[275] Jesaja 61, 3.
Komt, laßt uns wandeln gehen
Zu dieser Frühlingszeit,
Im Garten zu besehen
Der Bäume Lieblichkeit,
Die schöne Früchte tragen,
Woran itz früh und spat
Der Gärtner sein Behagen
Und höchste Wollust hat.
Es war von Gott gebauet
Das schönste Paradies,
Das hat er anvertrauet
Den Menschen, welch' er ließ[275]
Als gute Bäume stehen,
Zu tragen edle Frücht':
Ach, aber, was geschehen,
Bezeugt uns das Gerücht.
Es ist der Garte leider
Verderbet ganz und gar,
Demnach desselben Neider,
Der Satan, emsig war,
Durch Sünde zu vernichten
Die Gärten groß und klein;
Da muste Gott anrichten
Ein anders Gärtelein.
Es ließ der Herr auf Erden
Nach seiner Freundlichkeit
Gerechte Bäume werden,
Welch' ihm zur jeden Zeit
Nur Früchte solten geben,
Die nimmermehr vergehn;
Es solt' ihr ganzes Leben
Im Thun, im Thun bestehn.
Es muste sein versetzet
Der Baum von seinem Ort,
Es war der Mensch verletzet
An Leib und Seel hinfort;
Nichts Gutes kont' er machen,
Die Früchte waren wild,
Und er mit allen Sachen
Blieb Satans Ebenbild.
Gott aber, reich von Gnaden,
Hat unser so gedacht,
Daß er uns arme Maden
Zu Pflanzen hat gemacht;
Wir sind nicht mehr im Orden
Der Dörner, wie vorhin,
Jetzt sind wir Bäume worden
Und zwar nach Gottes Sinn.
Es fließt in diesem Garten
Die schöne Lebensquell',[276]
Hie kan der Baum sich arten
Und wachsen trefflich schnell,
Wenn ihn die Sonn' erhitzet;
Der Gart' hat seinen Wall,
Der künftig ihn beschützet
Für allem Ueberfall.
Die Diener Gottes pflanzen
Die Bäumlein wunderschön,
Nicht Feigen, Pomeranzen,
Welch' in den Gründen stehn,
Besondern Menschenkinder,
Wovon die Schrift uns lehrt,
Daß sie sind arme Sünder,
Durchs Wort dennoch bekehrt.
Drauf folgt nun das Begießen:
Ach, seht die Gnadenquell'
In Ueberfluß hinfließen,
Als ein Kristall so hell.
O Brünnlein reich von Gaben,
O Quell' auch rot wie Blut,
Du kanst die Seel' erlaben,
Du bleibst mein höchstes Gut.
Nun, Gott gibt zum Gedeihen
Auch seinen werten Geist,
Durch den wir Abba schreien,
Der Rat und Tröster heißt.
Drauf fahen an zu blühen
Die Kindlein zart und fein,
Wenn wir dieselben ziehen
Zu Gottes Ehr' allein.
Und komt man denn zu Jahren,
So folgt die werte Frucht;
Da muß ein Christ nicht sparen
Erbarmung, Fried' und Zucht;
Da muß ein Christ vermehren
Des Allerhöchsten Ruhm,
Und zu desselben Ehren
Werd' er ein edle Blum.
Der Preis muß Gott verbleiben,
Wil man sein Pflänzlein sein,[277]
Man geb' ohn Hintertreiben
Nur ihm den Ruhm allein.
Bald wird der Winter kommen,
So reißt der Tod uns hin,
Der Tod, der doch den Frommen
Muß werden zum Gewinn.
Wolan, es ist vorhanden
Die schönste Frühlingszeit,
Da von des Todes Banden
Uns Christus selbst befreit
Und drauf das Sommerleben
In seinem Freudenzelt
Aus Gnaden uns wil geben.
Herr, kom, wenn dir's gefällt!
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