Morsche Fäden

[442] Zu einem Trödler

Kam ein Greis mit einer sauern

Gurke,

Sprach: »Ich bin ein Gnadenbrötler

Bei einem Bauern.

Der ist ein Schurke.


Diese Gurke bringe ich aus Not.

Kleine Knöpfe möchte ich dafür.

Denn man kann sich nicht mit Gnadenbrot

Knöpfe kaufen für die Hosentür.«


Und der Trödlersmann verschmähte

Nicht die Gurke noch des Greises Wort,

Denn der kam ihm sehr bedürftig vor,

Sondern bückte sich und nähte

Hundert goldne Knöpfe ihm sofort

Eigenhändig an das Hosentor.


Und der Greis sprach: »Danke« und verneigte

Sich und ging mit offnem Hosenlatz

Selig durch die Straßen, und er zeigte

Allen Menschen seinen goldnen Schatz.


Bis ihn schließlich ein gewisses

Schicksal in ein Irrenhaus berief,

Ob Erregung öffentlichen Ärgernisses.

Bis er Knöpfe schluckte und entschlief.

Quelle:
Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 1: Gedichte, Zürich 1994, S. 442-443.
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