Dritter Auffzug.

[340] Wahremund / Wolraht / darauff komt der Engel /und tröstet sie mit dem Gesange.


WAHREMUND. Hilff du allerhöchster GOtt / was für greuliche Händel / was für gefährliche Anschläge / ja was für erschrökliche[340] Dränungen haben wir in dieser Stunde mit unsern Ohren angehöret! Was dünket ihme / Herr Wolrath / könte auch wol etwas ärgers wider das allgemeine Vaterland erdacht werden?

WOLRAHT. Jch fühle annoch / mein liebster Herr Wahremund / wie daß mir alle meine Gebeine zittern / ja mein Hertz springet mir annoch für grosser Angst / wenn ich die abscheuliche Rathschläge / welche wider unsere allergnädigste Königinne / das edelste Teutschland sind angesponnen / bey mir betrachte: O Staatsmann / du rechtes Kind des Teuffels / was richtest du doch in der Welt für ein grosses Elend an! Wie wird dich der gerechte GOtt vom Himmel noch dafür straffen!

WAHREMUND. Ja mein lieber Freund / daß dieser Staatsmann dem Gerichte GOTtes nicht werde entlauffen / dessen sind wir gnugsam versichert / unterdessen aber muß unser armes Teutschland leiden / und scheinet fast / ob würde es nicht so leicht / wie sich gar viel Leute wol einbilden / mit dem lieben Friede werden beseeliget.

WOLRAHT. Eben der Meinung bin auch ich / daß nemlich der unseelige Krieg viel eiferiger als zuvor in Teutschland wird getrieben werden / im Falle die von uns angehörte schädliche Rathschläge einen guten Fortgang gewinnen. Und wer kan sich doch über des listigen Staatsmannes nachdenkliche Zufälle gnugsam verwundern?

WAHREMUND. Ja freilich ist der hinterlistige Bube aller Schalkheit voll / es sehe einer nur die neue Rüstung an /[341] welche er dem Mars hat zurichten und mit dem Namen der Religion und Freyheit bezeichnen lassen / den längstgesuchten Friedenschluß dadurch zu verhindern.

WOLRAHT. Sehr klüglich handelte meines Bedünkens der Staatsmann / als ein rechter Weltbetrieger / daß er dem Mars nur etliche seiner Anschläge / die nicht eben von gar zu hoher Wichtigkeit / mündlich offenbarete / die geheimste Sachen aber ihme schrifftlich zu übergeben / sich verpflichtete. Diese folgende Erfindung aber hat ihme ohn allen Zweiffel der schwartze Teuffel in den Sinn gegeben / daß er nemlich den Teutschen Fürsten und Ständen wil rahten / sie sollen sich ehender nicht zum Frieden bequemen / biß das eine Theil das andere völlig habe zu Gründe gerichtet und verderbet.

WAHREMUND. Es ist freilich diese Erfindung vom Teuffel / aber noch viel ärger ist dieses / daß er die Teutsche zu überreden gedenket / wenn der Friede werde auff- und angenommen / alsdenn mancher seine Herrschafften / Wohnungen und Güter wiederumb herauß geben müsse / denn der lose Bube weiß / daß die Menschen ins gemein so sind beschaffen / daß sie das jenige / was sie im ruhigen Besitz eine Zeitlang gehabt haben / sehr ungern wieder von sich lassen.

WOLRAHT. Was wollen wir aber von dem Fräulein Diffidence oder Mißtrau sagen? Jst der Argwohn und das Mißtrauen unter den teutschen Fürsten und Ständen nicht schon groß genug / daß diese Teuffelsbrut auch noch darzu kommen / und Oel zum Feuer muß giessen? O des leichtfertigen Staatsmannes / der dieses verfluchte Weib gleichsam auß der Höllen gebracht und zu des höchstbedrängten Teutschlandes äusserstem Verderb hat anhero geführet.[342]

WAHREMUND. Es ist schreklich / wenn man diese in dem feurigen Abgrunde zweifels ohn außgebrütete Rathschläge etwas fleissiger bey sich betrachtet / das allergreulichste aber / welches ich gehöret / und worüber ich zum hefftigsten bin bestürtzet worden / ist das verzweiffelte Vornehmen / daß Mars unsere Großmächtigste Königin / das unübertreffliche Teutschland / gantz und gar in den Staub zu legen / sich endlich mit Türken und Tartarn in Bündniß hat gelassen. Ach GOTT! des tyrannischen Osmans / wie auch des grimmigen Chams abscheuliche Dräuworte schweben mir noch dergestalt vor Augen / daß ich mich näherlich kan enthalten / viele heisse Thränen zu vergiessen!

WOLRAHT. Ach ja / mein getreuster Freund Wahremund / ohne Seufftzen und Thränen kan ich diesen erschreklichen Handel eben so wenig als er selber nachdenken / ich fürchte gar sehr / wenn wir diese elende Zeitung unserer gnädigsten Königin hinterbringen / sie werde für Angst den Geist auffgeben. O Teutschland / du arbeitseeliges Teutschland.

WAHREMUND. O wir unglükselige Teutsche / soll und muß denn der grausame Mars mit so vielen frembden und einheimischen Völkern unser stetswährender Henker und Peiniger seyn und blieben?

WOLRAHT. O wir elende Teutsche / muß denn der Gott- und Gewissenlose Staatsmann / so vieler unzählicher Trübsalen Anfang und Ende seyn?[343]

WAHREMUND. O wir offtbetrogene Teutsche / muß denn der verfluchte Argwohn und das verdamte Mißtrauen / den Honigsüssen güldenen Frieden zu rukke / ja gantz und gar von unsern Grentzen treiben?

WOLRAHT. O wir hochgeplagte Teutsche / sollen und müssen wir denn noch endlich mit unsern Weib und Kindern / Haab und Gütern den allergrausamsten Türken und Tartarn zum Raube und Beute werden? Ach GOTT / Ach GOTT / unser Elende ist ja gar zu groß!


Jndeme sie also erbärmlich winseln / heulen / die Hände zusammen schlagen / und sich fast gar verzweiffelt anstellen / eröffnet sich gleichsam eine Wolke in der Höhe des Schauplatzes / auff welcher sich ein schöner Engel zeiget / der folgendes Trostlied singet / dessen Melodey auch gar sanfft hinter dem Auffzuge mit Jnstrumenten wird gespielet.


Trost-Lied eines Engels /


Welches er in einer Wolken sitzend / gar lieblich singet mit nachfolgenden Worten.
[344]

1.

Jhr Anschläg' HErr / vernichte doch /

Zerbrich das schwere Krieges-Joch /

Gib Teutschland widerüm sichre Ruh'

Und dekk' es bald mit Segen zu.


2.

Ermuntre dich / O Königin /

Dir bleibt der Friede zum Gewinn /

Es trifft dich nicht der falsche Rath /

Den Staatsmann dir geschmiedet hat.
[345]

3.

GOtt hält der Fürsten Hertz und Muth

Jn seiner Hand / macht alles gut /

Er stifftet selbst Vertrauligkeit

Jn dieser hochbetrübten Zeit.


4.

Laß Mars in vollem Sause gehn /

Lass' alle Türken für dir stehn /

Lass' auch die Tartarn rüsten sich /

Dein Gott hilfft dennoch gnädiglich.


5.

Hinweg du Forcht / hinweg du Schmertz /

Ergreiff' O Teutschland jetzt ein Hertz /

Die Ketten schleppen Mars herfür /

Dein Friede steht schon für der Thür.


Die Wolcke schliesset sich / oder da man keine Wolcken kan haben / also daß der Engel nur bloß auff den Schauplatz komt / und sich etwan an die eine Seite stellet / so muß derselbe nach außgesungenem Liede gleichsam verschwinden / das

Lied aber auff einem Zettel geschrieben / wird vom Engel auff die Schaubühne geworffen / und von Wahremund frölich auffgehoben. Worauff Wahremund und Wolraht scheinen gleichsam gantz neu geboren zu seyn / erzeigen sich in Geberden sehr freüdig und spricht.


WAHREMUND. Nun müssen wir ja beyderseits auffrichtig bekräfftigen / daß es tausendmal waar sey / was die heilige Schrifft von den Kindern GOttes lehret / daß sie der grundgütige Vatter im Himmel zu Zeiten zwar wol versuchet /[346] aber nicht über ihr Vermögen. Er lässet nach dem Regen die liebe Sonne wieder scheinen / und nach dem Heulen und Weinen überschüttet er uns mit Freuden.

WOLRAHT. Ach ja / mein getreuester Freund Wahremund / haben wir daß nicht diese Stunde an uns selber erfahren? O wie tröstlich / ja wie sehr kräfftig war dieser himmlischer Gesang / mit welchem der Engel GOTTES uns / die wir für grosser Hertzens-Angst biß auff den Tod waren geschlagen / und abgemattet / wiederumb hat auffgerichtet und erquikket / nunmehr zweiffele ich gantz und gar nicht / der Allerhöhester werde das lang geplagte Teutschland nun bald / bald mit einem sicheren / gewissen und beständigen Frieden erfreuen.

WAHREMUND. Dieser Tag ist ein Tag sehr guter Botschafft / da wir solche erwünschte Zeitungen von dem Göttlichen Abgesandten haben erfahren / welche mit keinen Schätzen dieser Welt zu bezahlen. O wie werden wir unsere allergnädigste Königin durch Anzeigung derselbigen so gar höchlich erfreuen!

WOLRAHT. Das bin ich versichert / wenn Teutschland dieses hören wird / es soll ihr Geist gleichsam auffs neue wieder zu ihr kommen / darum / mein Ehrwürdiger Herr Wahremund / lasset uns auf seyn / daß wir unserer gnädigsten Königin diese längst erwünschte fröliche Zeitung bald mögen überbringen.

WAHREMUND. Wolan denn / so last uns gehen / daß wir nicht allein das jenige / was wir gesehen / und gehöret / erzehlen /[347] sondern auch den allerhöchsten GOTT für seine unaußsprechliche Gnade und Wolthaten Lob / Ehre und Preiß sagen.


Sie gehen ab / und wird ein fröliches Stükke musiciret.


Quelle:
Johann Rist: Sämtliche Werke. Berlin und New York 1972, S. 340-348.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Serapionsbrüder

Die Serapionsbrüder

Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

746 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon