Pflegemütterchen, einen jammernden an Tante A. und einen burschikosen an Onkel B. Alle mit der Tendenz: Sendet sofort telegraphisch Geld. Wir aßen und tranken uns nun auf Borg wieder in eine köstliche Zuversicht hinein und fragten am übernächsten Tage am Postschalter so vielmals nach postlagernden Geldsendungen, daß der Beamte uns durch einen gewaltigen Wutausbruch[179] ganz einschüchterte. Nur noch alle zwei Stunden wagten wir uns dorthin und schielten auch nur flüchtig durchs Fenster. Bis der Beamte uns lächelnd winkte. Pflegemütterchen hatte süß reagiert. Wir fuhren per Eisenbahn nach Hamburg. Bei Seidlers entstand ein großes Hallo, als wir nachts mit dem Rufe: »Nauplia ahoi!« eintraten. Nach zehn Tagen aus Frisco zurück! Nur Mutter Seidler machte uns in ihrer sanften Weise gelinde Vorwürfe.
Im nächsten Monat kam ich auf den Hapag-Dampfer »Dortmund«. Eine Reise über Emden nach dem eisfreien Hafen Narvik im nördlichen Norwegen. Und wieder zurück nach Hamburg.
Schön war's in Narvik. Die Nächte so hell, daß man lesen konnte, und erfüllt von dem lauten Donner der Erzmassen, die in den Schiffsraum polterten. Einmal sah ich in diesem kleinen, entlegenen Orte einen Trupp Soldaten der Heilsarmee. Die machten nach ihrer Weise Musik und sangen dazu. Für wen? Es stimmte mich weich.
Ich durfte den Kapitän zur Schwanenjagd begleiten, vielmehr ich mußte es. Wenn irgend möglich ging ich lieber allein aus. Es gab so herrliche Ausflüge in den Buchten und auf den Bergen.
Die Reise mit der »Dortmund« war zauberhaft. Aber die Menschen an Bord verachtete ich, einige haßte ich.
Lange schon beschäftigte ich mich mit dem Gedanken, die Seemannslaufbahn aufzugeben. So schön es gerade mir erschien, Fernes, Wildes und Konträres zu erleben, was hatte ich davon, wenn ich es allein erlebte. Es gab so wenig gebildete oder zartfühlende Seeleute, Nur der Zufall konnte mich gelegentlich und doch nur für kurz mit diesen zusammenführen.
Auf der Elbe ereignete sich ein katastrophaler Zusammenstoß von zwei Dampfern. Ein paar hundert Passagiere ertranken. Es gab einen Prozeß um die Schuldfrage. Eines der Resultate war ein neues Gesetz: Jeder Seemann sollte künftig einen gewissen, sehr streng begrenzten Grad von Augensehschärfe nachweisen und mußte sich zu diesem Zweck einer ärztlichen Untersuchung unterwerfen. Dieses harte, übertriebene Gesetz machte auf einmal altbefahrene und altbewährte Seeleute, Matrosen wie Kapitäne, brotlos. Für mich schien der neue Paragraph ein Wink des Schicksals. Die Berufsgenossenschaft zwang mir im Juli 1903 eine Bescheinigung auf, daß ich für den Dienst als Seemann, das heißt für den rein maritimen Dienst, nicht mehr in Frage käme, weil meine Augen nicht die vorgeschriebene Sehschärfe besäßen.[180]
Ich gedachte nun, Kaufmann zu werden. Mein Vater sandte mir eine Empfehlung an seinen Freund, den Kaufmann August Ristelhüber in Hamburg. Der hatte ein Speditions- und Kommissionsgeschäft. Er war ein großzügiger, energischer und bedachtsamer Herr, auch äußerlich groß und imponierend. Ich stellte mich zaghaft, weil dürftig gekleidet, in seinem Büro vor. Er machte mir sanfte Vorwürfe darüber, daß ich meine Stellungen so oft leichtsinnig aufgegeben hätte. Man zöge doch ein Hemd nicht aus, ehe man ein neues besäße. Er wollte mich aber eine Zeitlang als Lehrling einstellen und mir ein Salär von 20 Mark pro Woche zahlen. Eigentlich bekämen Lehrlinge drei Jahre lang überhaupt nichts. Aber meine Stellung bei ihm wäre ja nur ein Provisorium, bis sich die Frage entschiede, ob ich demnächst Soldat werden müßte. Er stellte mich seinen Prokuristen und Kommis vor. Die belächelten verstohlen meinen ungewöhnlichen Anzug. Ich begann meinen Dienst.
Man zeigte und erklärte mir eine Kopiermaschine und die Funktion des Lochers oder eines Briefordners und wies mir andere leichte Aufgaben zu. Aber meine hornigen Hände waren an grobe Arbeit gewöhnt. Ich richtete mit meiner kräftigen Unbeholfenheit manches Unheil an. Die Briefe in der Kopiermaschine verwischten, weil ich zu viel Wasser verwandte, oder sie zerrissen unter meinen gewaltsamen Griffen. Die Angestellten lächelten wieder. Der rücksichtsvolle Chef aber tat, als ob er's nicht bemerkte. Einmal führte er mich vor einen Schrank in seinem Privatbüro, der viele enge Fächer hatte. Ich sollte die kleinen Seitenbretter entfernen, so daß nur vier große Fächer blieben. »Das ist eine Arbeit, die Ihnen sicher liegen wird«, sagte er beim Weggehen. Ich versuchte, die Brettchen zu entfernen. Da sie aber gefedert und gespundet waren, schlug ich erst behutsam, dann stärker und schließlich wütend gemacht, so fürchterlich drauflos, daß der Schrank zuletzt wirklich ein Trümmerhaufen war. Der erste Prokurist lachte aus vollem Halse. Und der Chef sagte später gütig: »Das haben Sie ausgezeichnet gemacht.« Ich wurde durch solche Behandlung noch unsicherer und konfuser.
Nachts ging ich noch immer zu Seidlers, wo ich meine Schulden bezahlen und etwas spendieren konnte, da ich ja jetzt mehr als ein Matrose verdiente. Mit Meta traf ich mich auch zuweilen in einem Lokal in der Steinstraße. Einmal schwuren wir einander, daß wir uns vor dem Hause dort nach zehn Jahren wieder treffen wollten.[181]
Ich ging auch zum erstenmal in ein Kabarett, in der Wexpassage. Eine robuste Dame sang dort allabendlich: »I bin a armer Bettelbuah.« Dem Zauber dieser Dame unterlag ich eine Zeitlang.
Einmal wurde ich von Ristelhüber zu einer Gesellschaft in seine Privatwohnung geladen. Ich richtete meinen Anzug so gut wie möglich her und war sehr aufgeregt. Frau Ristelhüber verstand es ebenso wie ihr Mann, mich durch liebenswürdige Natürlichkeit zu gewinnen. Mein Chef hatte mich einem der Gäste so vorgestellt, daß er sagte: »Mein junger Freund und Lehrling ...« und: »Herr X., von Beruf Briefträger.« Es freute mich, daß man zu so hoher Gesellschaft auch einen einfachen Briefträger lud, und da dieser mein Tischnachbar wurde, gab ich mir Mühe, recht volkstümlich mit ihm zu reden. Bis ich sehr spät erfuhr, daß er in Wirklichkeit ein Oberpostdirektor oder ein noch höherer Beamter war. Bei diesem Diner aß ich auch zum erstenmal Kaviar, und zwar ahnungslos unbescheiden.
Betreffs meiner militärischen Angelegenheit hatte Vater sich an die Kieler Kommandantur gewandt. Denn ich wollte zur Marine, weil man als Einjähriger dort billiger diente als bei der Armee. Es kam der Bescheid, daß ich zuvor noch einen Monat Fahrzeit bei der Handelsmarine absolvieren müßte.
Mein Chef hatte Beziehungen zu der Oldenburg-Portugiesischen-Dampfschiffsreederei. So bekam ich nochmals eine Stellung als Matrose. Auf dem Dampfer »Villa Real«. Das behördliche Attest über meine ungenügende Sehkraft verbot mir eigentlich ein weiteres Fahren. Aber man umging diese Klippe, indem man mich als »überzähligen« Matrosen anmusterte. Als solcher hatte ich freilich keinen Anspruch auf Bezahlung.
Am 19. Oktober 1903 nahm ich von dem liebenswerten Herrn Ristelhüber Abschied und zog mit meinem Zeugsack an Bord. Unterwegs knöpfte ich meinen hohen Stehkragen ab.
Ich wurde vor den anderen Matrosen in einem bevorzugt. Man gab mir nämlich eine eigene Kammer, die auf dem Schiff als Hospital vorgesehen war. Der enge Raum ließ sich nicht heizen, so daß ich in der Nacht fror, weil ich nur eine Decke besaß. Aber ich war glücklich über mein Abgetrenntsein und machte es mir behaglich in dieser Kammer, wo ich unbeobachtet Tagebuch führte, vorsichtigerweise unter Anwendung von mancherlei Geheimzeichen.
Bald wurde ich gewahr, daß die anderen Matrosen gegen mich[182] waren, obwohl ich eine Flasche Kümmel für sie mitgebracht hatte. Sie beneideten mich um die Solokabine und nahmen mich seemännisch nicht für voll, weil ich keine Heuer bezog und weil ich das Einjährige hatte. Als sie nach dem Auslaufen bei irgendwelchem Anlaß eine drohende Haltung gegen mich einnahmen, sagte ich zu ihnen: »Wer mir dumm kommt, dem komme ich auch dumm! Und wer mich anrührt, dem schmeiße ich das erstbeste Stück Eisen in die Fresse!«
Auch die beiden Steuerleute waren mir übelgesinnt und mißachteten mich, weil sie nicht kapierten, warum ich ohne Heuer fuhr. Im Kanal gab uns Sturmwetter zu schaffen. Als wir Dover passierten, neigte sich das Schiff so stark im Schaukeln, daß meine Hängelampe ein Loch in den Decksbalken sengte. Darauf nahmen mir die Steuerleute die Lampe weg. Ich mußte mich im Dunkeln ausziehen, rauchte im Dunkeln verärgert meine letzten Zigaretten, danach die Pfeife.
Wir liefen gegen den Wind nur fünf Meilen. Unsere Ladung bestand aus Zucker und Kartoffeln in Säcken. Außerdem führten wir an Deck Stückgut mit uns und eine schöne Ulmer Dogge, die wir gern mit dem Wasserschlauch erschreckten. Sie konnte sich bei dem Rollen des Schiffes nur schwer auf den Beinen halten.
Kap Finisterre kam in Sicht. Rudel von Schweinsfischen zogen vorbei. Der Sturm nahm zu. Wenn ich Tagebuch schrieb, mußte ich mich mit einer Hand am Waschtisch festklammern. Da kam aber die Tintenflasche ins Rollen. Es geschah, daß ich gleichzeitig einen Knall vernahm. Ich ließ Tinte und Buch sausen und stürzte an Deck. Im Heizraum war das Wasserstandsglas geplatzt.
Es stank in meiner Kammer. Ich fand nach langem Suchen einen vergessenen Käse in Stanniol. – Ich zeichnete. – Ich angelte. – Die Kameraden wurden freundlicher zu mir, als sie erkannten, daß ich meine Arbeit verstand. – Zwei Karls hatten wir an Bord. Karl der Schwede und Karl der Dämliche. Mit dem Ostfriesen Simon spielte ich Schafkopf. – Der donkeyman war ein sehr witziger Flachser. Sein und unser ständiges Opfer hieß Paul. Das war ein schwachsinniger, gutmütiger Trimmer. – Viele dort an Bord litten an Syphilis und anderen Krankheiten.
Der Sturm nahm zu. Ich hatte Tag und Nacht nasse Füße. Überall rauschte Wasser, in der Küche, unter den Kojen, in meiner Kammer. Die Dogge heulte. Es gab viel Arbeit, aber wir schrieben Überstunden an. Ich war besonders eifrig, weil ich annahm, daß[183] man auch mir diese Überstunden bezahlen würde. Auf diese Weise blieb ich nun auch nicht ganz ohne Einnahme.
Vor Oporto ankerten wir.
Mit den anderen Seeleuten war ich inzwischen ganz ausgesöhnt. Ich unterhielt sie abends, indem ich mir Stecknadeln in die Arme stach, Messer warf und Glas und Kohle zerkaute. Ihre höchste Bewunderung gewann ich aber durch ein illustriertes Gedicht, das die Schlauchspritzenwut des Zweiten Steuermanns schilderte. Das Blatt wurde heimlich im Klosett der Achtergäste angenagelt.
Mein Verhältnis zu beiden Steuerleuten wurde immer feindseliger. Ich wollte mir's nicht mehr gefallen lassen, daß sie mich duzten und forderte sie auf, zu mir »Sie« zu sagen. Um diese Frage ging nun während der ganzen Reise ein Streit, der erbittert geführt wurde, aber viele komische Phasen durchmachte. Erst lehnten sie es ab, mich mit »Sie« anzureden, weil ich keine Heuer bezöge, deshalb kein richtiger Seemann wäre. Als ich ihnen das widerlegte, sagten sie: »Ja, wenn du das von Anfang an gesagt hättest, dann wäre das was anderes. Nun können wir aber nicht mehr ›Sie‹ sagen.« Darauf hörte ich nicht mehr auf das, was sie mir per Du befahlen. Wenn sie – bald der eine, bald der andere – mir morgens zuriefen: »Du machst die oder die Arbeit«, dann reagierte ich nicht, sondern blieb in meiner Kabine. Daraufhin riefen sie künftig: »Wir wollen die oder die Arbeit machen.« Dagegen ließ sich nichts sagen. Ich gehorchte. Bald aber fiel wieder ein Satz mit Du, und sofort legte ich mein Werkzeug nieder und zog mich in meine Kammer zurück. Sie beschwerten sich beim Kapitän. Der drohte mir, mich in Lissabon oder Hamburg einlochen zu lassen, wenn ich die Arbeit verweigerte. Da ich dem sonst sehr friedliebenden und wohlwollenden Menschen (er hieß Johann Löding) nichts weiter entgegnen wollte, ging ich wieder an die Arbeit, redete nun aber die Steuerleute auch bei jeder Gelegenheit mit Du an. So blieb es bis zum Schluß, nur daß wir an friedlichen Tagen manchmal die Anrede gegenseitig ganz umgingen. Die Matrosen waren übrigens immer auf meiner Seite.
Da wir bei dem schlimmen Wetter an der Bank vor Oporto nicht vorbei konnten, löschten wir einen Teil der Ladung in Leixoes. Vor dem Hafen war eine gewaltige Brandung. Ich kannte sie schon von früher.
Aus Zollgründen mußten wir vor jedem Hafen unseren Tabak an den Kapitän abliefern. – Das Essen war schlecht, aber reichlich.[184]
Sonnabends gab's mittags den widerlichen Klippfisch; abends auch Klippfisch als Labskaus.
Wir erreichten Lissabon. Das Wetter wurde wärmer. – Ich machte Tauschgeschäfte mit den Zollbeamten.
Am 4. November gingen wir in Gibraltar vor Anker. Schwarze Wolken verhüllten die Gipfel des Felsengebirges. Am Horizont gegenüber zeigte sich ein Streifen Marokko. Wir hörten Kanonendonner und sahen viele englische Kriegsschiffe.
Die Ladung wurde gelöscht. Ich war im Schiffsraum beschäftigt und schaufelte mir während der Arbeit aus vollen Händen Zucker in den Mund. Was tat ich nicht alles, was meine Zähne ruinierte! – Ein hochgewundener Sack platzte und ergoß seinen Zucker über den Zweiten Steuermann, der neben mir Säcke flickte. Es gingen häufig Säcke entzwei. Wir nähten sie und füllten sie wieder mit dem zusammengefegten Zucker. Was dabei an Zucker verlorenging, wurde einfach durch Dreck ersetzt.
Dem leichtgläubigen Trimmer Paul zeigten wir Zigarettenbäume, feuerspeiende Berge und den Wendekreis des Herings. – Bumbootsleute brachten Apfelsinen, Feigen, Zigaretten und Floridawasser. – Meine Füße hatten sich in den nassen Stiefeln wund gescheuert. Ich fettete sie mit Margarine ein und umwickelte sie mit Twist und Apfelsinenpapier.
Wir lichteten die Anker, fuhren wieder durch die Straße von Gibraltar und weiter nach der Stadt, deren Namen unser Schiff trug. In Villa Real blieben wir aber nicht lange, sondern dampften flußaufwärts nach einem kleinen Ort, Pomerun. Hier entwickelte sich zwischen uns Matrosen und den Bumbootsleuten ein reger Tauschhandel. Wir gaben zerrissene Kleider und leere Flaschen hin und erhielten dafür Früchte und anderes. So erstand ich hundert Apfelsinen, drei Kistchen Feigen, zehn Eier und zwei lebende Stieglitze mit Bauer. Nie wieder habe ich soviel Apfelsinen gegessen wie damals. Die Zähne wurden davon stumpf. Eine große Menge Apfelsinen konservierte ich. Das kostete mich viel Zeit, denn ich mußte jede Frucht schälen und in Scheiben zerlegen. Die Scheiben verwahrte ich zwischen Zuckerschichten in großen Gläsern, die ich fest verschloß.
Unentwegt wurde der arme Paul zum besten gehalten. Wir ärgerten ihn durch gefälschte anonyme Drohbriefe, die angeblich aus seinem Heimatdorf eingetroffen waren. Nachts bestrichen wir seine nackten Beine mit Teer.[185]
Auf einem Sonntagsausflug zeigten wir ihm Kap Horn und das Palais des Sultans und deuteten ihm all das Fremdartige, was wir erblickten, entsprechend aus. Der Weg war steil und steinig. Zur Seite blühten seltsame Sträucher. Uns begegnete eine dunkelhaarige Frau, die einen schwer bepackten Esel trieb. Dann Männer in engen Hosen, kurzen Jacketts, mit roten Schärpen und breitkrempigen Hüten. Auf einem Felsengipfel waren niedrige Häuser aus unbehauenen Steinen errichtet. Die Mauern darum hatten Nischen, die als Kamine dienten. Bunt gekleidete schöne Mädchen schauten uns neugierig an, Kinder bettelten um Tabak. In den holprigen Straßen wälzten sich rotbraune Schweine. Wir fanden ein kleines Wirtshaus, wo wir uns mit englischen Matrosen anfreundeten und viel roten Landwein tranken. Der war so stark, daß ich auf einmal stockbetrunken wurde. Ich warf auf dem Rückweg Steine nach dem Steuermann, der gar nicht zugegen war. Ich wollte giftige Vogelbeeren essen. Als mich die Kameraden daran hinderten, entfloh ich ihnen und lief davon, von lachenden Kindern verfolgt, bis ich hinfiel und mit dem Gesicht gegen einen großen Stein prellte. Als wir unser Ruderboot erreichten, tauchten mich meine Freunde mehrmals unter Wasser, aber ich wurde dadurch nicht nüchterner. An Bord der »Villa Real« hämmerte ich mit den Fäusten gegen die Kammertür des Ersten Steuermanns und schrie: »Komm heraus, du Schuft, wir wollen uns schlagen!« Der hütete sich aber. Schließlich brachten mich die Matrosen zur Koje. Andern Tags erwachte ich mit Kopfschmerzen, mein Körper hatte Risse und blutunterlaufene Beulen.
Wir luden Erz. – Ein stellungsloser deutscher Konditor kam an Bord und bat um freie Rückfahrt. Der Kapitän wies ihn ab. Wir Matrosen aßen gerade Pellkartoffeln mit Hering. Ich gab meine Portion dem Konditor und ließ ihn Platz bei uns nehmen. Über sein verhungertes Gesicht ging ein glückliches Strahlen. »Pellkartoffeln mit Hering!« sagte er gedehnt und griff zaghaft nach dem Teller. In dem Moment rief der Steuermann das Kommando herab: »Schiff verholen! Der fremde Mann soll sofort von Bord!« Wir eilten an Deck. Der Konditor kam um seine Mahlzeit, ich konnte ihm nur ein Stück Brot zustecken.
Wir nahmen vor zwei anderen kleinen Orten und dann wieder in Lissabon Kisten mit Ölsardinen und Korkplatten in großen Ballen; auch fertige Flaschenkorke sowie ein paar tausend Säcke Kakaobohnen. – Ich bekam häufig Nasenbluten und vom Kautabak[186] Sodbrennen. – Ein Korkballen löste sich aus der Schlinge, fiel in den Laderaum zurück und prellte mich drei Meter weit weg. – Es gab einen Tumult wegen der ungenießbaren Kost.
Am 16. November liefen wir in Oporto ein. Eine schwierige Einfahrt zwischen der Sandbank und Felsblöcken. Der Lotse stand selbst am Ruder, und zwei Boote mit je zwölf Portugiesen besetzt, halfen bei dem Manöver.
Wir luden Ölkuchen, Wein, Zwiebeln und Tierfelle. – Ein Eingeborener gab mir sechzig Äpfel für meine ranzige Margarine, auf die ich versehentlich Petroleum verschüttet hatte.
Wir traten die Rückreise an. Den Matrosen wurde das Geld für die Überstunden ausbezahlt. Mir zahlte der Steuermann nichts.
Vorübergehend trieben wir steuerunfähig; wir hatten die Feuer gelöscht, um einen Maschinendefekt zu beseitigen. – Ein weißer Dreimastschoner fiel uns wegen seiner ungewöhnlichen Bauart auf. Durch Flaggensignale erfuhren wir, daß es die »Gauß« war, die von einer Südpolexpedition zurückkehrte. Was mochte sie entdeckt und erlebt haben! – Ich kostete meine eingemachten Apfelsinen. Sie schmeckten so bitter, daß sie nicht mehr zu genießen waren.
Der Kanal bescherte uns noch einen tüchtigen Sturm. Im Logis rollte der Käfig mit meinen zwei Stieglitzen zwischen Blechgerät, verschüttetem Mittagessen und Kohlen hinüber und herüber.
Wir ankerten in Cuxhaven. Ich wurde zum Kapitän befohlen. Ich dachte, er würde mir meine Überstunden bezahlen und lief freudig nach der Kajüte. Aber dort empfing mich ein Kriminalbeamter. Der händigte mir eine Strafverfügung über drei Mark ein. Weil ich mich vor Monaten einmal in Hamburg nicht abgemeldet hatte.
Der Arzt kam zur vorgeschriebenen Untersuchung an Bord.
Am 24. November musterte ich in Altona ab.
Ausgewählte Ausgaben von
Mein Leben bis zum Kriege
|
Buchempfehlung
Hume hielt diesen Text für die einzig adäquate Darstellung seiner theoretischen Philosophie.
122 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro