Betrachtung der Ewigkeit

[222] O Ewigkeit, du Donnerwort,

O Schwert, das durch die Seele bohrt,

O Anfang sonder Ende!

O Ewigkeit, Zeit ohne Zeit,[222]

Ich weiß für großer Traurigkeit

Nicht, wo ich mich hinwende.

Mein ganz erschrocknes Herz erbebt,

Daß mir die Zung' am Gaumen klebt.

Kein Unglück ist in aller Welt,

Das endlich mit der Zeit nicht fällt

Und ganz wird aufgehoben;

Die Ewigkeit hat nur kein Ziel,

Sie treibet fort und fort ihr Spiel,

Läßt nimmer ab zu toben,

Ja, wie mein Heiland selber spricht,

Aus ihr ist kein' Erlösung nicht.

O Ewigkeit, du machst mir bang,

O Ewig, Ewig ist zu lang',

Hie gilt fürwahr kein Scherzen.

Drum, wenn ich diese lange Nacht

Zusamt der großen Pein betracht',

Erschreck' ich recht von Herzen.

Nichts ist zu finden weit und breit

So schrecklich als die Ewigkeit.

Was acht' ich Wasser, Feur und Schwert?

Dieß alles ist kaum nennenswert,

Es kann nicht lange dauren:

Was wär' es, wenn gleich ein Tyran,

Der funfzig Jahr kaum leben kan,

Mich endlich ließ vermauren?

Gefängnis, Marter, Angst und Pein

Die können ja nicht ewig sein.

Wenn der Verdammten große Qual

So manches Jahr, als an der Zahl

Hie Menschen sich ernähren,

Als manchen Stern der Himmel hegt,

Als manches Laub das Erdreich trägt,

Noch endlich solte währen:

So wäre doch der Pein zuletzt

Ihr recht bestimtes Ziel gesetzt.

Nun aber, wenn du die Gefahr

Viel hundert tausend tausend Jahr

Hast kläglich ausgestanden

Und von den Teufeln solcher Frist[223]

Ganz grausamlich gemartert bist,

Ist doch kein Schluß vorhanden!

Die Zeit, so niemand zählen kan,

Die fänget stets vom neuem an.

Ligt einer krank und ruhet gleich

Im Bette, das am Golde reich

Recht fürstlich ist gezieret,

So hasset er doch solchen Pracht

Auch so, daß er die ganze Nacht

Ein kläglichs Leben führet;

Er zählet aller Glocken Schlag

Und seufzet nach dem lieben Tag.

Ach, was ist das? Der Höllen Pein

Wird nicht wie Leibeskrankheit sein

Und mit der Zeit sich enden;

Es wird sich der Verdamten Schar

Im Feur und Schwefel immerdar

Mit Zorn und Grimm ümwenden,

Und dieß ihr unbegreiflichs Leid

Sol währen bis in Ewigkeit!

Ach Gott, wie bist du so gerecht,

Wie strafest du die bösen Knecht'

Im heißen Pfuhl der Schmerzen!

Auf kurze Sünden dieser Welt

Hast du so lange Pein bestellt.

Ach, nim dieß wol zu Herzen

Und merk auf dieß, o Menschenkind:

»Kurz ist die Zeit, der Tod geschwind.«

Ach, fliehe doch des Teufels Strick,

Die Wollust kan ein' Augenblick,

Und länger nicht, ergetzen;

Dafür wilt du dein' arme Seel',

Hernachmals in des Teufels Höhl'

Hin zur Vergeltung setzen!

Ja, schöner Tausch, ja wol gewagt,

Das bei den Teufeln wird beklagt!

So lang ein Gott im Himmel lebt

Und über alle Wolken schwebt,

Wird solche Marter währen.

Es wird sie plagen Kält' und Hitz',[224]

Angst, Hunger, Schrecken, Feur und Blitz

Und sie doch nie verzehren;

Dann wird sich enden diese Pein,

Wenn Gott nicht mehr wird ewig sein.

Die Marter bleibet immerdar,

Als anfangs sie beschaffen war,

Sie kan sich nicht vermindern;

Es ist ein Arbeit sonder Ruh',

Sie nimt an Klag' und Seufzen zu

Bei jennen Satanskindern.

O Sünder, deine Missethat

Empfindet weder Trost noch Rat!

Wach' auf, o Mensch, vom Sündenschlaf,

Ermuntre dich, verlornes Schaf,

Und bessre bald dein Leben!

Wach auf, es ist doch hohe Zeit,

Es komt heran die Ewigkeit,

Dir deinen Lohn zu geben;

Vielleicht ist heut der letzte Tag;

Wer weiß noch, wie man sterben mag?

Laß doch die Wollust dieser Welt,

Pracht, Hoffart, Reichtum, Ehr' und Geld,

Dir länger nicht gebieten;

Schau an die große Sicherheit,

Die falsche Welt und böse Zeit

Zusamt des Teufels Wüten;

Vor allen Dingen hab in Acht

Die vorerwähnte lange Nacht.

O du verfluchtes Menschenkind,

Von Sinnen toll, von Herzen blind,

Laß ab, die Welt zu lieben!

Ach, ach, sol denn der Höllen Pein,

Da mehr denn tausend Henker sein,

Ohn' Ende dich betrüben?

Wo lebt ein so beredter Mann,

Der dieses Wort aussprechen kan?

O Ewigkeit, du Donnerwort,

O Schwert, das durch die Seele bohrt,

O Anfang sonder Ende!

O Ewigkeit, Zeit ohne Zeit,[225]

Ich weiß vor großer Traurigkeit

Nicht, wo ich mich hinwende.

Herr Jesu, wenn es dir gefällt,

Eil' ich zu dir ins Himmelszelt.

Quelle:
Johann Rist: Dichtungen, Leipzig 1885, S. 222-226.
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