Du und die Nacht

[405] Gib du dem Tag, was aus dir will.

Die Nacht ist still.

Auch wenn in einem Nachtlokal

Du welche Leute, die Skandal

Begeistert, siehst.

Nicht, daß du fliehst!

Auch wenn ein Raufbold dich berennt,

Oder ein blöder Korps-Student

Mit Gott – dem's einfiel, dort zu wandeln –

Will anbandeln.


Dieweil das meiste schläft, baut aus Gestirnen

Sich Unkenmärchenhaftes. Gruslig schiebt

Schlechtes Gewissen seine Heimlichkeiten,

Und Hirne dampfen über Nachtarbeiten.

Dieweil die Stille dürstend Weisheit siebt,

Schwelgt Animalisches, und Sehnsucht liebt.


Gib du der Nacht, was dir der Tag vergibt.

Quelle:
Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 1: Gedichte, Zürich 1994, S. 405.
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