Das Mädchen mit dem Muttermal

[341] Chanson


Woher sie kam, wohin sie ging,

Das hab' ich nie erfahren.

Sie war ein namenloses Ding

Von etwa achtzehn Jahren,

Sie küßte selten ungestüm.

Dann duftete es wie Parfüm

Aus ihren keuschen Haaren.


Wir spielten nur, wir scherzten nur;

Wir haben nie gesündigt.

Sie leistete mir jeden Schwur

Und floh dann ungekündigt.

Entfloh mit meiner goldnen Uhr

Am selben Tag, da ich erfuhr,

Man habe mich entmündigt.


Verschwunden war mein Siegelring

Beim Spielen oder Scherzen.

Sie war ein zarter Schmetterling.

Ich werde nie verschmerzen,

Wie vieles Goldene sie stahl,

Das Mädchen mit dem Muttermal

Zwei Handbreit unterm Herzen.

Quelle:
Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 1: Gedichte, Zürich 1994, S. 341-342.
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