Flehentliches Buhßlied zu Gott in schwehren Sterbensläuften, Pestilentz und anderen gefährlichen Krankheiten

[223] Dises kan man auch singen auf die Melodei des wolbekanten Kirchengesangs: Ach Gott vom Himmel Ah darein.


1.

Wie tröstlich hat dein treüer Mund,

O liebster Gott, verheissen,

Daß, wen uns Krankheit wil zu grund

Und in die Gruben reissen

Und wir mit rechter Zuversicht

Für dich zu treten säumen nicht,

Du wolst uns nicht zerschmeissen.


2.

Ach HERR, wir haben dise Plag'

Uns auf den Halß gezogen;

Die Pest ist leider dise Tag'

Uns schleünigst zugeflogen:

Es hat die Seüch' uns angestekt,

Das Grab hat manchen schon bedekt,

Eh man es recht' erwogen.
[223]

3.

Der Tod wil uns den Schafen gleich

Durch Hitz und Krankheit schlachten:

Sehr viele macht Er kalt und bleich,

Die nicht daran gedachten.

Pest ist noch schneller alß das Schwehrt,

Das ohne Scheü und Reü verzehrt:

Noch wil man eß nicht achten.


4.

Nun mag Ich nicht verstokket sein,

Ich wil mich schuldig nennen.

Gesündigt hab' Ich dir allein,

Bin würdig drum zu brennen,

Wie mancher schon durch solche Ruht'

In diser Pest und Krankheit thut;

Die Schuld muß Ich bekennen.


5.

Ich habe nicht dein Göttlichs Wohrt

Mit Andacht angehöret;

Oft hat Mir ein verkehrter Ohrt

Den guhten Sinn verstöhret.

Der Teüfel, Wollust, Fleisch und Welt,

Von welchen uns wird nachgestellt,

Die haben Mich bethöret.


6.

Ach Gott, wir haben Geld und Guht

Für alles nur begehret,

Wir haben unsern Frechen Muht

Der üppigkeit gewähret:

Diß ist nun worden Pest und Gift,

Daß unsre schwache Leiber trift,

Ja Mark und Bein verzehret.


7.

Wir haben disen Madensak

Sehr herlich außgeschmükket,

Der kurtz hernach gahr sehr erschrak,

Alß Ihn der Schmertz gedrükket.

Wo dienet nun die Hoffahrt zu?

Der kranke Leib ligt ohne Ruh'

Auch biß ans Grab gebükket.


8.

Wir haben unser gantzes Land

Und Häuser oft beflekket

Mit Unzucht, Greüel, Sünd und Schand',

Es war da nichts bedekket,

Und hiess' es gleich noch einst so schlim:

Waß Wunder, daß uns Gottes Grim

So heiß hat angestecket?


9.

Nun, treüer Gott, wir können nicht

Des Unrechts uns entfreien;

Wir kommen für dein Angesicht,

Um Trost dich anzuschreien.

Es dringet uns der grosse Schmertz,

Wir bringen ein zerschlagnes Hertz,

Das bittet üm verzeihen.


10.

Auf unsern Knien ligen wir,

Und unser' Augen weinen;

Es schreien Tag und Nacht zu dir

Die grossen samt den Kleinen:

Vergib uns doch die Missethat,

Die dich so hart erzürnet hat,

Laß deine Gnad uns scheinen.


11.

Nim von uns dise scharffe Ruht',

Hör auf uns so zu plagen:

HERR, straff uns, als ein Vatter thut,

Damit wir nicht verzagen.

Im Glauben hab' Ich dich gefast,

Hilff Mir und andern, dise Last

Itz gnädig auch ertragen.


12.

Du bist doch Helffer in der Noht,

Bei dir ist Raht zu finden,

Du kanst die Krankheit, ja den Tod

Gantz siegreich überwinden.

Du schlägst zu Zeiten eine Beül'

Und kanst jedoch dieselb in Eil'

Als unser Artz verbinden.


13.

Nun, HERR, bezeichne Tohr und Thür

Mit Christi Bluht und Sterben,

Daß, wen der Würger geht herfür,

Wir nicht durch ihn verderben.

Sei gnädig, HERR, und lass' uns bald

Gesunde Leiber und Gestalt

Durch deine Güht erwerben.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 2, Hildesheim 1964, S. 223-224.
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