Meditation

[277] Wolleball hieß ein kleiner Hund,

Über den ein jeder lachte,

Weil er keine Beine hatte und

So viel süße Schweinereien machte.


Warum ist man überall geniert?

Warum darf man nicht die Wahrheit sagen?

Warum reden Menschen so geziert,

Wenn sie ein Bein übers andre schlagen?


Um dies überschätzte homo sum

Werd' ich täglich wirrer und bezechter.

Ach, die Schlechtigkeit ist gar zu dumm,

Doch die Dummheit ist noch zehnmal schlechter.


Hat der Wolleball von seinem Herrn

Nichts gewußt, nur Launen mitempfunden,

Hatte der ihn andrerseits sehr gern

Und verstand im Grunde nichts von Hunden.


Er ist tot, auf den ich solches dichte.

Mir ist Wurscht, wo sein Gebein jetzt ruht.[277]

Aber die Pointe der Geschichte

Muß ich sagen: Er war herzensgut.


Und sein Wolleball war gut. Er grollte

Nie. Ein einzig Mal nur biß

Er nach mir, als ich verhindern wollte,

Daß er wieder in die Hausschuh schiß.

Quelle:
Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 1: Gedichte, Zürich 1994, S. 277-278.
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