Der wilde Mann, die weiche Mann, das Vielemann

[296] 1.


Auf! Laßt uns irgend jemanden erschlagen!

Sie fragen: Wen?

Wie feig schon, überhaupt zu fragen.

Halt irgendwen, den oder den.


So irgend jemand mitten aus der Mitte

Urplötzlich töten, hei, wie das belebt!

Weil's Aufsehn macht.

Denn Töten ist nicht Sitte,

Sondern ein Sport, vor dem die Mehrheit bebt.


Nicht solche töten, die uns Grund gegeben,

Noch etwa Greise oder Weib und Kind,

Auch laßt uns Töter gegenseitig leben,

Weil wir doch schließlich keine Henker sind.


Was über achtzig Jahr und unter zehn

Jahr ist, sind faule, unbrauchbare Drohnen.

Den andern aber muß man zugestehn,

Daß sie was leisten, und die laßt uns schonen.


2.


Auf! Laßt uns all mitnander Ei-ei machen!

Auf! Fistet Pazi und seid friedlich froh!

Verklebt aus Liebe unter heitrem Lachen

Mit Bruderkuß den feindlichsten Popo.


Krieg, Haß und Neid und alle widrigen

Gefühle fort! Dem Herzen gebt Gehör!

Wir wollen uns freiwillig selbst erniedrigen.

Und wer uns anspeit, sei uns Parfumeur.


Ein Reich zu gründen und dafür zu werben

Gilt es, das ganz und gar dem Himmel gleicht.

Seid überzeugt: Wir werden drüber sterben.

Doch, wenn wir leben blieben, wär's erreicht.
[297]

3.


Warum denn immer alles übertreiben?

Warum denn links? Warum denn rechts?

Um Gottes willen, laßt uns mäßig bleiben,

Nicht männlichen, nicht weiblichen Geschlechts.


Hübsch angepaßt und jede Reibung meiden!

Nicht hart, nicht weich! Nicht Ja, nicht Nein!

Auf alles hören und sich nie entscheiden.

Wer weiß, wie's kommt. Man muß gewappnet sein.


Denn golden ist der goldne Weg der Mitte.

Man ißt und zeugt und schläft schön ungestört,

Regt sich nicht auf um »danke« oder »bitte«

Und weiß und lebt und stirbt, wie sich's gehört.

Quelle:
Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 1: Gedichte, Zürich 1994, S. 296-298.
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